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„BROT, ARBEIT, FREIHEIT, RÄTE!“

Für die iranische Arbeiter*innenbewegung war das Jahr 2018 eines der kämpferischen Offensive. Darauf reagiert der Staat nun mit Repression: Die Gewerkschaftsaktivist*innen der Rohrzuckerfabrik Haft-Tapeh wurden festgenommen.

Ismael Bakshi, eine der zentralen Personen der Arbeiter*innenbewegung im Iran und Delegierter der iranischen Arbeiter*innenräte wurde am gestrigen Sonntag zusammen mit 15 anderen Arbeiter*innen und einer Journalistin in der südiranischen Stadt Schoosch verhaftet.

Wer sich mit der Arbeiter*innenbewegung im Iran beschäftigt, kommt an zwei Namen nicht vorbei: Haft Tapeh, die größte Rohrzuckerfabrik des Landes mit mehr als 10.000 Arbeiter*innen, und Ismael Bakshi, Arbeiter und Delegierter der unabhängigen Arbeiter*innengewerkschaft von Haft-Tapeh.

Seit 1979 und der Machtergreifung Khomeinis sind unabhängige Gewerkschaften illegal. Die Gründung unabhängiger Gewerkschaften ist im Iran Inhalt und Methode vieler Arbeitskämpfe, wie man auch am Beispiel der 2004/05 neu ins Leben gerufenen Busfahrer-Gewerkschaft sehen kann. Dadurch wurden viele Arbeiter*innen im Kampf um ihre Rechte politisiert und durch ihre Praxis zusammengeschweißt.

Mehr als ein Jahrzehnt dauert nun der Kampf der Arbeiter*innen der Rohrzuckerfabrik Haft-Tapeh für die Gründung unabhängiger Gewerkschaften an. 2007 bis 2009 wurde der Forderung durch Streiks Nachdruck verliehen. Nach vielen Jahren der Illegalisierung wurde die unabhängige Gewerkschaft dann im Jahr 2008 neu gegründet.

Im Jahr 2007 richtete sich der Kampf der Arbeiter*innen in Haft-Tapeh zunächst und in erster Linie gegen die Verwaltungsstrukturen des Fabrikkomplexes. Im selben Jahr drohte die Gefahr, dass die Fabrik geschlossen wird. Sechs Monate blieben die Fabriktore zu. Seither wurden die Streiks offensiver und darüber hinaus wurden von den Arbeiter*innen Wahlen abgehalten, bei denen neun Repräsentant*innen aus ihren Reihen bestimmt wurden.

Als im Jahr 2014 im Verlauf der fortschreitenden und sich verschärfenden Neoliberalisierung der iranischen Wirtschaft auch der Zuckerrohrfabrikkomplex Haft-Tapeh privatisiert werden sollte, stellten sich die Arbeiter*innen dem entgegen. Als Reaktion auf den Widerstand wurde die Repression verschärft und viele streikende Arbeiter*innen sowie deren Repräsentant*innen verhaftet. Jedoch radikalisierte sich Haft-Tapeh in den letzten zwei Jahren durch die landesweit erstarkende Arbeiter*innenbewegung.

Anfang 2018 kam es im Iran zu Massenprotesten. Die Arbeiter*innen von Haft-Tapeh formulierten die Forderung nach einer Selbstverwaltung der Fabrik durch die Belegschaft. Es war Ismail Bakshi, der vor der versammelten Arbeiter*innenschaft die entsprechende Ansprache hielt. “Diese Manager, die Haft-Tapeh ruiniert haben“, sagte Bakshi damals, „sie können nichts. Wir sind die Arbeiter*nnen von Haft-Tapeh und wir wissen, wie man den Zucker produziert. Ohne uns gibt es kein Haft-Tapeh. Ohne uns können sie gar nichts. Wenn sie unseren Forderungen bis Freitag nicht nachgehen, werden wir Haft-Tapeh selbstverwalten”, so der Basisgewerkschafter.

Diese bewegende Rede wurde gefilmt, um eine landesweite Öffentlichkeit und die Protestbewegungen an anderen Orten zu erreichen. Das Video verbreitete sich rasch in den sozialen Medien und ist seitdem richtungsweisend für die sozialen und Arbeiter*nnenkämpfe im Iran geworden.

Die Belegschaft von Haft-Tapeh ist nun seit mehr als einem Jahr immer wieder im Streik. Die Arbeiter*innen von Haft-Tapeh haben sich früher vermummt, um sich vor Repressionen zu schützen. Ismael Bakshi hat damit aufgehört, um der Stimme der Arbeiter*innen eine andere Lautstärke zu verleihen – und er war damit erfolgreich.

Als einige Monate nach Bakshis Rede die Massenproteste und Streiks im Iran wieder zunahmen, forderte er in einer anderen Rede vor den nun gegründeten Arbeiter*innenräten die „landesweite Gründung von Arbeiter und Volksräten”. Die Parole wurde ausgegeben: “Unsere Alternative sind die Räte!”

Im August diesen Jahres befanden sich auch die Arbeiter*innen von Fulad, einer der größten Stahlfabriken des Landes im südiranischen Ahvaz – nur eine Stunde von Haft-Tapeh entfernt – im Streik. Einen Tag nachdem Bakshi die Forderung nach dem Aufbau von Räten vorgeschlagen hatte, schloss sich auch der Repräsentant*innen der Stahlarbeiter*nnen von Ahavaz der Losung an: „Wir sind nicht die Säule der Wirtschaft von anderen. Kein Kapitalist der Welt kann uns als eine Säule ausnutzen, um seine wirtschaftlichen Gewinne zu verbessern. Wir sind Arbeiter*innen. Wir geben der Industrie ihre Bedeutung. Wir werden die unabhängigen Räte der Arbeiter*innen gründen“ so der Repräsentant*innen der Arbeiter*innen von Fulad, Meysam Ale Mehdi.

Haft-Tapeh ist aktuell wider seit 15 Tagen im Streik. Dies Mal haben die Arbeiter*innen der Zuckerfabrik begleitet von ihren Familienmitgliedern die Stadt Shoosh zu einem Protest gegen die katastrophalen Lebensumstände der Beschäftigten mobilisiert. Eine Offensive der Arbeiter*innen hat begonnen. Während des Freitagsgebets sind die Arbeiter in die Moschee gestürmt, es wurden Parolen gerufen wie: „Ihr seid Lügner! Wir kehren euch den Rücken zu und öffnen unsere Arme für unser Land.“

Auch hier trat Ismael Bakshi als Redner auf: „Schaut euch die Frauen an, sie sind schon seit dem ersten Tag dabei. Sagt euren Kindern, die Schule soll geschlossen bleiben. Kommt mit euren Familienmitgliedern, lasst eure Kinder ihre Schulbücher mitnehmen und uns bei den Protesten begleiten“, rief er der Menge zu. Kurz danach gibt er einer Frau das Mikrofon. Sie sagt: „Wir haben auch gefordert, dass unsere Schwestern sich organisieren und haben gehört, dass einige unserer Brüder ihren Frauen nicht erlauben, teilzunehmen. Wenn es solche unter uns gibt, bitte ich euch darum, euren Frauen die Türen zu öffnen.“ Somit radikalisieren sich die Kämpfe rund um Haft-Tapeh nicht nur im Bezug auf die Klasseninteressen der männlichen Arbeiter. Immer mehr kommen Frauen zu Wort und sprechen ihre Anliegen selbst aus.

Seit über einem Jahr kommt es zu einer regelrechten Streikbewegung im Iran. Die landesweiten Ausstände der Lehrer*innen – mehr als eine Million Streikende – fanden in zwei Wellen statt, die der LKW-Fahrer*innen in drei Wellen. Zudem gab es in zahlreichen kleineren Fabriken Arbeitskämpfe. Seit ein paar Wochen gibt es auch eine öffentliche gegenseitige Solidarisierung der unterschiedlichen Teile der Arbeiter*innenbewegung. Haft-Tapeh solidarisiert sich mit der Busfahrer*innengewerkschaft und umgekehrt. Die Lehrer*innen werden von Haft-Tapeh unterstützt, die Stahlarbeiter von Fulad wiederum erklären sich mit Haft-Tapeh solidarisch – und so weiter. Mehr und mehr verbreitet sich eine Parole: „Brot, Arbeit, Freiheit, Räte!“

Diese Offensive der Arbeiter*innen wurde vom Staat mit Repressionen beantwortet, gestern wurden hunderte Mitglieder von Aufstandsbekämpfungseinheiten der Spezialgarde in die Stadt geschickt und alle gewählten Delegierten von Haft-Tapeh zusammen mit einer Journalistin, Sepideh Gholian, verhaftet. Die Namen der anderen inhaftierten lauten: Saeed Mansouri, Jalil Ahmadi, Azim Sorkhe, Mehdi Davoudi, Saeed Alkasir Alizadeh, Omid Azadi, Hassan Fazeli, Samir Ahmadi, Salamt Nia, Emad Kasir, Mahmood Saadi, Moslem Armand, Khaled Tamimi.

Die Repression aber blieb nicht unbeantwortet: Am heutigen Montag versammelten sich die Arbeiter*innen vor dem Gebäude des zuständigen Gerichts und forderten die Freilassung der Inhaftierten. Nicht nur die Belegschaft von Haft-Tapeh kam zusammen, auch aus Fulad, der Lehrer*innenbewegung und der Schwermaschinenproduktion Hepko reisten Kolleg*innen an. “Sie werden uns alle festnehmen, genauso wie sie die Arbeiter*innen von Haft-Tapeh festgenommen haben“, betonte ein Arbeiter aus Fulad. „Wir dürfen das nicht zu lassen. Fulad und andere Arbeiter*innen solidarisieren sich mit Haft-Tapeh. Die Arbeiter*innen von Haft-Tapeh müssen freigelassen werden!”

# Von Mina Khani
http://lowerclassmag.com/2018/11/brot-arbeit-freiheit-raete/