FOLGEN DES »WASEN-PROZESSES« Antifaschisten droht Ruin

Mitglied rechter Scheingewerkschaft will 140.000 Euro von verurteilten Nazigegnern »Jo« und »Dy« erstreiten. Rote Hilfe sammelt Spenden
Von Janka Kluge junge Welt 5.10.22

Im Knast schmoren sie schon. Den beiden »Jo« und »Dy« genannten Stuttgarter Antifaschisten droht nun auch noch eine hohe Geldstrafe. Gegen die vor gut einem Jahr wegen des Angriffs auf Führungsleute der rechten Pseudogewerkschaft »Zentrum Automobil« verurteilten Joel P. und Diyar A. hat einer der Attackierten, Andreas Ziegler, eine zivilrechtliche Schadenersatzforderung erhoben. Die Höhe des geforderten Schmerzensgelds allein beläuft sich auf 140.000 Euro. Hinzu kommen bei einer Niederlage vor Gericht dann noch die Prozesskosten.

»Immer wieder werden linke Aktivist*innen zusätzlich zu Strafverfahren mit hohen Zivilforderungen überzogen und sollen damit in den finanziellen Ruin getrieben werden«, erklärte Anja Sommerfeld vom Bundesvorstand der Rote Hilfe e. V. am Dienstag gegenüber junge Welt. Die Solidaritätsorganisation protestiere »entschieden gegen diese Einschüchterungsversuche gegen fortschrittliche Bewegungen und soziale Kämpfe«. »Wir stehen an der Seite der Betroffenen.« Die Organisation startete einen Spendenaufruf, um Geld für Jo und Dy zu sammeln.

Dem unter anderem auf der Internetseite notwendig.org veröffentlichten Spendenaufruf zufolge wird Zieglers zivilrechtliche Forderung als Teil der staatlichen Repression gewertet. Ihr müsse sich die antifaschistische Bewegung »gemeinsam und solidarisch stellen«. Die Kampagne selbst wurde in Anlehnung an die Werbespots eines bekannten Kreditkartenunternehmens gestaltet. So lautet das Motto »Ein Prozess in Stammheim? Einige Sagen: krass. Wir sagen: unbezahlbar!« Auf der Fotoplattform Instagram werden dazu Grafiken verbreitet mit Sprüchen wie »Antifa-Sturmhaube: vier Euro. Antifa-Shirt: 15 Euro. Antifa-Prozess in Stammheim: unbezahlbar«.

In einem aufwendigen Prozess waren im Oktober 2021 Joel P. und Diyar A. zu viereinhalb bzw. fünfeinhalb Jahren Haft verurteilt worden. Diese mussten sie im August antreten. Am Rande eines rechten Aufmarsches gegen die staatlichen Maßnahmen gegen die Coronapandemie im Mai 2020 in Stuttgart sollen P. und A. die Scheingewerkschafter attackiert haben. Deren Anwälte hatten ein sogenanntes Adhäsionverfahren geführt. Dadurch war die Höhe des Schmerzensgelds von 140.000 Euro von Anfang an Teil des Verfahrens. Der Streitwert war in der Urteilsbegründung nicht noch einmal bestätigt worden. Deshalb wird es zu einem weiteren Zivilverfahren kommen. Außerdem können die Krankenkassen der Angegriffenen die Kosten für die Behandlungen ebenfalls noch geltend machen. Ziegler war schwer am Kopf verletzt und im Krankenhaus mehrere Wochen in ein künstliches Koma versetzt worden. Vor Gericht hatte er angegeben, unter den Folgen der Verletzung immer noch zu leiden und einen Teil seines Sehvermögens eingebüßt zu haben.

Obwohl das Verfahren sich über 20 Verhandlungstage hinzog, konnten keine eindeutigen Beweise erbracht werden, dass Jo und Dy für Zieglers Verletzungen verantwortlich sind. Die Verurteilung bezog sich auf einen angeblichen Polizeispitzel in Stuttgarts antifaschistischer Szene. Der habe seinem »V-Person-Führer« vom Staatsschutz gesagt, gehört zu haben, dass Dy bei dem Angriff dabei gewesen sei. Er könne aber, so der Staatsschutzbeamte, aus Sicherheitsgründen nicht vor Gericht aussagen. Der Schutz des angeblichen »V-Manns« war der Polizei so wichtig, dass nicht einmal einer nichtöffentlichen Anhörung oder einer Aussage per Videoaufzeichnung des Mannes zugestimmt worden war.

Die weiteren »Beweise« der Staatsanwaltschaft waren eher dürftig. Ein der Angegriffenen gab an, einer der Täter habe kurdisch gesprochen. Zuerst sei er von serbisch ausgegangen. Als er aber einen Kollegen auf der Arbeit gebeten habe, kurdisch zu sprechen, sei ihm klar gewesen, dass es genauso geklungen habe. Dy ist auch kurdischer Aktivist.

Das Gericht stütze sich auf eine Tierabwehrpistole, die am Tatort gefunden wurde. An ihr fand sich ein Haar von Dy. Bevor sie untersucht wurde, hatte die Polizei einen Probeschuss abgegeben und konnte deswegen vor Gericht nicht sagen, ob sie zuvor jemals benutzt worden war.

Bei großangelegten Hausdurchsuchungen in Stuttgart und Tübingen wurden bei Jo auch Handschuhe beschlagnahmt. An ihnen wurde bei einer kriminaltechnischen Untersuchung eine genetische Spur von Ziegler gefunden. Im Verfahren stellte sich aber heraus, dass die Untersuchung so schlampig durchgeführt wurde, dass das DNA-Material auch durch die Untersuchung an die Handschuhe gekommen sein konnte. Eine Revision des Verfahrens wurde trotz alledem abgelehnt.