Ein Interview mit dem Anarchisten Tásos Theofílou in Eimerída ton Syntaktón
„Achwachikó“ lautet der Titel seines letzten Buches mit Geschichten, Eindrücken und Bildern aus dem Knast, wo er bis zu seinem Freispruch im Sommer 2017 fünf lange Jahre eingesperrt lebte, ohne je aufzuhören seine Unschuld herauszuschreien. Heute ist der Anarchist Tásos Theofílou erneut von Inhaftierung bedroht.
Er arbeitet als freier Journalist und Café-Kollektivist in Athen, seine drei im Knast geschriebenen Bücher werden demnächst in New York erscheinen und gerade kam in Griechenland der zweite Comic nach seinen Entwürfen heraus. Erste Schreiberfahrungen sammelte der damals 29-jährige Theofílou auf dem blog „Paranouarikó“, wo er pulp- und noir-Erzählungen veröffentlichte. Diese wurden später im Prozess als Beweis für sein „gewalttätiges Proil“ herangezogen. Die Anklage warf ihm die Teilnahme an einem Banküberfall auf der Insel Paros vor, wo die Bankräuber auf ihrer Flucht einen Taxifahrer erschossen. Eine Woche später, am 18. August 2012, wurde Theoilou in Athen verhaftet, des Überfalls, des Mordes und der Mitgliedschaft in der Organisation „Verschwörung der Feuerzellen“ beschuldigt und inhaftiert. Der Prozess begann im November 2013. Keiner der Zeugen erkannte ihn als Tatbeteiligten wieder, als einziges Indiz wurde ein Hut mit – laut Antiterrorpolizei – seiner DNA präsentiert, den einer der Bankräuber getragen haben soll. Ein Hut, der auf keinem Tatortfoto zu sehen ist, der vor Ort nicht sichergestellt wurde, den kein Zeuge wiedererkannte und der erst Wochen später in der
Aservatenkammer auftauchte. Trotzdem verurteilte ihn das Gericht, zu 25 Jahren Haft wegen Mittäterschaft. Unterstützt von einer breiten Solidaritätsbewegung ging Theofílou, der „noch nie im Leben auf Páros war“, in Berufung und wurde im Sommer 2017 von allen Anklagepunkten freigesprochen und aus der Haft entlassen. Doch Anfang April 2018 stellte der zuvor für die „Antiterroreinheiten“ der Polizei zuständige und jetzt am Arios Págos, dem obersten Gerichtshof, tätige Staatsanwalt, I. Angelís, den Antrag auf Aufhebung des Freispruchs. Seit dem 11. Mai 2018 wird dieser Antrag vor dem Arios Págos verhandelt. Sollte ihm stattgegeben werden, müsste Theofílou in Haft und das Verfahren würde mit anderen Richtern erneut beginnen.
Interview in Eimerída ton Syntaktón vom 14. April 2018:
Dina Daskalopoúlou: Vor acht Monaten wurdest du im Berufungsverfahren freigesprochen. Wie fängt man nach fünf Jahren Knast ein neues Leben an?
Tásos Theofílou: Alles startet bei Null. Stell dir vor, ich hatte nicht einmal Klamotten außer ein paar zerschlissenen Trainingsanzügen, die ich im Knast trug. Die
meisten meiner Sachen sind seit meiner Verhaftung beschlagnahmt und es können noch Jahre vergehen bis ich die zurückbekomme. Sogar den Personalausweiß und den Führerschein musste ich mir neu ausstellen lassen. (…) Verglichen allerdings mit einem durchschnittlichen Inhaftierten, der rauskommt, war es für mich viel einfacher. Abgesehen von der grenzenlosen moralischen und psychologischen Unterstützung und all der praktischen Hilfe meiner Freunde und Freundinnen sowie meiner politischen Szene, war ich auch nicht stigmatisiert oder mit den Vorurteilen konfrontiert, die anderen Menschen aus dem Knast entgegenschlagen. Sogar wenn mich das Athener Berufungsgericht nicht mehrheitlich für unschuldig erklärt hätte, hatte mich die Gesellschaft schon einstimmig freigesprochen.
Während du in die Außenwelt zurückkehrst, beantragt der Staatsanwalt die Aufhebung des Urteils.
Diese hartnäckige Krimminalisierung durch den (…) Staatsanwalt am Arios Págos, I. Angelis, bewegt sich hart an der Grenze persönlicher Boshaftigkeit und Feindschaft. Aber selbstverständlich ist das Thema alles andere als das, es ist im Gegenteil hochpolitisch. Es betrifft die Art und Weise wie hier Recht gesprochen wird und die absolute Skrupellosigkeit bestimmter herrschender Zirkel der griechischen Justiz . Es betrifft außerdem, ganz konkret, das An
titerrorgesetz sowie den völlig unkontrollierten Gebrauch des berüchtigten DNA-Beweises in Strafprozessen, den die momentane Regierung noch immer nicht begrenzen will. Und wenn der Arios Págos (…) dem Antrag zur Aufhebung des Urteils stattgibt, dann werde ich mich erneut im Knast wiederinden, mit allen anfänglichen Anklagepunkten, auf die Wiederholung der Berufungsverhandlung durch Richter wartend, die eher dem Geschmack der Antiterroreinheiten entsprechen.
Eine Reihe junger Menschen deiner Generation sind in den letzten Jahren mit staatlicher Repression konfrontiert und haben Monate oder gar Jahre im Gefängnis verbracht. Gibt es etwas, was euch verbindet?
In jeder Generation gibt es entsprechende Fälle. Der Unterschied zu meiner Generation ist, dass wir nach dem Ausbruch der ökonomischen Krise mit einer Repressionswelle bisher nicht gekannter Heftigkeit konfrontiert waren. Zu Dutzenden saßen wir in den letzten zehn Jahren im Gefängnis; alles im Rahmen des staatlichen Repressionskonzepts gegen die anarchistische Bewegung und die verschiedenen widerständigen Bewegungen und sich entwikkelnden Szenen. Sei es das brutale Zusammenschlagen, seien es die unbegründeten Verhaftungen von Demonstrant*innen durch die MAT-Sondereinsatzkommandos, seien es die vielen Anklagen, die mit dem Kampf
gegen den Goldabbau in Skouriés auf Chalkidikí zu tun haben, oder seien es die Verhaftungen des „Antiterror-Kreuzzugs“, es handelt sich offensichtlich immer um Ausschnitte des selben Bildes.
Die Solidaritätsbewegung zu dir oder auch zu Iriánna (siehe GWR 412, September 2017) ging über die anarchistische Bewegung hinaus und mobilisierte unzählige demokratische Bürger*innen.
Es gibt Fälle wie meinen und den Iriánnas, in denen die staatliche Repression derart extreme Formen annimmt, dass die Selbstschutzrelexe der Gesellschaft, oder zumindest ihrer fortschrittlichsten Teile aktiviert werden. In diesen Momenten wird die Botschaft der Herrschenden, die nichts anderes als eine Drohung an alle gegen ihre Interessen Kämpfenden ist, gegen sie gewendet. Die Repression wird bloßgestellt und ihre staatlichen Träger – Polizei und Justiz – müssen sich der Mühe der öffentlichen Kritik stellen. Plötzlich sind Themen wie das Antiterrorgesetz, oder die Zügellosigkeit, mit der Polizei und Gerichte DNA-Beweise konstruieren, oder die Kriminalisierung persönlicher und politischer Beziehungen, wieder Teil der öffentlichen Auseinandersetzung. Wenn ein Fall derart offen und skrupellos konstruiert ist, schadet das letztendlich den Herrschenden.
Fünf verlorene Jahre im
Knast, du hast dagegen auch schöpferisch gekämpft und drei Bücher geschrieben.
Ganz klar, der Knast ist eine Erfahrung, die ich gerne vermieden hätte. Eine schmerzhafte Erfahrung. Das eingesperrt Sein, der Entzug deiner wichtigsten Sinne und Gefühle. Du kannst nichts berühren, nichts sehen, sogar die Bandbreite der Gerüche ist eingeschränkt. Um deine Familie für eine halbe Stunde unter Aufsicht der Schließer zu sehen, musst du einen Antrag an die Gefängnisleitung stellen. Du lebst auf einem Raum von zwei mal drei Metern mit Menschen zusammen, die du dir niemals ausgesucht hättest und hast keinerlei Macht über dein eigenes Leben. Ich habe versucht, die Auswirkungen in Grenzen zu halten und die Situation für mich so zu drehen, dass noch irgendetwas Positives dabei rauskommt. Ich habe versucht, das Funktionieren des Knastes und der in ihm eingeschlossenen Menschen zu beobachten und zu beschreiben.
All die Jahre hast du nie aufgehört für die Anerkennung deiner Unschuld zu kämpfen und deine Überzeugungen zu verteidigen. Was half dir aufrecht und kämpferisch zu bleiben?
Die Bewegung der ich angehöre, meine Genoss*innen, meine Freund*innen, natürlich meine Familie und die Tatsache, dass ein Teil von mir immer draußen war. Ich habe mir den Bezug zur Außenwelt immer erhalten und so sehr ich das Leben im Knast auch beobachtet und festgehalten habe, so wenig habe ich mich als Teil davon verstanden. Sogar wenn ich daran dachte, dass ich vielleicht zwanzig Jahre absitzen muss. Gleichzeitig waren es fünf Jahre des Kampfes, sowohl für meinen eigenen Fall als auch der Gefangenenkämpfe allgemein oder der Kämpfe der politischen Gefangenen.
Interview: Dina Daskalopoúlou
Einleitung und Übersetzung: Ralf Dreis
graswurzelrevoultion sommer 2018/430