39 Verhaftungen in 21 Tagen
In nur 3 Wochen wurden in der Türkei mehrere Dutzende Personen festgenommen und nach tagelanger Folter nach eigenem Gutdünken entweder wieder freigelassen oder verhaftet.
39 Personen sind nicht durch dieses Sieb in die Freiheit durchgedrungen und wurden verhaftet.
Diese Massenverhaftungen sind offenbar das Resultat einer plötzlich angefertigten ’schwarzen Liste‘ der Anti-Terrorpolizei, welche die Namen von 110 Personen beinhalten soll, die wiederum großteils von einer Person genannt wurden, die angeblich “Organisationsmitglied“ gewesen sein soll und die Polizei nun mit Informationen beliefert. So wurden schnurstracks 15 Anwält*innen von Nuriye und Semih zwei Tage vor ihrem Prozess aus dem Verkehr gezogen und inhaftiert. Kurz vor der zweiten Verhandlung wurde das Idil Kulturzentrum der Band Grup Yorum gestürmt und in den folgenden Tagen zahlreiche weitere Personen in einer Hetzjagd aus ihren Wohnungen heraus festgenommen.
Das beste kommt noch: Nuriye Gülmen, die bereits im Mai verhaftet wurde, weil ihr aufgrund ihrer aufrechten und entschlossenen Haltung im Kampf um ihre Arbeit Mitgliedschaft in einer „Terrororganisation“ vorgeworfen wurde, ist nun auch plötzlich Teil des Polizeikonstrukts. AKP-hörige Zeitungen setzten nun ihre Schmutzkampagne gegen die Hungerstreikende Nuriye Gülmen, ebenfalls anhand der „Offenbarungen“ des Polizeinformanten fort.
Währenddessen lässt der Sicherheitsapparat der AKP keine Gelegenheit aus, um die festgenommenen Personen in die Knie zu zwingen bzw. sie mittels schwerer Folterpraktikten zur Zusammenarbeit zu zwingen.
So soll dies auch der Fall bei dem seit mehr als 1 Woche im Polizeigewahrsam befindlichen Mustafa Kocak sein. Zu diesem Foltervorwurf haben sich auch der türkische Menschenrechtsverein IHD und die Menschenrechtsstiftung der Türkei TIHV in einer Pressekonferenz geäußert. Sie bestätigten die Anhäufung von Folterberichten im Polizeigewahrsam. Es wurde darüber informiert, dass Anwält*innen in einem kurzen Gespräch mit dem seit 10 Tagen im Polizeigewahrsam befindlichen Mustafa Kocak in Erfahrung bringen konnten, dass man diesen unter Anwendung schwerer Folter zur Zusammenarbeit drängen wollte. Er habe den Anwält*innen mitgeteilt, dass er von den Beamten der Anti-Terrorabteilung alle zwei Tage in ein Zimmer im 3. Stockwerk gebracht und dort offen unter Druck gesetzt werde. Es sei aber nicht versucht worden, Informationen von ihm zu erlangen, sondern die Polizei habe ihn zur Zusammenarbeit gedrängt, indem sie etwas in der Art sagte wie ‚Wir wissen, dass du nichts getan hast, aber wir wollen dass du uns hilfst‘.
Kocak hatte auch von psychischer Folter, die ihm widerfahren sei gesprochen. Mitunter hätten die Polizisten offen damit gedroht, seine schwangere ältere Schwester, sowie seine jüngeren Schwestern zu vergewaltigen und ihn selbst zu töten, wenn er sich nicht füge.
Psychische und physische Folter wechseln sich ab. Kocak berichtete, dass er in ein dunkles Zimmer in der 3. Etage gebracht wurde und dort vermutlich 4 Polizisten um ihn herumstanden als ihm ein Sack über den Kopf gestülpt wurde. Er erzählte den Anwält*innen, dass ihm dann kaltes Wasser über den Nacken geschüttet wurde, während der Sack auf seinem Kopf war. All das sei in einem stark klimatisierten kalten Raum geschehen. Anschließend habe man ihm eine Blechbüchse über den Kopf gegeben und mindestens eine Stunde im Rhythmus darauf getrommelt.
Die Menschenrechtsanwältin, die sich zum Fall von Mustafa Kocak äußerte machte insbesondere auf eine weitere willkürliche Maßnahme aufmerksam. Die Anwält*innen, die Mustafa Kocak im Gewahrsam aufsuchten und diese Folter dokumentierten, wurden am darauffolgenden Tag, als sie gemeinsam mit ihr Mustafa Kocak erneut besuchen wollten, an ihrer Anwaltstätigkeit gehindert.
Es wurde inzwischen auch bekannt, dass gegen 109 Jurist*innen eine Berufseinschränkung erlassen wurde. Da eine derartige Berufseinschränkung, vor allem die Aussage eines Festgenommenen in Anwesenheit seines/seiner Verteidigers/in eigentlich nur dann möglich ist, wenn die betroffenen Anwält*innen selbst Teil eines Ermittlungsverfahrens sind, das gegen den/die Mandant/in läuft – was für die Mehrheit der 109 betroffenen Anwält*innen natürlich nicht zutrifft– kann davon ausgegangen werden, dass es hier explizit darum geht, die Folter zu vertuschen.
Es sei sogar ein Anwalt seitens der Familie von Mustafa Kocak herangezogen worden, der noch nie einen politischen Prozess geführt hat. Dass auch er auf der Liste der Anwält*innen mit Berufseinschränkung steht, zeige eindeutig, dass dies der Vertuschung der Folter dienen soll.
Derartige Berichte von Menschenrechtsverletzungen dringen mittlerweile fast täglich ans Tageslicht. Die AKP-Regierung steht aufgrund dieser Repressionsmethoden in den letzten Jahren unter massivem öffentlichen Druck. Der Widerstand von Nuriye und Semih, die um ihren gekündigten Job kämpfen und sogar ihr Leben dafür riskieren, scheint Ankara regelrecht außer Kontrolle zu bringen. Um in diesem Willenskampf nicht auf der Verliererseite zu stehen und keine Zugeständnisse machen zu müssen, wird offenbar alles daran gesetzt, alle die sich dem Widerstand anschließen und für ihre Forderungen eintreten, aus dem Weg zu räumen.
Folter ist menschenverachtend! Wer seine Herrschaft durch Folter und Gewalt sichern will, ist in jedem Fall der Schwächere und wird letztlich den Kürzeren ziehen.
Die Anschwärzungen gegenüber Nuriye Gülmen, Semih Özakca, gegenüber ihren Anwält*innen und allen Personen, die auf der Basis von Folter und den Aussagen eines Polizeiinformanten gemacht werden sind illegitim und dürfen keinerlei rechtliche Konsequenzen mit sich bringen.
Nuriye Gülmen und Semih Özakca müssen sofort freigelassen und ihre Forderungen müssen erfüllt werden!
Schluss mit der Einschränkung des Rechts auf Verteidigung, Freiheit für die Anwält*innen von Nuriye und Semih!
Freiheit für alle politischen und willkürlich Verhafteten!
Schluss mit der Folter!
Internationale Plattform gegen Isolation
03.10.2017