129aundb 05

Antiimperialisten kriminalisiert

Weder

In Hamburg stehen zwei türkische Revolutionäre vor Gericht. Ihnen drohen lange Haftstrafen, obwohl ihnen keine konkreten Taten vorgeworfen werden.

Musa Asoglu noch Erdal Gökoglu haben nennenswerte Zeit in Deutschland gelebt. Dennoch wird derzeit beiden vor dem Oberlandesgericht der Prozess wegen angeblicher Unterstützung einer »terroristischen Vereinigung im Ausland« laut Paragraph 129b StGB gemacht. Keinem der beiden Männer werden konkrete ungesetzliche Handlungen zur Last gelegt.

Asoglu lebte in den Niederlanden, bevor er im Dezember 2016 in Hamburg festgenommen wurde. Ein Jahr später wurde Erdal Gökoglu, der seit 2007 als anerkannter politisch Verfolgter in Belgien lebte, beim Grenzübertritt aus Polen an der deutschen Grenze verhaftet. Beide sollen wegen Mitgliedschaft in der türkischen DHKP-C (Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front) verurteilt werden. Seit ihrer Festnahme befinden sie sich im Hamburger Untersuchungsgefängnis in totaler Isolationshaft und sind 23 Stunden am Tag weggesperrt.

Musa Asoglu wuchs in den Niederlanden auf. 1962 war sein Vater als Bergarbeiter nach Europa migriert. Asoglus Mutter folgte ihm 1974 mit den drei Kindern. Musa engagierte sich bereits als Jugendlicher Ende der 1970er Jahre in der Dev-Genc (Revolutionäre Jugend) gegen die faschistischen Zustände in der Türkei. Er studierte in den Niederlanden und wurde Türkischlehrer für die Sekundarstufe. Jahrzehntelang organisierte Asoglu Konzerte und sprach auf diversen Veranstaltungen über die Situation der politischen Gefangenen in der Türkei. 2007 stand er bereits in Belgien wegen Mitgliedschaft in der DHKP-C vor Gericht. Damals saß er 14 Monate in Untersuchungshaft. Das Gericht in Antwerpen sprach ihn 2008 aber frei. 2013 bekannte sich die DHKP-C zu einem Anschlag auf die US-Botschaft in Ankara. Dabei kamen ein türkischer Wachmann sowie der Attentäter ums Leben. Türkische und US-Behörden beschuldigten Asoglu, für die Planung dieses Anschlages verantwortlich zu sein. Die USA setzten 2014 ein Kopfgeld in Höhe von drei Millionen Dollar auf Asoglu aus, dem eine Führungspositionen innerhalb der DHKP-C unterstellt wird. In der Türkei stand er als Nummer eins auf der Fahndungsliste des Innenministeriums, das ein Kopfgeld von 1,2 Millionen Euro auf ihn ausgesetzt hatte. In Hamburg wird der Anschlag jedoch nicht thematisiert. Beobachter vermuten, dass so der Weg für eine Auslieferung Asoglus an die USA nach Verbüßung seiner Haft in der BRD offengehalten werden soll. Denn das deutsche Gesetz verbietet eine zweimalige Verurteilung wegen derselben Tat.

Der 46jährige Erdal Gökoglu studierte Anfang der 1990er Jahre in der Türkei Architektur. Mit Verschärfung der politischen Situation im Land organisierten sich Studenten und Arbeiter gegen Angriffe auf ihre Errungenschaften und gegen staatliche und paramilitärische Repression – so auch Gökoglu. 1995 wurde er verhaftet. Bis 2001 durchlief er das türkische Gefängnissystem an unterschiedlichen Standorten. Er wurde wiederholt schwer gefoltert und überlebte ein Massaker nur schwer verletzt (siehe auch jW vom 23.8.). Ende 2000 und Anfang 2001 beteiligte sich Gökoglu an einem langanhaltenden Hunger- und Durststreik, mit dem mehr als 1.500 politische Gefangene gegen die Einführung der sogenannten Typ-F-Hochsicherheitsgefängnisse protestierten. Bis 2002 waren politische Gefangene in Sälen mit 20 bis 100 Personen untergebracht. Dies hatte politische Organisationen wie die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) oder auch die DHKP-C in die Lage versetzt, ihren organisatorischen Zusammenhalt auch in der Haft beizubehalten. In den Typ-F-Hochsicherheitsgefängnisse hingegen wurden die Inhaftierten in Einzel- und kleineren Gemeinschaftshafträumen untergebracht. So sollte der organisatorische Zusammenhalt in revolutionären Gruppen gebrochen werden. Als sich Ende 2000 immer mehr Gefangene dem Hungerstreik anschlossen, drangen am 19. Dezember Angehörige der türkischen Armee in 20 Gefängnisse ein, um den Hungerstreik zu beenden und Häftlinge in Typ-F-Haftanstalten zu überführen. Hierbei wurden 28 Gefangene mit Gas, Schlagstöcken und scharfer Munition ermordet. Gökoglu wurde erneut schwer verletzt, blieb jedoch im Hungerstreik und wurde ins Krankenhaus verlegt. Noch heute leidet er unter den Folgen dieser Intervention. Er ist am Wernicke-Korsakoff-Syndrom, zu dessen Symptomen Teilamnesie und Ataxie (Störung der Bewegungskoordination) gehören. Gemäß Artikel 399 der türkischen Strafprozessordnung erhielt er aus medizinischen Gründen eine sechsmonatige Haftverschonung. Er nutzte die Chance, nach Belgien zu fliehen, wo er 2007 politisches Asyl erhielt.
Hintergrund: Der Paragraph 129b StGB
Zusammen mit den heute im griechischem Exil lebenden Anwältinnen Zerrin Sari und Seher Sen hat sich Musa Asoglu auf Veranstaltungen und Kundgebungen für das Leben der gefolterten politischen Gefangenen in der Türkei eingesetzt und über ihre Situation informiert. Für die USA sowie den türkischen Staat sind sie deswegen »führende DHKP-C-Funktionäre«. Die DHKP (Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front) steht auf der EU-»Terrorliste« und ist in der Bundesrepublik wie die Kurdische Arbeiterpartei PKK verboten. Die vermutete Mitgliedschaft eines Menschen in dieser Organisation reicht der Generalbundesanwaltschaft, um ihn nach Paragraph 129b des Strafgesetzbuches (StGB) wegen Unterstützung einer kriminellen oder »terroristischen Vereinigung im Ausland« anzuklagen.

Derzeit sind in Deutschland 14 linke Migrantinnen und Migranten inhaftiert, gegen die ein 129b-Verfahren läuft, die bereits verurteilt wurden oder noch auf ihren Prozess warten. Der Paragraph 129b wurde 2002 im Zuge der Verschärfungen der sogenannten Antiterrorgesetze nach den Anschlägen vom 11. September 2001 in den USA in Ergänzung zum seit 1976 gegen deutsche Linke zum Einsatz kommenden Paragraphen 129a geschaffen. Schon mit Hilfe des 1871 geschaffenen Paragraphen 129 (Bildung einer kriminellen Vereinigung) im damaligen deutschen Reichsstrafgesetzbuch wurden insbesondere Sozialisten kriminalisiert.

Allein die Mitgliedschaft in einer der Organisationen, die auf einer internationalen, von der US Regierung gefütterten »Terrorliste« stehen – überwiegend handelt es sich um Organisationen, die nationale Befreiungskämpfe und Kämpfe für eine sozialistische Gesellschaft führen –, reicht aus, um Menschen jahrelang wegzusperren. Eine konkrete Straftat muss dabei nicht begangen worden sein.

In Deutschland beschäftigen sich die Oberlandesgerichte (OLG) Hamburg, Berlin, Stuttgart und Düsseldorf mit 129b-Fällen. Erdal Gökoglu wird nach Angaben seiner Anwältin in Hamburg der Prozess gemacht, da die Hansestadt sein »Handlungsschwerpunkt« gewesen sein soll. Warum gegen Musa Asoglu in Hamburg verhandelt wird, obwohl er in den Niederlanden lebte, ist seinen Verteidigern nicht bekannt. Alle linken politischen Gefangenen in Deutschland, die nach Paragraph 129b angeklagt wurden, sind türkischer oder kurdischer Herkunft.

Im Januar diesen Jahres begann der Prozess gegen Asoglu, im Juni das Verfahren gegen Erdal Gökoglu. Beiden drohen bis zu zehn Jahre Haft. Im Fall von Asoglu besteht zudem die Gefahr, dass er nach einer Verurteilung in die USA abgeschoben wird. Gökoglu könnte gar in die Türkei gebracht werden, so ein Aktiver des Netzwerks »Freiheit für alle politischen Gefangenen« im Gespräch mit jW. (erm)

junge Welt 31.8.2018

Von Eleonora Roldán Mendívil