Aufruf der SoKo Thüringen zur Solidaritätsdemonstration am 4.11. in Dresden

Der folgende Aufruf wurde am 27. Oktober von der SolidaritätsKoordination Thüringen auf Indymedia veröffentlicht:

„Am 5. November 2020 verhaftete die Polizei unsere Gefährtin Lina und es begann die bis heute andauernde Untersuchungshaft in der JVA Chemnitz. Anlässlich des Jahrestags ihrer Inhaftierung rufen wir als Solidaritätskoordination Thüringen (SOKO Thüringen) – ein Zusammenschluss aus verschiedenen Gruppen, Strukturen und Einzelpersonen in Solidarität mit von Repression betroffenen Menschen in Thüringen und darüber hinaus – dazu auf, am 4. November zum Prozesstag im Antifa-Ost-Verfahren nach Dresden zu kommen.

Die politischen Dimensionen im Antifa-Ost-Verfahren

Seit der Inhaftierung von Lina bereiten die zuständigen Ermittlungsbehörden einer medialen Inszenierung den Weg. Ziel dieser medialen Kampagne ist es, nicht nur ein Bild einer vermeintlichen Terrorgruppe oder kriminellen Vereinigung zu zeichnen, sondern auch die antifaschistische Bewegung als Ganzes zu diskreditieren, zu spalten und letztlich auch einzuschüchtern. An den einzelnen Beschuldigten im Verfahren soll ein Exempel statuiert werden. Dabei fällt auf, dass sich immer wieder Ermittlungsergebnisse und -wissen in Neonazipublikationen wiederfinden. Höchstwahrscheinlich haben Ermittler der „Soko Linx“ des sächsischen LKA Informationen an Neonazis durchgestochen. (1) Während Ermittler wie Patrick Heidler, von der „Soko Linx“ sich im Zeugenstand vor Gericht im Antifa-Ost-Verfahren dazu befragt, auf sein Zeugnisverweigerungsrecht beruft, wird mittlerweile intern wegen Verletzung des Dienstgeheimnisses ermittelt. (2) Die Methode der Informationsweitergabe an Neonazis ist dabei nur ein Mittel von vielen.

Schon lange bevor der Prozess vor dem OLG Dresden am 8. September 2021 gegen vier der zehn Beschuldigten begann, versuchten die ermittelnde Bundesanwaltschaft (BAW) und die „Soko Linx“ mit ihrer medialen Inszenierung und mit vorgeschobenen Begründungen, warum ausgerechnet der Generalbundesanwalt das Verfahren an sich gezogen hat, Politik zu machen. Dabei zeichnete sich die von GBA und „Soko Linx“ geführte Kampagne vor allem durch Desinformationen aus. Am Ende stellt speziell das Antifa-Ost-Verfahren für die GBA einen wichtigen Präzedenzfall dar und kann den Weg für eine bessere und effektivere Verfolgung von konsequentem Antifaschismus ermöglichen. (3)

Politischer Druck in Thüringen

Fernab des Prozesses in Dresden stehen auch in Thüringen Ermittlungsbehörden unter Druck, Ergebnisse zu erzielen. Mittlerweile ermittelt ebenfalls die Bundesanwaltschaft im Fall der im Sommer abgebrannten Neonazi-Immobilien in Thüringen. Wie auch in weiteren Verfahren gegen Antifaschist:innen wurden Ermittlungen wegen Verdacht der Bildung einer kriminellen Vereinigung eingeleitet. Im Zuge der Brände schwadronierten Innenministerium und Thüringer Verfassungsschutz öffentlich im Einklang über vermeintlich linke Terrororganisationen. Politische Schützenhilfe bekommen sie dabei von der Thüringer CDU im Landtag. Diese beantragte einen Untersuchungsausschuss zu politischer Gewalt im Freistaat. Beinahe wäre der Vorsitz des Untersuchungsausschusses aufgrund parlamentarischem Taktierens an die Thüringer AfD gegangen, welche einmal mehr die CDU-Fraktion an der Nase herumführte. (4) Trotz dessen, dass der Vorsitz nicht an die AfD ging, bereiten sich CDU und AfD auf eine politische Durchleuchtung und einen weiteren öffentlichen Angriff auf antifaschistische Gruppierungen in Thüringen vor. Speziell die Thüringer AfD, welche in kaum einem anderen Bundesland deutlicher den parlamentarischen Arm der Neonaziszene widerspiegelt, bringt sich hier in Stellung. Im zehnten Jahr nach der Selbstenttarnung des NSU wird es weniger um die vielfach dokumentierten und gefestigten rechtsextremen Strukturen im Freistaat gehen, sondern um den Versuch linke, antifaschistische und zivilgesellschaftliche Akteur*innen zu diskreditieren.

Repressionsdruck in Jena auf dem Höhepunkt

Neben der Aufmerksamkeit auf politischen Bühne des Landtages stehen vor allem die Thüringer Ermittlungsbehörden im öffentlichen Fokus, Ermittlungsergebnisse zu liefern. Vor allem im Visier der Repression befindet sich Jena. Hier wurde nach mehreren Spontandemonstrationen und Sachbeschädigungen, welche damit in Verbindung stehen sollen, eine ‚Soko Innenstadt‘ gegründet. Alleine in den vergangenen Monaten erfolgten mehrere Hausdurchsuchungen bei Antifaschist:innen und Fußballfans. (5) Im Zuge der Ermittlungen im Nachgang verschiedener Spontandemonstrationen wurde bekannt, dass die Polizei beispielsweise über 100.000 Datensätze von Mobilfunknutzer:innen im Innenstadtbereich von Jena abgefragt hatte. Nach der Auswertung begann die Polizei auf dieser Grundlage noch im Juli neun Wohnungen zu durchsuchen und begründete damit die Entnahme von DNA bei den von Hausdurchsuchungen betroffenen Personen. (6) Ein Besuch der Jenaer Innenstadt scheint für die Ermittlungsbehörden ein ausreichender Beweis zu sein, sich womöglich an Sachbeschädigungen oder Landfriedensbruch beteiligt zu haben.

Des Weiteren gab die Rote Hilfe Jena im Mai 2021 öffentlich bekannt, dass es gesicherte Informationen zu einer sog. V-Person in Jena gibt, welche als Informationszuträger:in für Ermittlungsbehörden fungiert. (7) Neben dieser Meldung reihten sich weitere Berichte über Anquatschversuche beispielsweise durch den Verfassungsschutz in Weimar ein. (8) Die Kontaktaufnahme zu einem linken Fußballfan im Gefängnis, ebenfalls im Mai 2021, reiht sich hier ebenfalls ein. (9) Die seit Jahren andauernde Repressionswelle erreichte 2021 einen neuen Höhepunkt. Erst im Oktober fanden erneut zwei Hausdurchsuchungen in Jena statt, die in diesem Kontext zu betrachten sind. (10)

Militante Neonazis in Eisenach – Vom NSU bis heute

Doch nicht nur auf dem politischen Parkett im Thüringer Landtag oder den Büroräumen von LKA-Beamt:innen wird sich auf eine Anti-Antifa Arbeit vorbereitet. Speziell in Eisenach, wo sich ein Teil der Neonazis und vermeintlichen Opfer aus dem Antifa-Ost-Verfahren wiederfinden, beginnen Neonazis wieder selbstbewusster zu agieren. Erst kürzlich ereigneten sich mehrere Angriffe auf das Eisenacher Wahlkreisbüro der Linkspartei „Rosa Luxx“, bei dem mehrmals die Scheiben eingeschlagen worden sind. (11) Die Eisenacher Neonazis, rund um „Knockout51“, tauchten während der Corona-Pandemie immer wieder bei bundesweiten Demonstrationen im Rahmen von ‚Querdenken‘ auf und beteiligten sich beispielsweise an Ausschreitungen in Leipzig und Berlin. (12) In Betrachtung der lokalen Neonaziszene weist vor allem Eisenach enge Verbindungen zur rechtsterroristischen Kreisen auf. Nicht nur, dass gegen Leon Ringl und damit einem vermeintlichem Opfer im Antifa-Ost-Verfahren, wegen Zugehörigkeit zur international vernetzten rechtsterroristischen Gruppe der ‚Atomwaffen Division‘ ermittelt worden ist, auch weitere Verbindungen lassen sich ziehen. Beispielsweise zog der führende Kopf von ‚Combat 18‘, Stanly Röske, nach Eisenach. (13)

Der 4. November hat auch einen speziellen Bezug zu Eisenach, denn hier enttarnte sich 2011 der ‚Nationalsozialistische Untergrund‘ (NSU) selbst. Mindestens zehn Menschen wurden durch die Gruppierung ermordet, deren gesamtes Netzwerk bis heute nicht umfassend aufgeklärt wurde. Eben jene Thüringer Sicherheitsbehörden, allen voran der Verfassungsschutz, waren es, die den Aufbau und das Agieren eines derartigen rechtsterroristischen Netzwerkes ermöglichten, finanzierten und letztlich auch über dessen Selbstenttarnung des Kern-Trios am 5. November 2011 immer wieder deckten. Wenn auch unter anderer personeller Führung, so bleibt das strukturelle Problem der Ermittlungsbehörden jedoch gleich. Die zahlreichen Aufdeckungen von Neonazi-Verbindungen aus Sicherheitskreisen und die Verbreitung von Neonaziproaganda, wie beispielsweise von einem Polizeianwärter aus Meiningen 2020, sind nur weitere Fragmente, die sich in das Gesamtbild einfügen lassen. (14)

Konsequenten Antifaschismus verteidigen

Lina und den weiteren Angeklagten vor dem OLG Dresden wird vorgeworfen u.a. militante Neonazis aus dem Raum Eisenach angegriffen zu haben. Dabei wird versucht den Kreis der Beschuldigten zu einer kriminellen Vereinigung zu konstruieren. Das Verfahren ist jedoch nicht nur auf die vorgeworfenen Taten oder auf die einzelnen Angeklagten zu fokussieren. Viel mehr ist das Antifa-Ost-Verfahren und die andauernden Ermittlungen nach §129 immer auch als Angriff auf die gesamte antifaschistische Bewegung zu begreifen. Aus diesem Grund wollen wir den Jahrestag der Inhaftierung als Anlass nehmen, nach Dresden zu fahren und uns vor Ort solidarisch zeigen.

Machen wir gemeinsam deutlich, dass wir uns nicht spalten, isolieren oder einschüchtern lassen! Egal ob in Thüringen, Sachsen oder anderswo, weiterhin gilt: Unsere Solidarität ist stärker als ihre Repression! Kommt am 4. November nach Dresden zur Demonstration um 14:00 Uhr am Bahnhof Dresden Neustadt.

Solidaritätskoordination Thüringen

Wir haben von den Vorwürfen gegen einen der Beschuldigten im Antifa-Ost-Verfahren erfahren und sprechen der Betroffenen unsere Unterstützung aus. Selbstverständlich werden wir all den genannten Forderungen nachkommen. J. D. ist und wird auch zukünftig kein Teil unserer Solidaritätsarbeit für das Antifa-Ost-Verfahren sein.
Das Outing findet ihr hier TRIGGERWARNUNG:
https://de.indymedia.org/node/156448

(1) https://www.soli-antifa-ost.org/pressemitteilung-vom-30-09-21-zur-zeugen…

(2) https://www.soli-antifa-ost.org/bericht-vom-8-prozesstag-30-09-2021/

(3) https://www.soli-antifa-ost.org/bundesanwaltschaft/

(4) https://haskala.de/2021/07/02/die-linke-warnt-cdu-fraktion-eindringlich-…

(5) https://gefangenensolijena.noblogs.org/post/2021/07/02/demo-razzien/

(6) https://libertad-media.de/2021/big-brother-is-watching-polizei-schnorche…

(7) http://rotehilfejena.blogsport.de/2021/05/02/da-singt-doch-einer/

(8) https://de.indymedia.org/node/148291

(9) https://gefangenensolijena.noblogs.org/post/2021/05/09/wegen-ermittlunge…

(10) https://gefangenensolijena.noblogs.org/post/2021/10/15/soli-razzien/

(11) https://www.rosaluxx.de/nc/start/aktuell/detail/news/scherben-bringen-gl…

(12) https://agst.noblogs.org/post/2021/04/28/knockout-51-eisenach-eine-milit…

(13) https://exif-recherche.org/?p=4399

(14) https://www.insuedthueringen.de/inhalt.meiningen-ermittlungen-gegen-poli…„