Amtshilfe für Ankara

Aufenthaltsentzüge und Ausreiseverbote richten sich vermehrt gegen Exiloppositionelle aus der Türkei

Immer wieder entziehen Behörden politischen Flüchtlingen das dauerhafte Aufenthaltsrecht oder bei deutschen Staatsbürgern den Reisepass. Mit solchen Maßnahmen werden insbesondere Exiloppositionelle aus mit der BRD verbündeten Staaten wie der Türkei aktiv in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt – und an politischer Betätigung in Deutschland gehindert. Von solchen Repressalien ist beispielsweise der heute 37jährige Ilker Sahin seit mehr als sieben Jahren betroffen.

Als er im Juli 2015 einem Termin bei der Kölner Ausländerbehörde nachkam, wurde ihm der Reiseausweis für Flüchtlinge entzogen und statt dessen ein Duldungsbescheid ausgehändigt. In einer 20seitigen Ordnungsverfügung wurde dies damit begründet, dass er aufgrund seiner Teilnahme an Demonstrationen und Konzerten sowie der Anmeldung einer Mahnwache dem Umfeld der in der BRD verbotenen antiimperialistischen Revolutionären Volksbefreiungspartei-Front (DHKP-C) zugerechnet werde. Der Familienvater muss sich wöchentlich bei der Polizei melden und darf sich nicht mehr als 30 Kilometer von seinem Wohnort entfernen.
Doch Sahin wehrt sich gemeinsam mit einem weiteren Betroffenen. Sie halten Mahnwachen vor dem Innenministerium in Düsseldorf sowie den Ausländerbehörden in Köln und Bergisch-Gladbach ab. Aufgrund der gezielten Missachtung von Meldeauflagen sowie der sogenannten Residenzpflicht wurde Sahin bereits zu Geldstrafen von insgesamt mehreren Tausend Euro verurteilt. Nun droht ihm eine Beugehaft.

»Der Aufenthalt wurde nicht nur meinem Mann entzogen, wir als Familie werden für politische Aktivitäten bestraft«, beklagte Sahins Ehefrau, Dila Sahin-Eroglu, vergangene Woche im Gespräch mit junge Welt. Sie erwartet gerade ihr zweites Kind. Der Alltag der Familie sei seit Jahren stark eingeschränkt und eine Zukunftsplanung unmöglich. »Selbst an etwas völlig Normales wie einen gemeinsamen Urlaub ist nicht zu denken«, sagte Sahin-Eroglu.

In Ulm kämpft Murat Asik, der den gleichen Vorwürfen und Repressalien ausgesetzt ist, seit mehr als neun Monaten um die Wiedererlangung seines Aufenthaltsrechtes. Solidarität erhält er von einigen Migrantenverbänden. Auch die Linke-Bundestagsabgeordnete Gökay Akbulut hat seiner wöchentlichen Mahnwache in der Innenstadt bereits einen Besuch abgestattet. Ende vergangenen Jahres hatte Akbulut eine parlamentarische Anfrage zu Repressalien gegen Oppositionelle mit Migrationshintergrund, die einen deutschen Pass besitzen, an die Bundesregierung gerichtet. Anlass war der – inzwischen vom Verwaltungsgericht rückgängig gemachte – Entzug des Reisepasses der 19jährigen Kurdin Solin G. im nordrhein-westfälischen Oberhausen.

Der jungen Frau hatten die Behörden fälschlich vorgeworfen, an einem Ausbildungscamp der Arbeiterpartei Kurdistans PKK in Istanbul teilgenommen zu haben. In Wahrheit hatte es sich um einen Familienbesuch gehandelt. Wie viele deutsche Staatsbürger von solchen Maßnahmen betroffen waren, weiß die Bundesregierung allerdings gar nicht, da sie entsprechende Anordnungen der Bundesländer nicht erfasst. Sie konnte lediglich angeben, dass in den vergangenen vier Jahren 131 deutschen Staatsbürgern die Ausreise verwehrt wurde. Dabei ist ein steiler Anstieg von drei Betroffen im Jahr 2018 auf 66 im Jahr 2022 zu verzeichnen.

»Die Antwort der Bundesregierung zeigt, dass in diesem grundrechtsrelevanten Bereich bislang das notwendige Problembewusstsein fehlt«, beklagte Akbulut vergangene Woche gegenüber jW. »Dass die Zahl an Personen, gegen die die Bundespolizei an der Grenze die Ausreise untersagte, derart zugenommen hat, ist in hohem Maße beunruhigend.« Der Abgeordneten zufolge mehren sich Hinweise, dass vor allem kurdischstämmige Menschen bei der Ausreise behindert werden, sei es durch die Passverweigerung oder durch Ausreiseverbote an der Grenze.

Zuletzt wurden im Januar Ausreiseverbote gegen 24 Personen verhängt, die nach einem Anschlag auf ein kurdisches Zentrum in Paris, bei dem drei Menschen starben, dort an einer Gedenkdemonstration teilnehmen wollten.

Von Henning von Stoltzenberg, junge WELT 20.2.23