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Berlin: Zweimal kraftvoll zum Knast

Am letzten Tag des Jahres gab es in Berlin, wie auch schon in den Jahren zuvor, zwei Demos, die zu Knästen hingingen, um damit den Gefangenen unsere Solidarität auszudrücken und ihnen zu zeigen, dass wir sie auch im neuen Jahr nicht vergessen werden.

Mobilisiert wurde dieses Jahr unter dem Motto: “Grenzen und Mauern einreißen – für eine solidarische Gesellschaft!“. Dazu gab es erstmalig eine eigene Webseite, die auch in den nächsten Jahren als Plattform dienen und somit die Kontinuität der Kämpfe aufzeigen soll. Wir wünschen uns, dass dies außerdem zur Verbreiterung der Idee am Silvestertag (und jedem anderen Tag im Jahr) die Knastgesellschaft zu thematisieren und vor die Knäste zu ziehen beiträgt. Unsere Verbundenheit mit den Demos und Aktionen vor den Knästen in anderen Städten haben wir versucht zu vermittelt, indem wir eine Grußbotschaft versandt haben.

Bereits in den Nachmittagsstunden versammelten sich über 200 solidarische Personen am Bahnhof Frankfurter Allee und zogen zum Frauenknast Lichtenberg in der Alfredstrasse. Vor dem Knast gab es einen Redebeitrag über die dort inhaftierte linke türkische Aktivistin Gülaferit Ünsal, die nach dem §129b angeklagt ist. Außerdem gab es einen zweiten Redebeitrag, welcher eine Knastkritik formulierte im Bezug auf den Knast vor dem standen. Die Gefangenen konnten uns leider nicht sehen, da alle Zellen zum Innenhof gerichtet sind. Aber aus Erfahrungen aus vorhergehenden Aktionen vor dem Knast wissen wir, dass die Gefangenen uns hören konnten. Es ging dann einmal um den Knast herum und wieder zurück zum Bahnhof.

Am Abend kamen bis zu 500 Personen nach Moabit, um vom U-Bahnhof Turmstrasse zum nahegelegenen Untersuchungshaftknast zu ziehen. Durch penetrante Kontrollen und nervige Durchsuchungen der eingesetzten “Ordnungshüter_innen” verzögerte sich der Demobeginn. Aber dann ging es um kurz vor halb zwölf kraftvoll und entschlossen los. Zum Auftakt wurde der Aufruf vorgetragen, im Laufe der Demo gab es lautstarke Sprechchöre für die Freiheit aller Gefangenen und gegen die Existenz von Knästen und Zwangsanstalten. Angekommen vorm Knast gab einen Redebeitrag von out of control und Grussworte an die Gefangenen. Hinter den vergitterten Fenstern waren viele Gefangene zu sehen, welche die Demo begrüßten. Gegen halb eins wurde die Demo aufgelöst, alle zogen ihrer Wege.
Die Bullen traten die ganze Zeit über mit einer aggressiven Grundstimmung auf, da sie befürchteten durch herumfliegende Knaller und Pyrotechnik verletzt zu werden. Im Verlauf wurde die Demo mehrmals aufgehalten, während der Abschlusskundgebung kam es dann zu mehrere Festnahmen.

Redebeitrag zum §129b und den europäischen Überwachungsansprüchen bundesdeutscher Behörden

In der Lichtenberger JVA sitzt auch die linke türkische Aktivistin Gülaferit Ünsal. Vor weit über einem Jahr wurde sie aus Griechenland an deutsche Behörden ausgeliefert, die sie aufgrund abstruser Beschuldigungen hier verurteilen und lange in den Knast stecken will.

Angeklagt wird sie nach 129b. Allerdings geht es nicht um Vorwürfe, die sich in der BRD abgespielt haben sollen, sondern um ihre vermeintliche Zugehörigkeit zu einer linken türkischen Organisation, der DHKP-C. Gülalferit war bereits mehrere Jahre in der Türkei aufgrund ihrer gewerkschaftlichen Arbeit inhaftiert und hatte sich dabei auch in einem langen Hungerstreik mit anderen kämpfenden Gefangenen in der Türkei solidarisiert. Sie wird also in der BRD für politische Arbeit angeklagt, die in der BRD (noch) nicht strafbar ist, sondern lediglich nach den Vorstellungen der durch eine Militärdiktatur gestützten türkische Regierung.

Möglich ist dies überhaupt nur wg. der europäischen Absprachen im Kampf gegen den sog. “Terrorismus”, wie es in zahlreichen Abkommen formuliert wurde. Als “Terrorismus” wird hier bezeichnet, was die herrschenden Verhältnisse in den EU Staaten und ihren Verbündeten grundsätzlich in Frage stellt. Wollen Behörden und Medien uns allen Glauben machen, es handele sich hierbei um schwere Gewalttaten oder Verbrechen, macht gerade der Paragraph 129 mit seinen Buchstaben a und b deutlich, dass es sich hier um reine Gesinnungsjustiz und Überwachung missliebiger Gruppen und ihrem Umfeld handelt. So geht es in diesen Verfahren in der Regel nicht um konkrete Tatvorwürfe, sondern meistens um die Mitgliedschaft oder inhaltliche Zustimmung zu einer Organisation, die zuvor als “terroristisch” definiert worden ist. Außerdem eröffnet der 129 Paragraph den Überwachungsorganen die Möglichkeit, ohne Kontrolle und richterliche Beschlüsse Tausende von Menschen im Umfeld der jeweils Angeklagten ohne ihr Wissen geheimdienstlich zu überwachen und auszuspionieren. Während sich beinahe alle bundesdeutschen Geheimdienste und Landeskriminalämter schützend vor die Nazi-Mörder_innen der NSU stellten, betrieben und betreiben sie gleichzeitig massive Überwachung gegen politisch als links eingestufte Menschen, sowohl in der BRD als auch darüber hinaus.

Warum können sich die BRD Behörden Gülaferit Ünsal aus Griechenland oder vor kurzem auch Metin Aydin aus der Schweiz überhaupt ausliefern lassen? Beide haben nach lokalen Gesetzen keine Straftaten begangen.

Der Paragraph 129b erweitert die bundesdeutsche Überwachungs- und Gesinnungsjustiz von der BRD auf die umliegende EU. Es ist offensichtlich, dass in der EU starke Macht- und Hierarchie Gefälle bestehen – während Staaten wie die BRD oder Frankreich in allen wesentlichen Fragen den Ton angeben. Für die allgemeinen Machtansprüche der Herrschenden ist es also von Bedeutung, ihre polizeiliche Macht auch auf Gebiete auszudehnen, wo sie zuvor keinen Zugriff hatte. Die seit 2009 existierende Verfassung der EU ermöglicht dabei sogar Militäreinsätze gegen die Zivilbevölkerung bei lokalen Aufständen. Auch die Wiedereinführung der Todesstrafe ist unter Kriegsrecht durch diese Verfassung möglich.

Im Moabiter Gericht findet nun bereits seit Monaten der Prozess gegen Gülaferit Ünsal statt, indem Justiz und Staatsanwaltschaft ganz deutlich machen, wie sehr es ihnen dabei auch um Einschüchterung der Öffentlichkeit. Der Prozess gegen Gülaferit Ünsal findet unter starken Sicherheitsauflagen statt, so dass kaum Beobachter_Innen in den Gerichtssaal kommen. Sämtliche Personalien von Beobachter_Innen werden festgehalten, Schlüssel u.a. abgenommen und im Zuschauer Raum anwesende Polizist_Innen bedrohen alle Anwesenden. Die Gefangene muss in einem abgeschotteten Glaskäfig diesem Schauspiel beiwohnen. In den ersten Verhandlungstagen war sie noch nicht einmal in der Lage, die türkische Übersetzung ihrer Verhandlung zu hören, weil es keine Übertragung davon in den Käfig gab. Der Ausgang ihres Verfahrens steht dabei von vornherein fest – auch wenn sich BKA und Staatsanwaltschaft sehr schwer damit tun, Gülaferit konkrete Straftaten zuzuordnen, wird sie in den kommenden Monaten höchstwahrscheinlich als sog. “Terroristin” verurteilt werden.

Ähnliches passierte in den letzten Jahren bundesweit bereits über 20 Mal gegen andere politische Aktivist_Innen, zumeist aus Kurdistan oder der Türkei. Ihnen allen droht nach abgesessener Haftstrafe die Abschiebung in die Türkei, wo sie weitere Folter und Haft erwartet.

Wollen wir die unterschiedlichen Methoden staatlicher Zwangsanstalten ernsthaft bekämpfen, dürfen wir zu dieser besonderen Form des staatlichen Terrorismus nicht schweigen.

Unterstützt Gülaferit und andere Angeklagte gegen 129a und b Anklagen!
Schreibt den Gefangenen – beobachtet die Prozesse – schafft Öffentlichkeit!
Herzliche Grüße an Gülaferit und alle anderen Gefangenen hinter diesen Mauern – kein Knast steht ewig – für eine Gesellschaft ohne Knäste!


von Berlin aus verschickte Grußbotschaft

Solidarische Grüße aus Berlin an alle Gefährt_innen, die für die Freiheit kämpfen und sich gegen das System des Knastes und der Knastgesellschaft wenden. Herzliche Grüße an die Menschen, die hinter den Mauern dieser Institution gefangen gehalten werden.

Auch wir versammeln uns heute auf den Straßen vor den Knästen um mit den inhaftierten Menschen gemeinsam das neue Jahr zu beginnen.

Gemeinsam soweit es uns möglich ist, denn wir stehen hier vor Mauern, die uns gezielt trennen sollen und auch in unserem Alltag allgegenwärtig sind.

An Tagen wie Silvester, an denen die Menschen gemeinsam Feiern und sich in den Straßen bewegen um das neue Jahr zu beginnen, finden wir es wichtig, uns mit denen, die von Staat und Gesellschaft weg gesperrt sind, solidarisch zu zeigen.

Für uns kann ein Ausschluss aus der Gesellschaft, aufgrund von nicht Regel konformen Verhalten niemals die Lösung des Konfliktes bedeuten. Es bedeutet eher, dass Menschen verurteilt werden, wenn sie sich nicht an Regelwerke halten, welche sie niemals eigenverantwortlich und selbstbestimmt mit gestaltet haben. So können und wollen wir Gesellschaft nicht akzeptieren!

Wir sind gegen Knäste und alle einsperrenden Institutionen, weil eine Gesellschaft, die es braucht

Menschen einzusperren und zu erniedrigen selbst ein Knast ist.

Solidarität mit allen Rebell_innen, die egal ob wo auf dieser Welt, die mehr vom Leben erwarten als zu Konsumieren und Funktionieren.

Freiheit für alle! Auf dass unsere Leidenschaft für die Freiheit die Mauern zum Einstürzen bringt!

Fire to the Prisons!