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[England] Brief von Sam (August 2018)

Hallo, hier ist Sam,

Ich war in den letzten Monaten an einem sehr dunkeln Ort. Ich bin Bipolar, aber es lag nicht daran. Für mich war der Spaß vorbei und ich hatte genug von allem, von Leuten die durchgehend und den ganzen Tag nur Mist erzählen, vom Geräusch der Schlüssel, Türen die zufallen, Kämpfen, Prügeleien, Scheißmusik aus anderen Zellen, dem Essen, der Langeweile, der kompletten beschissenen Routine. Ich habe noch niemals während meiner Haft so sehr gekämpft und glaubt mir, als ich in Holloway war, nackt, verletzt, geschlagen, isoliert und ohne meine Medikamente, war ich depressiv, aber das hier fühlte sich viel intensiver an. Verzweiflung, totale Verzweiflung. Ich habe keine Worte, um es zu beschrieben.

Als Nicole mich besuchte, weinte ich wochenlang und ich wollte nie, dass meine wunderschöne Nicole sich noch mehr Sorgen um mich macht, als ohnehin schon, aber ich konnte es nicht kontrollieren. Ich hoffte nur, dass sie draußen Unterstützung hat. Ich dachte an Selbstmord und war ziemlich besessen von der Idee. Ich wollte es nicht tun, da ich bis zu meiner Berufung leben muss und hoffentlich den freien Boden küssen kann. Falls nicht, na gut, ich würde meine ungezähmte Seele ziehen lassen, wir gehören nicht wirklich hier her!

Am 10. Juli feierte ich einen weiteren Geburtstag, meine Gefährt*innen bereiteten mir viel Freunde und ich fühlte mich wirklich besonders an diesem Tag. Nicole’s Geburtstagskarte brachte mich zum Weinen; es war eine Karte von Moonpig mit verschiedenen Fotos von uns und einem darauf geschriebenen Spruch. Es brachte mir so viele wertvolle Erinnerungen zurück. Meine loyale gute Gefährtin Lorraine schickte mir eine Karte, die mir die Tränen in die Augen trieb. Bless them. Vielleicht hat das Wissen, dass ich bereits meinen 11. Geburtstag in diesem Höllenloch verbringen muss, meine Depression ausgelöst, ich weiß es nicht.

Und meine Gesundheit, der Krebs – er hat nicht gestreut, danke verdammt! Ich warte nun bis zum 25., dann sehe ich den Arzt und hoffe zu verstehen, wie es nun weitergeht. Ich bin es gewohnt im Unklaren gelassen zu werden. So oft werde ich im Unklaren gelassen.

Ich bin wirklich glücklich, weil ich ein paar Postkarten von Unterstützer*innen, meist aus anderen Ländern, bekommen habe. Wie kann es sein, dass komplett Fremde sich die Zeit nehmen, mir zu schreiben WOW?! Es stellt meinen Glauben, dass es doch noch einige gute Menschen auf der Welt gibt, wieder her.

Meine liebste Gefängnis-Freundin, eine Freundin fürs Leben die ich 2012 in Holloway traf und mit der ich in 3 Knästen gemeinsam war, wird bald hier sein. Soviel ich weiß, könnte es heute soweit sein. Ihr Name ist Kathy und ich weiß, dass es ihr nichts ausmacht, dass ich sie erwähne, eine weitere „lifer“ (Anm.: zu lebenslanger Haft verurteilte Person). Ich gehe immer wieder zum Empfangsfenster um nachzuschauen, ob ich sie dort sehe. Ich wünschte, sie würde sich beeilen, ich brauche sie.

Ich habe viel Zeit mit einem jungen Mädchen Namens Sophie verbracht, sie ist 18 Jahre alt und leidet an Anorexie und wiegt 39 kg! Dazu kommt noch Bulimie, PTSD (Posttraumatische Belastungsstörung), OCD (Zwangsstörung) und Züge einer Schizophrenie. Sie wird Hallo sagen – sie ist wie eine Tochter für mich und will Hallo sagen:

„Hallo Leute, ich habe noch nie an ein weltweites Publikum geschrieben, aber jetzt mache ich es. Ich bin 18 Jahre alt und Sam Faulder sehr dankbar. Sie ist immer für mich dagewesen – wie ihr wahrscheinlich alle wisst, ist sie eine Inspiration für uns alle! Sie ist eine gutherzige, großzügige, wundervolle und einzigartige Frau, die ich um nichts in der Welt ändern würde! Sie hat es immer geschafft, ein Lächeln auf mein Gesicht zu zaubern und schaffte es, dass ich mich sicher, geliebt und geschätzt fühle – also, hier ist ein riesen Gruß an Sam, meine beste Freundin <3 J xxxxxxx“

Das kam unerwartet, sie hat es mir vorgelesen und meine Augen füllten sich mit Tränen.

Es ist 16.30 Uhr und ich bin von jetzt an bis morgen früh um 08:45 Uhr eingesperrt. Wir wurden um eine halbe Stunde betrogen, denn eigentlich werden wir um 17 Uhr eingeschlossen. Ich verstehe nicht und werde auch niemals verstehen, warum wir nicht alle zusammenhalten und für unsere Rechte kämpfen. Aber nein, sie haben zu viel Angst, ihren Fernseher zu verlieren, wie erbärmlich. Es gibt nicht mehr viele Old-School Gefangene, es ist eine andere Generation und solange sie ihr Telefon haben, sind sie glücklich.

Ich habe eine großartige Freundin, die 69 Jahre alt ist und die meiste Zeit ihres Lebens gesessen hat. Sie ist eine richtige Frohnatur und es ist eine Ehre, sie zu kennen. Ich liebe alles an ihr! Sie wird bald gehen, es sieht laut dem Prospekt aus, wie ein Pflegeheim. Wie dem auch sei, ich wasche ihr Bettzeug, […], putze das Bad und wische den Boden. Sie bringt mich mindestens einmal die Minute zum Lachen und ist die inspirierendste Frau, die ich jemals getroffen habe, und wenn ich in ihrem Alter nur halb so positiv dem Leben gegenüber bin, bin ich gesegnet.

So, das dürfte alles gewesen sein. Danke, wenn du das hier liest und mir eine Postkarte oder einen Brief geschickt hast, ihr wisst wer gemeint ist. Jede einzelne Nachricht bedeutet mir so viel und wenn ich eure Post öffne ist mein Lächeln riesig und echt. Bis zum nächsten Mal, willkommen in meinem Leben!!

Mit Hoffnung im Herzen,

Sam

August 2018
Quelle: freedom for sam, Übersetzt von ABC Wien

https://www.abc-wien.net/?p=5453#more-5453