Wegen »gemeinschaftlichen versuchten Mordes« und Landfriedensbruchs wird ab dem heutigen Montag in Stuttgart gegen acht Kurden vor der Jugendkammer verhandelt. Ein weiterer Prozeß gegen neun zur Tatzeit bereits volljährige Kurden war unter erhöhten Sicherheitsstandards bereits am vergangenen Donnerstag vor der 1. Großen Strafkammer des Stuttgarter Landgerichts angelaufen.
Den zusammen 17 Angeklagten im Alter zwischen 18 und 33 Jahren wird vorgeworfen, am Abend des 8. Mai 2010 vermummt eine Gaststätte in Nürtingen gestürmt und mit Baseballschlägern und Eisenstangen auf die Gäste eingeprügelt zu haben. Bei dem weniger als eine Minute dauernden Überfall wurden der Wirt und drei Gäste am Kopf verletzt. »Tödliche Verletzungen der Opfer nahmen sie billigend in Kauf«, behauptet Staatsanwalt Stefan Biehl, obwohl keines der Opfer lebensgefährliche Verletzungen erlitten hatte. Biehl fordert für die Angeklagten, die seit sieben Monaten in Untersuchungshaft sitzen, Haftstrafen zwischen drei Jahren und drei Monaten und fünf Jahren.
Die Staatsanwaltschaft vermutet eine Racheaktion von Anhängern der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans PKK. Eine Woche vor dem Übergriff waren einige der Angeklagten nach einem Streit vom Wirt aus der Kneipe geworfen worden. Ein Gast soll dabei beleidigende Äußerungen gegen PKK-Mitglieder gerufen haben. Der Angriff sei dann, so die Staatsanwaltschaft, im unter polizeilicher Beobachtung stehenden Mesopotamischen Kulturverein in Bad Cannstatt der »generalstabsmäßig geplante Rachefeldzug« besprochen worden.
Die Lokalpresse bemüht unter weitgehender Ausblendung politischer Hintergründe mit Überschriften wie »Ein Prozeß um Ehre und Stolz« das Bild des heißblütigen Südländers. Doch nach jW-Informationen sollen sich in der überfallenen Gaststätte regelmäßig türkische Faschisten aus dem Umfeld der Grauen Wölfe getroffen haben, gegen die sich offenbar die Aktion richtete.
Die Polizei nutzte den Kneipenüberfall für eine gründliche Durchleuchtung und massive Einschüchterung politisch aktiver Kurden im Großraum Stuttgart. Bei rund 40 Razzien in Wohnungen kurdischer Familien waren im Sommer zahlreiche junge Männer zum Teil von schwerbewaffneten Sondereinsatzkommandos der Polizei festgenommen worden.
Im überfüllten Gerichtssaal wurden die in Handschellen hereingeführten jungen Männer vergangene Woche von rund 80 Angehörigen und Freunden mit Applaus begrüßt. Eine Aussage zu den Tatvorwürfen lehnten die Angeklagten ab, obwohl das Gericht Strafmilderung in Aussicht gestellt hatte. Offensichtlich tappt die Staatsanwaltschaft, die erst einen der Angreifer eindeutig identifiziert haben will, im dunkeln. 49 Zeugen sind für die beiden auf 24 und 26 Verhandlungstage bis Mitte März terminierten Prozesse geladen.