Für eine „Grenzmission“ gegen unerwünschte Migration und Waffenschmuggel werden 20 deutsche Polizisten entsandt. Allerdings werden in Libyen Militärs ausgebildet.
Die Europäische Union startet im Juni ihre seit einem Jahr geplante Mission zum Aufbau eines libyschen „Integrierten Grenzmanagements“. Es geht dabei zunächst um die Landgrenze zur Sahara. Die Hälfte des Geldes wird für gepanzerte Fahrzeuge und private Sicherheitsunternehmen ausgegeben. Später werden die EU-Maßnahmen auf die Luft- und Seegrenzen ausgeweitet, Italien liefert ein nagelneues Überwachungssystem. Eine Gendarmerie nach italienischem Vorbild soll aufgebaut werden. Jetzt sondiert auch die NATO Möglichkeiten der Unterstützung.
Ende Mai hat der Rat der Europäischen Union die „EU Integrated Border Management Assistance Mission“ (EUBAM) beschlossen. Bis zu 110 internationale „Experten“ werden nach Libyen entsandt, um dort Angehörige verschiedener Sicherheitsbehörden in der Grenzsicherung auszubilden.
Die Mission steht unter dem Mandat der Hohen Vertreterin der Europäischen Union und fällt in den Bereich der „Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik“ (GSVP). Vorausgegangen war eine offizielle Anfrage der libyschen Regierung. „EUBAM Libya“ läuft zunächst zwei Jahre, dann wird über eine Verlängerung entschieden. Die jährlichen Kosten gibt die EU mit 30 Millionen an.
Die Hälfte des Geldes dient dem Schutz der ausländischen “ Experten“
Zwei Vorab-Missionen hatten im Februar und November 2012 das Land bereist und sich mit zuständigen Behörden getroffen. Hierzu gehörten neben dem Außenministerium sowohl das Innen- als auch das Verteidigungsministerium. Aus den EU-Delegationen ging ein „Kern-Team“ hervor, das seitdem in Libyen arbeitet.
Im Februar wurde „EUBAM Libya“ auf einer Konferenz in Frankreich mit anderen bilateralen Maßnahmen im Bereich „Sicherheit, Justiz und Strafverfolgung“ synchronisiert. Zu den Teilnehmern gehörten Deutschland, Italien, Spanien, die USA, Saudi Arabien, Katar und die Türkei.
Gemäß der jetzigen Verabredung werden Ausbildungsmaßnahmen vor allem in der Hauptstadt Tripolis stattfinden, von der Reise in andere Gebiete wird abgeraten. Auch an die Ausgangssperren sollen sich die westlichen Beteiligten halten, am Beginn steht ein Training zum Verhalten in „feindlicher Umgebung“. Für alle Fälle gehört zur „EUBAM Libya“ auch ein Plan zur Evakuierung.
Die Brisanz der Aktion wird bei den geplanten Ausgaben für gepanzerte Fahrzeuge deutlich: Sie schlagen mit rund sieben Millionen Euro zu Buche. Die nach der sogenannten „B6“-Klasse geschützten Dienstwagen sind mit einem GPS-System zur Nachverfolgung ausgestattet und werden von lokalen Fahrern gesteuert.
Alle internationalen „Experten“ werden überdies von einem Angehörigen privater Sicherheitsdienste begleitet. Allein hierfür werden weitere sechs Millionen Euro veranschlagt. Damit wird fast die Hälfte aller Ausgaben für die Sicherheit der ausländischen Beteiligten aufgewendet, wovon hauptsächlich Sicherheitsfirmen profitieren.
Mission dient der „Sicherheit der EU-Grenzen“
Die EU verfolgt mit EUBAM durchaus eigennützige Ziele: Demnach diene die Mission nicht nur Libyen und der gesamten Region, sondern insbesondere der „Sicherheit der EU-Grenzen“. Dabei geht es vor allem um unerwünschte Migration: Viele Flüchtlinge aus Ländern der Subsahara migrieren über die 4.348 Kilometer lange Landgrenze, um die Überfahrt nach Europa zu wagen. Über 1.770 Kilometer zieht sich die Seegrenze zum Mittelmeer, von wo aus immer wieder Boote mit Migranten in Richtung Griechenland oder Italien in See stechen.
Der frühere Präsident Muammar al Gaddafi war für die europäische Migrationsabwehr von großem Nutzen und schloss mit Italien hierzu eine Vereinbarung (Mehr Benzin, weniger illegale Einwanderung). Nach dem Arabischen Frühling hatten mehrere EU-Mitgliedstaaten Binnengrenzkontrollen eingerichtet oder temporäre Maßnahmen durchgeführt, um über Italien oder Griechenland einreisende Migranten fern zu halten. Mittlerweile hat das Flüchtlingshochkommissariat der Vereinten Nationen in Libyen zwei Maßnahmen zum „Migrationsmanagement“ mit rund 5 Millionen Euro finanziert, die teilweise auch in Tunesien und Ägypten stattfanden.
Laut dem zivil-militärischen Europäischen Auswärtigen Dienst (EAD) dient die EUBAM-Mission aber vor allem der Konsolidierung des Staates. Ihr gingen bereits andere EU-Programme voraus, darunter im Rahmen des sogenannten „Instruments für Stabilität“ sowie weitere „diplomatische Anstrengungen“. Auch die Türkei hat libysche Polizisten ausgebildet, andere arabische Länder planen ähnliche Maßnahmen. Die Vereinigten Arabischen Emirate waren mit Kursen für Militärs zur Stelle, gelehrt wurde unter anderem die Sicherung von Grenzen. Die Polizeiorganisation INTERPOL hilft hingegen beim Aufbau von Polizeidatenbanken, die internationalen Standards genügen.
Nach Tunesien ist Libyen das zweite arabische Land, in dem westliche Regierungen enorme Kapazitäten zur Unterstützung einer „Sicherheitssektorreform“ einsetzen. Dass dabei Militär und Polizei zusammenarbeiten, wird vom Auswärtigen Dienst sogar gelobt. Ob dies auch für den Geheimdienst Libyens gilt, erklärt der EAD nicht: Dessen militärische und polizeiliche Verantwortlichkeiten sind mittlerweile in einem einzigen Direktorat gebündelt.
Die libysche Regierung soll innerhalb von EUBAM befähigt werden, mit Nachbarstaaten gemeinsame Patrouillen durchzuführen oder an Grenzstationen besser zusammenzuarbeiten. Libyen soll zugleich in andere zivil-militärische EU-Mission in der Region eingebunden werden, darunter im Niger oder in Mali.
Grenzschutzagentur FRONTEX von Anfang an involviert
Deutsche Polizisten werden den libyschen Sicherheitsbehörden beim „Ausbau ihrer operativen Fähigkeiten“ helfen. Die Bundesregierung führt als Gründe für ihre Beteiligung neben „unkontrollierter Migration“ auch „grenzüberschreitende terroristische Aktivitäten“ und „Waffenhandel“ an, wodurch „europäische Sicherheitsinteressen“ tangiert würden. Das Bundeskabinett hat deshalb beschlossen, bis zu 20 deutsche Polizisten zu entsenden. Ihr Einsatz kann noch diesen Monat beginnen. Weil mit Unmut der Bevölkerung gerechnet wird, sind die Beamten bewaffnet. Im Falle eines erfolgreichen Abschlusses winkt eine eigens für „EUBAM Libya“ konzipierte Medaille.
Die Lage an den libyschen Grenzen ist unübersichtlich. Nur zwei Kontrollstationen an den Landgrenzen werden von der Polizei betrieben, alle anderen sind in der Hand von früheren Milizen oder anderen regionalen Zusammenschlüssen. Vor allem im Süden wird der grenzüberschreitende Verkehr von Clans kontrolliert. Über den Seeweg können derzeit keine regulären Ein- und Ausreisen stattfinden, auch die Hälfte aller Grenzstationen an Flughäfen ist geschlossen. Die Zuständigkeit für die Seegrenzen liegt teils bei der militärischen und teils bei der polizeilichen Küstenwache, aber auch den Hafenbehörden und der Marine.
Im Dezember hatte das Militär in den südwestlichen Provinzen den Ausnahmezustand ausgerufen und damit die Verantwortung für die Grenzsicherung übernommen. Betroffen waren die Übergänge zu Algerien, dem Niger und dem Tschad. In damaligen Verlautbarungen der Regierung wurde die Maßnahme mit dem Kampf gegen unerwünschte Migration und Waffenschmuggel begründet (Libyen schließt Grenzen und ruft Ausnahmezustand aus).
Jetzt soll die Macht der Polizei gegenüber dem Militär gestärkt werden. Worauf sich die EU-Trainings in Libyen konkret beziehen sollen, ist aber fraglich: Das zuständige Polizeigesetz ist noch nicht ins Englische übersetzt, die ausländischen Polizisten müssten also arabisch können.
In einigen EU-Mitgliedstaaten liegt der Grenzschutz in den Händen sogenannter Gendarmerien, die teilweise dem Verteidigungsministerien unterstellt sind. In Ländern wie Italien oder Spanien ist die polizeiliche Zusammenarbeit mit Militärs im Gegensatz zu Deutschland also durchaus üblich. Die deutschen Bundes- und Länderpolizisten könnten damit aber gegen das verfassungsrechtliche Trennungsgebot von Polizei und Militär verstoßen.
Das hat auch die Bundesregierung gemerkt und verspricht, dass deutsche Polizeibeamte keine Angehörigen der libyschen Streitkräfte ausbilden. Denn zum Glück erfolge der Grenzschutz in Libyen nur „zum Teil in militärischer Verantwortung“. Gleichwohl wird die schwierige innenpolitische Situation unterstrichen und die Einschätzung geteilt, dass die libysche Regierung „keine effektive Kontrolle über die ausgedehnten Landesgrenzen“ ausübt. Clans werden von der Bundesregierung als „bewaffnete Banden“ bezeichnet.
In die Planung und Durchführung der EUBAM-Mission ist auch die EU-Grenzschutzagentur FRONTEX involviert. FRONTEX setzt sich aus Grenzpolizeien der EU-Mitgliedstaaten zusammen und hat ihre Zentrale in Warschau. Mit dem Einsatz in Libyen arbeitet die Agentur erstmals in bedenklicher Nähe zu militärischen Kapazitäten. Damit die Trennung dennoch formal gewahrt bleibt, wird die Agentur vermutlich über einen Verbindungsbeamten an die EU-Mission angebunden. Führende libysche Sicherheitskräfte sollen dann im Hauptquartier von FRONTEX in Warschau hospitieren.
Schulungen bei der Europäischen Gendarmerietruppe
Derzeit werden die Schiffsüberwachungssysteme und Radaranlagen an der Küste modernisiert, Italien hübscht mehrere alte Patrouillenschiffe wieder auf, vorhandene Hubschrauber müssen aber überholt werden. Das dürfte die italienische Rüstungsindustrie freuen, die mit AgustaWestland/ Finmeccanica bereits während der Herrschaft Gaddafis eine Hubschrauberfabrik im Land angesiedelt hat (Rüstungskonzerne wittern Milliardenaufträge für Grenzsicherung in Libyen). Eine italienische Expertengruppe soll bald den Bedarf für weitere Modernisierungen ausloten.
Aus Italien kommen überdies Ausbildungsmaßnahmen, darunter strategische Fortbildungen durch die quasi-militärischen Carabinieri, die Marine und die Armee. Das Innenministerium lehrt polizeiliche Ermittlungstechniken, während die Zollpolizei Guardia di Finanza beim Grenzmanagement hilft. Mehrere Dutzend libysche Befehlshaber werden in der Polizeiakademie in Vicenza ausgebildet, um in Libyen eine Gendarmerie nach italienischem Vorbild aufzubauen. Die Einrichtung wird von der Europäischen Gendarmerietruppe (EUROGENDFOR) betrieben und geht auf einen Beschluss der G8-Staaten zurück (Peacekeeping mit Gummiknüppel und Tränengas).
Weitere Ausstattungshilfe aus Italien wird noch über den „Freundschaftsvertrag“ von 2008 abgewickelt, kommt nun aber der neuen Regierung zugute. Verabredet wurde damals, dass ein großer Teil der massiven Finanzhilfen für Libyen in Italien reinvestiert werden müssen. Hierzu gehört die Errichtung eines Überwachungssystems für die libyschen Grenzen, das bereits unter Gaddafi begonnen wurde. Nutznießer ist mit der Firma SELEX wieder ein Konzern der Finmeccanica-Gruppe (Lizenz zum Töten?). Die Rede ist von Kosten in dreistelliger Millionenhöhe. Italien liefert zudem mehrere Radpanzer.
Die aufpolierte libysche Grenzüberwachung wird in Kapazitäten der EU eingebunden: Im letzten Sommer hatte die damalige Regierung erklärt, sich als erstes afrikanisches Land am neuen EU-Grenzüberwachungssystem EUROSUR zu beteiligen. Zwei libysche Kommandozentralen in Tripolis und Bengasi sollen dafür an ähnliche, italienische Lagezentren angebunden werden (Libyen wird polizeilicher Vorposten der EU).
Weitere Unterstützung durch die NATO im „Sicherheitsbereich“
Vorher hatten libysche Behörden ein Auge auf das US-Überwachungssystem entlang der mexikanischen Grenze geworfen. Mit dem Auftrag für SELEX würde sich die italienische Rüstungsindustrie gegenüber US-amerikanischen Interessen durchsetzen. Unter Gaddafi wäre ein ähnlicher Deal möglicherweise sogar zustande gekommen: Ausweislich einer Botschaftsdepesche hat der frühere libysche Präsident mehrmals militärische Ausrüstung nachgefragt und im Gegenzug die Bekämpfung von „Terrorismus“ und die Sicherung der Grenzen versprochen.
Zu den Polizisten und Gendarmen der „EUBAM Libya“ gesellen sich jetzt weitere Militärs: Mittlerweile plant die NATO eine Unterstützung der zivil-militärischen EU-Mission. Eine entsprechende Entscheidung wurde beim NATO-Gipfel in Brüssel verkündet. Auf Anfrage der libyschen Regierung ist nun eine „Delegation auf Experten-Ebene“ unterwegs, um eine Zusammenarbeit zu konkretisieren.
Worin die Nachhilfe im „Sicherheitsbereich“ bestehen soll, verraten die 28 NATO-Minister aber nicht. Der NATO-Generalsekretär Fogh Rasmussen hatte sich vor der Entscheidung mit Barack Obama getroffen. Der US-Präsident sprach wie bei „EUBAM Libya“ von der Grenzsicherung und einem Kampf gegen „Terrorismus“. Hinterher kommentierte Obama, die NATO müsse „an dieser Front eine wichtige Rolle spielen“.