lina e.

ANKLAGEN IM FALL LINA E.

Die Antifaschistin Lina E. befindet sich seit Monaten in Untersuchungshaft. Nun hat die Bundesanwaltschaft Anklage gegen sie und drei weitere Personen erhoben. Was werfen die Verfolgungsbehörden ihnen vor?

Die Bundesanwaltschaft wirft unserer Mandantin und den anderen Angeklagten vor, in verschiedener Form an Angriffen auf Neonazis beteiligt gewesen zu sein. Außerdem seien sie, so die Anklage, Mitglieder in einer »kriminellen Vereinigung« – wobei die Anklage neben der Behauptung ihrer Existenz nur sehr wenig zu dieser angeblichen Vereinigung mitzuteilen hat.

Warum wird in diesem Fall von der Bundesanwaltschaft nach Paragraph 129, also einer kriminellen Vereinigung, ermittelt? Da sind doch ziemlich schwere Geschütze.

Paragraph 129 StGB wird schon seit jeher als Ausspähungs- und Einschüchterungsparagraph gegen eine auch militant agierende linke Bewegung eingesetzt. Der politische Charakter der Verfolgung nach diesem Paragraphen zeigt sich besonders in unserem Verfahren, denn die »Beweismittel«, auf denen dieser Vorwurf gründet, sind mehr als dünn. Der Aktenband zwei der Ermittlungsakte mit der Überschrift »Organisation« ist schlicht komplett leer. Letztlich handelt es sich hier um einen Reflex der Bundesanwaltschaft: Linke, denen man vorwirft, politische Straftaten begangen zu haben, müssen quasi automatisch auch Mitglieder einer »kriminellen Vereinigung« sein. Der Kontrast mit tatsächlichem Neonaziterror, bei dem die Behörden genauso reflexhaft und unabhängig von der Beweislage von Einzeltätern sprechen, liegt auf der Hand. In dieses Bild passt es auch, dass die Bundesanwaltschaft nunmehr willkürlich vier Beschuldigte »abtrennt« und nur gegen sie Anklage erhebt. Hielte sie ihre Vereinigungskonstruktion tatsächlich für tragfähig, wäre es nicht zu einer so eng geführten Anklage gekommen.

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Kurz nach der Festnahme gab es eine umfangreiche, meist tendenziöse Berichterstattung. Welche Rolle spielen Medien in diesem Verfahren?

In der bürgerlichen Presse gibt es letztlich zwei Formen des Umgangs mit unserem Verfahren: Der eine Strang wird besonders von der Welt repräsentiert. Deren Artikel lesen sich wie Auftragsarbeiten für die Generalbundesanwaltschaft und die sächsische Sonderkommission »Soko Linx«, geschrieben von Journalisten, die mitunter mehr Einblick in die Akten zu haben scheinen als wir Verteidiger. Bei anderen Medien haben wir den Eindruck, dass das Verfahren eben eine spannende Story ist. Besonders spannend scheint teilweise zu sein, dass unserer Mandantin als Frau die Beteiligung an Körperverletzungsdelikten vorgeworfen wird – was mitunter zu einer Berichterstattung führt, die die Farbe ihrer Fingernägel oder ihren Kleidungsstil wichtiger findet als die nach den Beweismitteln für die ihr vorgeworfenen Taten oder auch eine politische Auseinandersetzung mit der Gefahr des Neonazismus.

Sie kritisieren, dass höchstwahrscheinlich Informationen aus den Ermittlungsakten »durchgestochen« wurden. Wie kommen Sie zu dieser Annahme?

Das ist ja keine Annahme, sondern das ergibt sich aus den Medienberichten selbst. Insbesondere in der Welt werden nicht nur Informationen wiedergegeben, die nur von den Ermittlungsbehörden kommen können, sondern es wird ganz offen und zum Teil wörtlich aus den jeweils aktuellen Akteninhalten zitiert. Offensichtlich nutzen die Ermittlungsbehörden, vermutlich die mangels Ermittlungserfolgen unter Druck stehende »Soko Linx«, hier die Presse, um vermeintliche Erfolge zu präsentieren und politische Propaganda gegen links zu machen.

Wie geht es im Verfahren jetzt weiter?

Wir haben als Verteidiger die Gelegenheit, gegenüber dem Oberlandesgericht Dresden zur Anklage Stellung zu nehmen. Das werden wir ausführlich tun und beantragen, dass das Hauptverfahren nur wegen eines Teils der Vorwürfe eröffnet wird, insbesondere nicht wegen des Organisationsdelikts, und dementsprechend vor dem örtlich zuständigen Schöffengericht. Eine Entscheidung dazu ist dann wohl in der zweiten Hälfte des Sommers zu erwarten.

junge Welt 31.5.21