SDS und APO, Agit 883 und 2. Juni, RAF und Hafenstraße: Anne Reiches autobiographischer Rückblick »Auf der Spur«
Anne Reiche: Auf der Spur. Edition Cimarron, Berlin 2018, 274 S., 15 Euro
In dem Buch »Auf der Spur« erzählt Anne Reiche ihre Lebensgeschichte. Mitte der 1960er Jahre im SDS und in der APO politisiert, hatte sie unter wechselnden Bedingungen zusammen mit anderen existenzielle Entscheidungen zu treffen – immer auf der Suche nach einer politischen Praxis, die reale Veränderungen erkämpft und zugleich für sie selbst stimmt. Sie beschreibt ihre Erfahrungen und Überlegungen in einem lockeren Stil, ohne in Rechtfertigungen oder Distanzierungen zu verfallen.
1965 zog sie mit 19 nach Westberlin, wurde bald in der Studentenbewegung aktiv und Teil einer militanten Subkultur, die ihre Wurzeln im Rock ’n’ Roll hatte und mit den Befreiungskämpfen sowohl der afroamerikanischen Bürgerrechtler als auch im Trikont solidarisch war. Auseinandersetzungen mit überkommenen Organisationsformen folgten Demos, Teach-ins und Aktionen gegen den Krieg der USA in Vietnam, gegen den Springer-Konzern, gegen Sexismus, polizeiliche Repression und Klassenjustiz, gegen die Notstandsgesetze. Ein »abenteuerlicher Lebenslauf ohne Ehrgeiz und Anpassungswillen«, wie sie später feststellte.
Neben den Schwächen und Stärken des ganzen Aufbruchs vermittelt Reiches Buch vor allem die Begeisterung, mit der die Auseinandersetzungen geführt wurden. Arbeitskreise, die erste Frauenkommune, der Berliner Blues, die Zeitschrift Agit 883, Ton Steine Scherben, Georg-von-Rauch-Haus, schließlich die Anfänge der Bewegung 2. Juni.
Immer wieder hinterfragt die Autorin für sich den Weg, auf dem sie zehn Jahre Knast kassiert hat. Sie schloss sich hinter Gittern dem Kampf der Gefangenen aus der RAF an, um nicht alleine unterzugehen. Nach ihrer Freilassung 1982 suchte und fand sie neue kollektive Ansätze. Der Häuserkampf in der Hamburger Hafenstraße wurde für sie schließlich die Sache, bei der sie das Gefühl bekam, politisch und persönlich »angekommen« zu sein. Die Mobilisierung für den Erhalt der besetzten Häuser bekam starken Aufwind mit der Organisation eines »Viva St. Pauli Konzerts« und dem Konzept einer »sozialen Straße«, aber es gab auch Rückschläge und Entwicklungen, die von ihr nicht ohne Kritik hingenommen wurden.
Der wohl wichtigste Teil von »Auf der Spur« befasst sich mit Auseinandersetzungen in Hamburg, von ersten Kämpfen im Hafen bis zum Widerstand gegen »G 20«. Erfahrungen, die nichts an Aktualität verloren haben. In einfacher und direkter Sprache reflektieren Anne Reiches Erinnerungen die sozialen und politischen Hintergründe einer rebellischen Zeit, aber vor allem zeigen sie eigene Beweggründe auf, sich für oder gegen etwas zu entscheiden, die eine oder andere Konfrontation einzugehen. Wenn sie eine Art Bilanz darstellen sollen, so wäre zu schließen, dass die Anstrengung, auf der Spur zu bleiben, nie aufhört. Und die Lust dazu auch nicht.
Von Ron Augustin, junge Welt 17.8.18