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(B) Wieder Schlappe für den Staatschutz – Freispruch im G20-Plakat-Prozess

Verschiedene Aufrufe, Diskussionen und Texte haben in letzter Zeit erneut die Frage nach einem offensiven Umgang mit Verfahren und Gerichtsprozessen aufgeworfen. Im Zusammenhang mit dem Verfahren um das Plakatieren des G20 Plakats „Es wird weitere Angriffe geben“ wurde probiert dazu einen praktischen Anstoß zu geben. In einem Text unter dem Titel „Den öffentlichen Frieden stören“, der im April in den Straßen Berlins verbreitet wurde und sich auf dieses Verfahren bezieht, hieß es dazu:

„Die Tatsache, dass die befreienden Momente des Angriffs auf den Staat beim G20 in Hamburg im Plakattext inhaltlich als Notwendigkeit und logische Konsequenz von Ausbeutungsverhältnissen beschrieben wurden, kommt nicht von irgendwoher. Der direkte Angriff auf Machtstrukturen und deren Symbole und Verteidiger*Innen ist Teil einer revolutionären Perspektive, die für eine emanzipatorische Gesellschaft kämpft. Für eine befreite Gesellschaft, ohne jegliche Unterdrückung des Menschen durch den Menschen. Denn die gewalttätige Unterdrückung des Menschen erschafft soziale Ungleichheiten, Ausbeutung, Machtkonflikte und letztendlich Kriege. Das sind eindeutig alles Eigenschaften eines modernen Staates – der sich aber stets seiner Angreifbarkeit bewusst ist. Der Grundpfeiler der westlich zivilisierten Welt, der Kapitalismus, entspringt keiner natürlichen Gegebenheit, denn sonst wären der Staat, seine Gesetze, Knäste und Strafmaßnahmen überflüssig. Diese deuten auf seine Verletzbarkeit hin! Denn was vom Menschen erschaffen wurde, kann auch nur durch ihn wieder zerstört werden!“

Nun kam es am 8. August zur Verhandlung vor dem Berliner Amtsgericht. Nach mehreren gemeinsamen Diskussionen darüber, was denn eine offensive Prozessführung konkret für den Gerichtssaal bedeuten kann, sind wir zum Entschluss gekommen, sowohl eine Erklärung (siehe unten) vorzulesen, als auch eine Befragung der PMS-Bullen durch einen Anwalt durchzuführen. Dabei war uns klar, das bereits die Anwesenheit des Angeklagten ein Widerspruch zu einer konsequenten Feindschaft dem Gericht gegenüber darstellt. In Abwägung dazu, dass sich das Entziehen vom Prozess wohl nur kurzfristig realisieren lässt, oder alles andere in keinem Verhältnis zwischen Aufwand und Konsequenzen gestanden hätte, fanden wir den Weg, im Gericht selbst unsere Ablehnung dieser Institution kundzutun eine Möglichkeit, ohne dabei unsere Ideale zu verraten. Das eine anwaltliche Vertretung dabei war und sich somit in gewisser Weise auf das juristische Schauspiel eingelassen wurde, war das Resultat einer strategischen Überlegung unter der Berücksichtigung aktueller Entwicklungen in Bezug auf die Rolle der PMS-Bullen, die sich zunehmend als Berufsidentifizierer in solchen Prozessen einene Namen machen, wie es auch anhand der kürzlich erschienen Broschüre „Gefährderleaks“ gut zu erkennen ist. Um es diesen nicht zu leicht zu machen, sollten sie sich zumindest mit den Unannehmlichkeiten einer Zeugenbefragung konfrontiert sehen, und so möglicherweise vorgeführt werden.

Nach der öffentlichen Ankündigung den Prozess zu begleiten, wurde dieser kurzfristig in einen Sicherheitssaal verlegt und Auflagen erteilt. So wurden auch hier wieder Personalausweise aller Besucher_Innen kopiert. Nach Eröffnung der Verhandlung hat der Angeklagte die Prozesserklärung verlesen, die von Staatsanwaltschaft und Richterin im weiteren Verlauf unkommentiert blieb. Anschließend wurden die drei Zivis vom LKA, welche wie gewohnt mit Kodiernummer auftraten, weil sie sich der Gefahr für Leib und Leben durch die „Szene“ ausgesetzt sehen, nacheinander in den Zeugenstand berufen und durch den Anwalt befragt. Ihre Aussagen, wie sie auf den Angeklagten aufmerksam wurden und ihn beim Kleben beobachtet haben wollen, schienen dabei nur die Staatsanwaltschaft überzeugt zu haben, welche im anschließenden Plädoyer 120 Tagessätze forderte. Der Anwalt plädierte auf Freispruch aufgrund ungenauer Angaben der Bullen und die Richterin schloss sich dem überraschenderweise an.

Dieses Resultat ist natürlich sehr erfreulich, zumal der Staat nun für die ganzen Kosten aufkommen muss und wir uns mit besseren Dingen beschäftigen können als Kohle zu organisieren. Außerdem wird die Glaubwürdigkeit der PMS‘ler, mit jeder Schlappe die sie einfahren, wohl fragwürdiger werden und kann zumindest für zukünftigen Verfahren von Nutzen sein. Wir wollen uns davon aber nicht täuschen lassen und der Logik der Justiz verfallen. Für uns war und ist klar, dass es hier nicht um die Frage von Schuld oder Unschuld gehen kann, und somit ein Freispruch nicht ein Sieg bedeutet. Mit einer Verurteilung hätten wir genauso einen Umgang gefunden, aber wenn die Bullen zu blöd sind ihre Beweise richtig vorzulegen, nehmen wir es dankend an. Interessant ist für uns vielmehr die Stärke und Komplizenschaft, die sich aus gemeinsamen Handlungen, Prozessen und Diskussionen entwickeln. Dies schafft erst die Bedingungen, die uns den Mut und die Entschlossenheit gibt, dem Staat offensiv zu begegnen und die Angst vor den Konsequenzen, die dies nach sich zieht, zu minimieren. Und nicht zuletzt freut uns natürlich, das solche Angriffe auf unsere Ideen dazu führen, dass diese noch mehr Verbreitung finden und die Plakate jetzt wieder in den Straßen zu sehen sind.

Irgendein Solidarisches Umfeld

Prozesserklärung:

„Für mich ist das Gericht, dieses Gebäude der Autorität, kein wesentlicher Schauplatz einer anarchistischen und revolutionären Auseinandersetzung mit der Herrschaft. Die Kämpfe für eine Welt ohne Ausbeutende und Ausgebeutete finden im alltäglichen Leben und auf den Straßen statt. Ein Gerichtsverfahren ist eine aufgezwungene Momentaufnahme, die versucht laufende und vergangene Kämpfe zu schwächen und ihrer Mitstreitenden zu entziehen.

In gewisser Weise lasse ich mich aber auf das juristische Schauspiel ein, indem ich heute auf der Anklagebank sitze. Ich hätte auch einfach das festgesetzte Bußgeld zahlen können, um auf diese Gerichtsverhandlung zu verzichten. Doch Buße für was? Ich bin heute hier, um eine gewisse Öffentlichkeit zu erschaffen, die aufzeigen soll, das staatliche Repression kämpferische Handlungsmöglichkeiten entgegengestzt werden können. Darum ist es nicht in meiner Intention mit der Staatsanwaltschaft zu verhandeln und auf den Unschuldig oder Schuldig-Diskurs einzugehen. Mir ist vollkommen klar, dass ich, falls ich verurteilt werde – so wie grundsätzlich alle Angeklagten – exemplarisch verurteilt werde, um andere davor abzuschrecken die mir vorgeworfenen Taten zu begehen. Ich bezweifle, dass in diesem Fall die Absicht der generellen Repression und Unterdrückung eine Wirkung haben wird, weil ich mich nicht als Person angegriffen fühle, sondern hauptsächlich für meine Idee von einem menschlichen Zusammenlebens ohne jegliche Herrschaft. Diese Idee ist aber nicht einzig und alleine mir angehörig. Das haben tausende von Gefährtinnen und Gefährten unter anderem im Juli 2017 in Hamburg offensichtlich gezeigt. Wo für einen kurzen Moment die Staatskontrolle gänzlich versagt hat, trotz massivsten Sicherheitsvorkehrungen. In diesem Moment hat der Wille nach dem Bruch mit der bestehenden Ordnung viele Menschen zu solidarischem Handeln bewegt und begeistert.

Das heute Staatsbeauftragte über mich richten werden, bedeutet für mich ein Eingeständnis der Verwundbarkeit des Staates. So gesehen bin sicherlich nicht ich derjenige, der sich rechtfertigt mit diesem Prozess und Urteil, sondern Ihr: die Ihr eure blutgetränkte Macht und Untertänigkeit für Staat und Kapital verteidigen müsst!

Auf Grund meiner Überzeugungen bestehe ich gewiss nicht auf das Recht der Meinungsäußerung, denn die Rechtssprache ist nicht die meinige. Dementsprechend erwarte und fordere ich nichts von diesem Gericht und seinen Dienenden, denn wie ich schon gesagt habe: Die Kämpfe für eine befreite Gesellschaft und gegen die bestehende Ordnung werden an anderer Stelle ausgetragen.“