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Der Sozialdemokrat Oskar Negt wird 80

https://linksunten.indymedia.org/system/files/images/6892461415.thumbnail.jpgWer hat uns ver­raten, lautet die Frage, deren Antwort eigentlich schon alles sagt. Der Sozialdemokrat und Pro­fes­sor Oskar Negt hat im Juni 1972 dazu beige­tra­gen, dass Ulrike Mein­hof ver­haftet wurde.

Sie ver­ließ den Knast nicht mehr lebend. Wenige Tage zuvor, am 3. und 4. Juni 1972 hat Negt auf dem Kongress „Am Beispiel Angela Davis” in Frank­furt am Main dazu aufgerufen, der RAF die Unter­stützung bei der Suche nach Woh­nun­gen, Fahrzeu­gen und materieller Hilfe zu entziehen, um sie damit den Ver­fol­gungs­be­hör­den auszuliefern. Es gäbe „nicht die ger­ing­ste Gemein­samkeit, die die poli­tis­che Linke der Bun­desre­pub­lik zur Sol­i­dar­ität ver­an­lassen kön­nte.” Der Kongress ist dank Negt zu einer Ver­anstal­tung der Dis­tanzierung und Entsol­i­darisierung mit der RAF geworden.

Intellek­tuelle wie Negt befürchteten durch die staatliche Mobil­machung gegen die RAF schlechtere Bedin­gun­gen für ihre weit­ere Kar­riere und die legale Linke. Sie bewegten sich dabei in dem ungelösten Wider­spruch, dass sie einen Kongress zur Sol­i­dar­ität mit Angela Davis organ­isierten, die sich dem schwarzen Wider­stand in den USA, der nicht gewalt­frei war, ver­bun­den fühlte. Sie sprachen von Rev­o­lu­tion, die sie jedoch nur fernab auf anderen Kon­ti­nen­ten befür­worteten. Sie strebten ein großes Bünd­nis der Linken an, das jedoch ihre Gren­zen spätestens bei K-?Gruppen und RAF fand.

Oskar Negt redete Mitte Juni seinen Fre­und, dem Volkss­chullehrer Fritz Rode­wald, zu, die Polizei zu ver­ständi­gen. Rode­wald und seine Fre­undin Ulrike Winkelvoss beherbergten Ulrike Mein­hof. Rode­wald hatte ihr zuge­sagt, dass sie bei ihm nächti­gen könne. Dieses Ver­sprechen brach er – auf anraten von Oskar Negt. Dies hat Jutta Dit­furth in ihrer Meinhof-?Biografie (S. 344) aus­führlich dargestellt.

Die RAF hat Oskar Negt für seine Rede auf dem Frank­furter Sol­i­dar­ität­skongress scharf kri­tisiert. Die Pas­sagen, die Negt betr­e­f­fen sind lesenswert. Oskar Negt ist nicht ohne diese kri­tis­chen Worte zu denken. Jede Würdi­gung von Negt – sollte sie ser­iös sein – muss die Kri­tik an Negt an seinem Ver­rat ein­schließen.

Der Text der RAF von 1972 ist hier zu finden: www?.social?his?to?ry?por?tal?.org/?s?i?t?e?s?/?d?e?f?a?u?l?t?/?f?i?l?e?s?/?r?a?f?/?0?0?1?9?7?2?1?1?0?0?_?9?.?p?d?f

Nach­fol­gend ist die Pas­sage als txt-?Datei dokumentiert:

NEGT — DAS SCHWEIN

Negt, der in Frank­furt nach Noskes Devise „Einer muß der Bluthund wer­den“ range­gan­gen ist, hat dort die Posi­tion des Oppor­tunis­mus — mit allem Kaud­er­welsch, aller Massen­ver­ach­tung, allen Appellen an „die Poli­tiker“, aller Beru­fung auf den gesun­den Men­schen­ver­stand, die dazu gehören — for­muliert. Allerd­ings ohne sich auch nur andeu­tungsweise — wie Bern­stein — die Mühe einer ökonomis­chen Analyse zu machen. Da das Prob­lem des Oppor­tunis­mus aber unab­hängig vom the­o­retis­chen Niveau seiner Sprecher objek­tiv besteht, ist es notwendig, sich mit ihm auseinan­derzuset­zen. Es besteht objek­tiv als Resul­tat der Ungle­ichzeit­igkeit der Entwick­lung, die das Sys­tem geschaf­fen hat, der Ungle­ich­mäßigkeit der For­men der Aus­beu­tung, die das Sys­tem anwen­det, der Ungle­ich­mäßigkeit der Erfahrung der Unter­drück­ung inner­halb dieses Sys­tems.
Daß Negt über­haupt Beifall bekam, trotz des schwachsin­ni­gen the­o­retis­chen Niveaus seiner Aus­führun­gen, beweist, wie stark die objek­tiven Gründe sind, die hier dafür sprechen, eine oppor­tunis­tis­che Posi­tion einzunehmen. Wir nehmen uns Negt auch deshalb vor, damit seine Anhänger sehen, welchem Bock­mist sie da aufge­sessen sind.

NEGT ÜBER SOLIDARITÄT

Negt: „Die Mechanik der Sol­i­dar­ität zer­stört jede sozial­is­tis­che Poli­tik. Sie ist das schlecht­este Erbteil der Protest­be­we­gung“.
„Mech­a­nisch“ mögen Leute zum Porte­mon­naie greifen, wenn sie einem Mund­har­monikaspieler an der Hauptwache begeg­nen, und mag Bertold Beitz einen Scheck für die Bodelschwingh­schen Anstal­ten in Bethel unter­schreiben — Sol­i­dar­ität ist keine Reflex­hand­lung, was jeder weiß, der jemals sol­i­darisch gehan­delt hat. Oder will Negt mit seiner „Mechanik“ von hin­ten den Begriff der Spon­taneität gle­ich mit erledi­gen? „Spon­tane Sol­i­dar­ität“ … ? Tiefer als Negt kann man den Begriff der Sol­i­dar­ität nicht in den Dreck ziehen und diejeni­gen nicht, die den Mut und die psy­chis­che Wider­stand­skraft auf­brin­gen, bei Gefahr für sich selbst sol­i­darisch zu handeln.

NEGTS KINDER­STUBE
„Unge­beten und oft anonym“ stün­den sie vor der Tür — was glatt gel­o­gen ist, bei Negt stand nie einer — In der Tat, ohne ihre Vis­itenkarte vorher ein­gere­icht zu haben oder dem Ver­fas­sungss­chutz das Ton­band am Tele­fon voll­ge­quatscht. Dann waren sie noch unrasiert und nach­her haben sie das Badez­im­mer vollge­spritzt. Das wollen Rev­o­lu­tionäre sein? Wo kämen wir da hin?

OPPOR­TUNIS­TIS­CHE ANMAßUNG

Statt den Zusam­men­hang zwis­chen Wohl­stand hier und Vere­len­dung dort herzustellen — das hieße: die Ein­heit des Sys­tems analysieren — maßte sich Negt Richter­sprüche an auf­grund einge­bilde­ter Macht, indem er proklamiert: „daß poli­tis­che Moral unteil­bar ist“ — soso (s.o.) — „daß der­jenige, der den Völk­er­mord in Viet­nam toleriert oder gutheißt, das Recht ver­liert, im Namen von Demokratie zu sprechen“ — das Bun­desver­fas­sungs­gericht hus­tet ihm eins — soll er das denen doch mal verklickern.

PRINZIP DER VEREINZELUNG

Die Verbindung zwis­chen Vere­len­dung hier und Vere­len­dung dort — von Sol­i­dar­ität, Erken­nt­nis des Zusam­men­hangs — zu ver­hin­dern, macht sich Negt zur Haup­tauf­gabe: Lokalisierung der Kon­flikte, wie das Sys­tem sie mit allen Mit­teln betreibt.
Negt: „Die unter Sol­i­darisierungszwang ste­hende Masse der Poli­tisierten, der Stu­den­ten, Schüler, Jun­gar­beiter, die sich müh­sam von ihren Fam­i­lien, dem diszi­plin­ieren­den Druck der Betriebe und der Aus­bil­dungssta­tio­nen abge­setzt haben“ — (nicht emanzip­iert, nicht im Prozeß der Befreiung befreit, der weit­ergeht, weiter will, son­dern abge­setzt“) — „ver­lieren allmäh­lich die Fähigkeit, sel­ber Erfahrun­gen zu machen“ — (eine Sozialar­beiterun­ver­schämtheit) — „ständig im Zugzwang, den Anschluß an die radikalsten Posi­tio­nen nicht zu ver­passen, gewin­nen sie ihre labile, außen geleit­ete Iden­tität“ — (woher nimmt er die Frech­heit, mit sozialpsy­chol­o­gis­chen, mit Jugen­damt­s­jar­gon über die herz­u­fallen, über die er da redet?) — „aus der bloßen Iden­ti­fizierung mit den Erfahrun­gen anderer“. Also: die Bild-?Zeitung erfährt nur der, über den sie berichtet, über die Siege des Vietkong darf sich nur der Vietkong freuen. Bomben gegen das US-?Hauptquartier kriegt nur mit, wer sie legt — oder was?

„SELB­STER­NAN­NTE AVANT­GARDE“
Negt: „Selb­ster­nan­nte Avant­garde“ – (also von keinem Kul­tus­min­is­ter ernannt, durch die Beset­zung keiner Mark­tlücke legit­imiert – oder was?) – „spiegeln ihnen gesellschaftliche und geschichtliche Erfahrun­gen vor“ – (denn der anti­im­pe­ri­al­is­tis­che Kampf findet in Wirk­lichkeit gar nicht statt) –, „die der einzelne Schüler, Arbeiter, Lehrling, Stu­dent in den eige­nen Arbeit­szusam­men­hän­gen weder nachvol­lziehen noch auf poli­tis­che Kon­se­quen­zen brin­gen kann“. Wieso iden­ti­fizieren sie sich denn? Glaubt Negt an die Selb­st­fer­ti­gung der Ideen im Hirn? Offenbar.

MATE­RI­AL­IS­TIS­CHE DIALEKTIK

Mao: „Die mate­ri­al­is­tis­che Dialek­tik betra­chtet die äußeren Ursachen als Bedin­gun­gen der Verän­derung und die inneren Ursachen als deren Grund­lage – wobei die äußeren Ursachen ver­mit­tels der inneren wirken.“
Das heißt: Negt – als äußere Ursache – hat für sein dummes Gewäsch in Frank­furt Beifall gekriegt, weil der Oppor­tunis­mus in den Metropolen starke inneren Gründe hat. Die Leute wollen „Frei­heit für Angela Davis“ – aber den Kampf nicht mit der Härte führen wie der Vietkong, wie der Schwarze Sep­tem­ber – das nicht – so verzweifelt über das Sys­tem, ihrer eige­nen Sache so sicher sind sie denn doch nicht, daß ihnen das ’ne Sache aufgeben und Tod wert wäre. Kommt Negt, sagt, braucht ihr auch nicht, wir machen das schon – sind sie erle­ichtert, Beifall.
Dage­gen steht die RAF – ihrer eige­nen Sache so sicher wie die Völker der III. Welt, weil sie deren Führungsanspruch anerkennt, weil sie weiß, daß der Kampf nur mit der Härte geführt wer­den kann, wie die ihn führen. Die RAF – als äußere Ursache – hat zunehmend bei Schülern, Stu­den­ten, Lehrlin­gen Zus­tim­mung gefun­den. Negt hat es bezeugt, ebenso dreck­ige „Mei­n­ung­sum­fra­gen“ haben es bezeugt, Flug­blät­ter, Sprechchöre, Demon­stra­tio­nen, Teach-?ins etc. Aber wie anders als durch „innere Ursachen“? – wie anders als dadurch, daß diese in ihren eige­nen Arbeits– und Leben­szusam­men­hän­gen täglich erfahren, daß eben nur diese Härte, nur die Härte mit der die Völker der III. Welt den Kampf führen, zum Ziel – ihrer Befreiung – führen kann? Negts Gezeter beweist das Gegen­teil von dem, was er behauptet: ger­ade weil Schüler, Lehrlinge, Stu­den­ten in ihren Lebens– und Arbeit­szusam­men­hän­gen – innere Ursache – die Erfahrun­gen der Völker der III. Welt anfan­gen nachzu­vol­lziehen, iden­ti­fizieren die sich mit deren Kampf, mit der RAF, die ihn in die Metro­pole getra­gen hat, die ihn ver­mit­telt – als äußere Ursache.
Wäre es anders, hätte nie ein Hahn nach der RAF gekräht, Gen­scher und Ruh­nau nicht, und Negt wäre mit einem Neben­satz­seit­en­hieb auf die RAF aus­gekom­men in Frank­furt – oder Sein und Bewußt­sein haben nichts miteinan­der zu tun, die mate­ri­al­is­tis­che Dialek­tik wäre ein Hirnge­spinst.
Daß dieser Prozeß nur unendlich langsam, schwer, müh­sam, erst stel­len­weise in Gang gekom­men ist, wis­sen wir. Daß er über­haupt in Gang gekom­men ist, beweist, daß die Sit­u­a­tion „reif“ ist, den anti­im­pe­ri­al­is­tis­chen Kampf auch in den Metropolen aufzunehmen – nicht „reif“ für den Umsturz, aber „reif“ für die anti­im­pe­ri­al­is­tis­che Offen­sive.
Daß es Genossen gibt, die sich selbst zu schade dafür sind, schon in diesem Anfangssta­dium der „Reife“ der Sit­u­a­tion ihr Leben und ihre Frei­heit zu ver­lieren, nur um diesen Prozeß über­haupt erst mal in Gang zu set­zen, beweist, wie groß die Anziehungskraft des Sys­tems in den Metropolen noch ist. Daß es Genossen gibt, denen ihr Leben außer­halb des rev­o­lu­tionären Befreiungskampfes nichts mehr wert ist, beweist, wie groß die Anziehungskraft der Rev­o­lu­tion schon ist. Insofern es keine einzige Idee und keinen einzi­gen Gedanken gibt, der seinen Ursprung woan­ders hat, als im Leben, in der Gesellschaft – da mögen Gedanken, Ideen und Men­schen so viel einges­perrt, aus­ge­bürg­ert, aus­geschlossen und für ver­rückt erk­lärt wer­den, wie man will.
Die Spal­tung der Linken in den Metropolen in einen rev­o­lu­tionären, anti­im­pe­ri­al­is­tis­chen Flügel und einen oppor­tunis­tis­chen hat einge­setzt.
Nicht weil der Oppor­tunis­mus an Boden gewinnt, son­dern weil der ver­liert – wobei er mit Erstarken der linken Bewe­gung noch an Boden gewin­nen wird. Negts Attacke war ein Rück­zugs­ge­fecht. Insofern kann es nur recht sein, daß er oben­drein so saumäßig argu­men­tiert und damit selbst die Demask­ierung des Oppor­tunis­mus vorantreibt. Er macht es uns leicht.

NEGT ALS ALEXAN­DER DER GROßE

„Der Knoten“ aus „mech­a­nisierter Sol­i­dar­ität“, „Min­der­w­er­tigkeit­skom­plexen“, „Tren­nungsäng­sten“, „verz­er­rter Real­ität­sauf­fas­sung“, „Vernebelung der Gehirne“ „kann nur zer­hauen wer­den“ (da hat er recht) – nicht mehr „mit behut­samem Ver­ständ­nis“ aufgelöst. Was heißt: bei Erstarken des linken Flügels der sozial­is­tis­chen Bewe­gung diesen von den Faschis­ten liq­ui­dieren lassen. Was heißt: marx­is­tis­che The­o­rie, ern­sthafte Diskus­sion gle­ich „behut­sames Ver­ständ­nis“ – man ver­schone die sozial­is­tis­che Diskus­sion in der Tat mit Negts pfäff­is­chem Zus­pruch und seiner Seminar-?Pädagogik. Marx und Freud kön­nten zu all dem aller­höch­stens sagen: Wie bitte? Ein völ­lig durchge­drehter, wild um sich schla­gen­der Klein­bürger – dieser Negt. Wenn man nicht wüßte, daß das Sein das Bewußt­sein bes­timmt, kön­nte man auf die Idee kom­men, bei dieser durch und durch kor­rupten Ratte sei „Kor­rup­tion im Spiel“.

DIE OBJEK­TIVE ROLLE DER OPPORTUNISTEN

Für seinen Arbeits­bere­ich hat Negt sie – unvernebelt – dargestellt: „Man sollte sich hüten, die linken Lehrer und Hochschullehrer aus Schulen und Uni­ver­sitäten zu drän­gen“, sie seien die einzi­gen, „die durch alltägliche Über­stun­den, durch Organ­i­sa­tion kleiner Grup­pen“ diesen katas­trophalen Laden „am Laufen“ hiel­ten. Gegen genau diese sys­tem­sta­bil­isierende Inte­gra­tion ihrer Arbeit als „Über­stun­den“ hat­ten sich die Berliner Stu­den­ten der Gege­nuni­ver­sität mit Hän­den und Füßen gewehrt – so kommt die oppor­tunis­tis­che Katze auch aus dem seminar-?marxistischen Sack.

DER KERN: WIS­SENSCHAFT FÜR DIE BOURGEOISIE

Als prak­tis­cher Kern bleibt noch bürg­er­liche Wis­senschaft: „Würde man auch nur einen Teil des Geldes, das für die Bekämp­fung der Krim­i­nal­ität aus­gegeben wird, für die Bekämp­fung der Ursachen aus­geben, dann kön­nte man mit langfristi­gen Wirkun­gen rech­nen; eine Gesellschaft, die diese Min­i­malauf­gabe nicht zu lösen ver­mag, hat ihre Berech­ti­gung ver­loren“ – (laßt Negt mal ran, der wird den Laden schon schmeißen).
Auf diese Art langfristige Wirkung mit Geld statt mil­itärischer Aben­teuer ist die Investi­tion­stätigkeit der multi­na­tionalen Konz­erne berech­net.
Und um das Maß wirk­lich voll zu machen, haut Negt noch den ganzen Marxismus-?Leninismus über Bord: „Es gibt kein objek­tives und ein­deutiges Kri­terium für die Unter­schei­dung zwis­chen rechts und links.“ Wieso nennt sich dieses dumme Schwein noch „Sozial­ist“?
Rosa Lux­em­burg über Bern­stein: „Wie – das ist alles, was ihr zu sagen habt? Kein Split­ter von einem neuen Gedanken! Kein einziger Gedanke, der nicht schon vor Jahrzehn­ten von dem Marx­is­mus nieder­ge­treten, zer­stampft, aus­gelacht, in nichts ver­wan­delt wor­den wäre. Es genügte, daß der Oppor­tunis­mus sprach, um zu zeigen, daß er nichts zu sagen hatte.“ Es genügte, daß Negt offen auf­trat, um zu zeigen, daß er mit den Faschis­ten unter einer Decke steckt – ihr „berufenes“, möglicher­weise „unberufenes Werkzeug“ (R.L.).
Lenin: „Am gefährlich­sten sind Leute, die nicht ver­ste­hen wollen, daß der Kampf gegen den Impe­ri­al­is­mus eine hohle, ver­lo­gene Phrase ist, wenn er nicht unlös­lich verknüpft ist mit dem Kampf gegen den Oppor­tunis­mus.“ Daß die Unter­drück­ten selbst ihnen noch mal ihren ganzen „katas­trophalen Laden“ zusam­men­schla­gen kön­nten, das Sys­tem an seinen eige­nen Wider­sprüchen zugrunde gehen kön­nte – das Bewußt­sein: wir sitzen alle in einem Boot, schweißt Oppor­tunis­mus und Sys­tem zusam­men. Sie quatschen von Sozial­is­mus und meinen das Sys­tem. Sie stellen keine Fra­gen, sie ver­passen Antworten. Nieder­la­gen der Rev­o­lu­tionäre quit­tieren sie schaden­froh: Wieder ein­mal hat das Pferd das Ren­nen gemacht, auf das sie gesetzt haben.

REV­O­LU­TIONÄRES SUBJEKT

Das Prob­lem des Oppor­tunis­mus ist damit, daß Negt sich ent­larvt hat, nicht aus der Welt. Die Bes­tim­mung des rev­o­lu­tionären Sub­jekts aus der Analyse des Sys­tems ist mit der Erken­nt­nis, daß die Völker der III. Welt die Avant­gar­den sind und der Über­tra­gung von Lenins Begriff der „Arbeit­er­aris­tokratie“ auf die Massen in den Metropolen nicht erledigt und nicht abge­tan. Im Gegen­teil: Es läuft über­haupt erst an.
Mit Marx’ Begriff des Lohnar­beit­ers, dem in der Pro­duk­tion der Mehrw­ert aus­gepreßt wird, allein ist die Aus­beu­tungssi­t­u­a­tion der Massen in den Metropolen nicht mehr gedeckt.
Tat­sache ist, daß die Aus­beu­tung im Bere­ich der Pro­duk­tion eine nie dagewe­sene Form der physis­chen Belas­tung, einen nie dagewe­se­nen Grad der psy­chis­chen Belas­tung angenom­men hat, mit der weit­eren Auf­s­plit­terung der Arbeit eine unge­heure Steigerung der Arbeitsin­ten­sität stattge­fun­den hat und fortschre­itet.
Tat­sache ist darüber hin­aus, daß mit der Ein­führung des 8-Std.-tages – der Voraus­set­zung für die Steigerung der Arbeitsin­ten­sität – das Sys­tem sich der gesamten Freizeit der Men­schen bemächtigt hat. Zu ihrer physis­chen Aus­beu­tung im Betrieb ist die Aus­beu­tung ihrer Gefühle und Gedanken, Wün­sche und Utopien dazugekom­men – zur Despotie der Kap­i­tal­is­ten im Betrieb die Despotie der Kap­i­tal­is­ten in allen Lebens­bere­ichen durch Massenkon­sum und Massen­me­dien.
Mit der Ein­führung des 8-Std.-tages hat der 24-Std.- tag der Herrschaft des Sys­tems über den Arbeiter seinen Siegeszug ange­treten – mit der Schaf­fung von Massenkaufkraft und „Einkom­mensspitze“ hat das Sys­tem den Siegeszug über die Pläne, Bedürfnisse, Alter­na­tiven, Phan­tasie, Spon­taneität, kurz: den ganzen Men­schen ange­treten!
Das Sys­tem hat es in den Metropolen geschafft, die Massen so tief in seinen eige­nen Dreck zu ziehen, daß sie das Gefühl für ihre Lage als Aus­ge­beutete und Unter­drückte, als Objekt des impe­ri­al­is­tis­chen Sys­tems weit­ge­hend ver­loren zu haben scheinen, so daß sie für’s Auto, ein paar Plün­nen, ’ne Lebensver­sicherung und ’nen Baus­parver­trag jedes Ver­brechen des Sys­tems bil­li­gend in Kauf nehmen und sich was anderes als ein Auto, eine Ferien­reise, ein gekacheltes Bad kaum noch vorstellen und wün­schen kön­nen.
Daraus folgt aber, daß das rev­o­lu­tionäre Sub­jekt jeder ist, der sich aus diesen Zwän­gen befreit und seine Teil­nahme an den Ver­brechen des Sys­tems ver­weigert. Daß jeder, der im Befreiungskampf der Völker der III. Welt seine poli­tis­che Iden­tität findet, jeder, der sich ver­weigert, jeder, der nicht mehr mit­macht: rev­o­lu­tionäres Sub­jekt ist – Genosse.
Daraus ergibt sich, daß wir den 24-Std.tag des impe­ri­al­is­tis­chen Sys­tems zu analysieren haben. Daß wir für alle Lebens– und Arbeits­bere­iche dieser Gesellschaft nachzuweisen haben, wie sich das Mehrw­er­taus­saugen in ihnen abspielt, wie es sich zur Aus­beu­tung im Betrieb ver­hält, was jew­eils genau der Punkt ist. Mit dem Pos­tu­lat: Das rev­o­lu­tionäre Sub­jekt des Impe­ri­al­is­mus in den Metropolen ist der Men­sch, dessen Tag der 24-Std.-tag unter dem Dik­tat der Bevor­mundung des Sys­tems ist – stecken wir nicht mehr als den Rah­men ab, inner­halb dessen die Klasse­n­analyse gemacht wer­den muß – wir behaupten nicht, daß das Pos­tu­lat schon die Analyse ist.
Tat­sache ist, daß weder Marx noch Lenin noch Rosa Lux­em­burg noch Mao es mit dem Bild-?Leser, dem Fernse­hzuschauer, dem Aut­o­fahrer, dem psy­chol­o­gisch konzip­ierten Schüler, der Hochschul­re­form, der Wer­bung, dem Radio, dem Ver­sand­han­del, dem Baus­parver­trag, der „Qual­ität des Lebens“ usw. zu tun hat­ten. Tat­sache ist, daß das Sys­tem in den Metropolen sich durch seine fortschre­i­t­ende Offen­sive auf die Psy­che der Men­schen repro­duziert und eben ger­ade nicht offen faschis­tisch, son­dern über den Markt.
Nur deswe­gen ganze Bevölkerungss­chichten als für den anti­im­pe­ri­al­is­tis­chen Kampf abgestor­ben zu erk­lären, weil sie in Marx’ Kap­i­tal­is­mu­s­analyse noch nicht vorkom­men kon­nten, ist ebenso wah­n­witzig, sek­tiererisch wie unmarx­is­tisch.
Nur indem es uns gelingt, den 24-Std.-tag auf den imperialistischen-?antiimperialistischen Begriff zu brin­gen, kön­nen wir dazu kom­men, die tat­säch­lichen Prob­leme der Men­schen in diesem so zu for­mulieren und darzustellen, daß wir von den Men­schen ver­standen wer­den, nicht nur unsere Aktio­nen ver­standen wer­den – wie die der RAF ver­standen wor­den sind, son­dern auch unsere Pro­pa­ganda, unsere Sprache, unsere Wörter. Dem Volk dienen!
Wenn die Völker der III. Welt die Avant­garde der anti­im­pe­ri­al­is­tis­chen Rev­o­lu­tion sind, das heißt: die objek­tive, große Hoff­nung der Men­schen in den Metropolen auf ihre eigene Befreiung, dann ist es unsere Auf­gabe: Den Zusam­men­hang her­stellen zwis­chen dem Befreiungskampf der Völker der III. Welt und der Sehn­sucht nach Befreiung, wo immer sie in den Metropolen auf­taucht: in den Schulen, in den Hochschulen, in den Betrieben, in den Fam­i­lien, in den Gefäng­nis­sen, in Großraum­büros, Kranken­häusern, Ver­wal­tun­gen, Parteien, Gew­erkschaften – über­all. Gegen alles, was diesen Zusam­men­hang äußer­lich negiert, unter­drückt, zer­stört: Kon­sum, Medien, Mitbes­tim­mung, Oppor­tunis­mus, Dog­ma­tismus, Herrschaft, Bevor­mundung, Bru­tal­isierung, Vereinzelung.

„Gemeint sind wir!“ Rev­o­lu­tionäres Sub­jekt sind wir.
Wer immer anfängt, zu kämpfen und Wider­stand zu leis­ten, ist einer von uns.
Die Fra­gen, wie und an welcher Stelle das Sys­tem am besten zu bekämpfen, am besten zu erpressen, selbst am schwäch­sten ist – die Frage haben wir zu beant­worten – nicht nach der Devise: eins nach dem anderen, son­dern in der Dialek­tik von The­o­rie und Praxis.

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