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Gaza: 120 Palästinenser getötet – 13.190 verletzt, darunter 2.096 Kinder

(PN) 23.05.2018 – Am Wochenende sind weitere drei Palästinenser an den Verletzungen gestorben, die ihnen am Montag letzter Woche israelische Scharfschützen zugefügt hatten. Damit hat sich die Zahl derjenigen, die während der Proteste am Grenzzaun von Gaza durch israelische Gewalt getötet wurden, auf 120 erhöht. Nach neuesten Erhebungen des Palästinensischen Gesundheitsministeriums wurden seit dem 30. März im übrigen 13.190 palästinensische Demonstranten verletzt, mehr als 4.000 durch scharfe Munition oder gummiummantelte Stahlkugeln.

Gaza Great Return March von Israel Seite aus
Nach neuesten Erhebungen kamen seit dem 30. März im Gazastreifen durch israelische Gewalt 120 Palästinenser zu Tode, 13.190 wurden verletzt. Das Bild zeigt die Demonstrationen am Grenzzaun aus der Perspektive der israelischen Armee. (Foto: WANN)
Am Samstagabend starb der 21jährige Ahamd Abu Samra in Gaza. Er war fünf Tage zuvor, am Montag den 14. Mai, bei den Demonstrationen am Grenzzaun von israelischen Soldaten niedergeschossen worden und erlag im Krankenhaus seinen Verletzungen. Bereits im Laufe des Samstags waren der 20jährige Mohammad Mazen Elayyan und der 58jährige Moin Sai ebenfalls an Verletzungen gestorben, die sie bei den Protesten am Montag durch israelische Scharfschützen erlitten hatten.

In der am Wochenende vom Palästinensischen Gesundheitsministerium herausgegebenen Statistik bezüglich getöteter Demonstranten seit dem Beginn der Proteste am 30. März, sind die drei Toten vom Wochenende noch nicht vermerkt. Auch fünf weitere Tote, die nicht im Rahmen der Proteste aber am Grenzzaun getötet wurden, sind in der Statistik nicht enthalten, so dass zunächst über 112 getötete Teilnehmer an den Demonstrationen berichtet wird.

Von diesen starben

44 durch Schüsse in den Kopf und den Nacken

26 durch Schüsse in die Brust und den Rücken

11 durch Schüsse in den Unterleib

12 durch Schüsse in die oberen und

4 durch Schüsse in die unteren Gliedmaßen

15 Palästinenser starben durch Schüsse in verschiedene Körperteile

Lediglich in vier Fällen wurde folglich Demonstranten in die Beine geschossen, obwohl die israelische Armee immer wieder betont, die Soldaten zielten nur auf die unteren Extremitäten. In mindestens 108 Fällen war das nachweislich nicht der Fall und führte zum Tod der Opfer.

Getötet wurden zwei Journalisten und ein Rettungssanitäter. Des Weiteren kamen 16 Kinder ums Leben. In der Statistik sind nur 13 erfasst, da bei drei Kindern ursprünglich vom Alter 18 ausgegangen worden war. Ihre Familien haben das in ersten Berichten genannte Alter jedoch inzwischen auf 17 korrigiert.

Die meisten Toten (44) gab es im Bereich Gaza Mitte, gefolgt vom Bezirk um Khan Younis (31). Im Süden von Gaza, um Rafah, waren die wenigsten Toten zu beklagen (9).

Deaths statistic MOH

Zahl der Verletzten steigt auf 13.190
Laut Statistik des Palästinensischen Gesundheitsministeriums wurden seit dem 30. März 13.190 Palästinenser verletzt, darunter 2.096 Kinder und 1.029 Frauen und Mädchen.

Die meisten Verletzungen erfolgten durch den Einsatz scharfer Munition. In 3.630 Fällen wurden Demonstranten durch Kugeln verletzt, deren Einsatz mangels einer Gefahrenlage für die israelischen Soldaten rechtlich fragwürdig ist. 480 Demonstranten wurden durch gummiummantelte Stahlkugeln verletzt. Damit setzte die israelische Armee in fast 90% aller Schusswaffeneinsätze scharfe Munition ein, und nicht die wesentlich weniger gefährlichen Gummistahlgeschosse.

Bei den 3.630 Schussverletzungen erfolgten

502 Schüsse in Kopf und Nacken

283 Schüsse in Brust und Rücken

325 Schüsse in den Unterleib

938 Schüsse in die oberen Gliedmaßen und

4.453 Schüsse in die unteren Gliedmaßen

In 1.117 Fällen erfolgten Schüsse in mehrere Körperteile

In lediglich 58,5% aller Fälle von Verletzungen durch scharfe Munition oder Gummistahlkugeln schossen die israelischen Soldaten in die Beine. In 41,5% zielten die Soldaten höher, obwohl die Anordnung der Armeeführung lautet, nur auf die unteren Extremitäten zu schießen.

Durch den Einsatz international geächteter explodierender Munition (Butterfly-/Dum-Dum-Geschosse), kam es in zahlreichen Fällen zu so schweren Zerstörungen von Gewebe und Knochen, dass Gliedmaßen amputiert werden mussten. 27 Palästinenser, darunter auch Kinder, verloren hierdurch ein Bein. In fünf Fällen kam es zu Amputationen von oberen Gliedmaßen.

UN Menschenrechtsrat beschließt Untersuchung
Der UN Menschenrechtsrat hat als Konsequenz der hohen Todes- und Verletztenzahlen durch Israel am Freitag die Einsetzung einer unabhängigen internationalen Untersuchungskommission beschlossen, „um alle mutmaßlichen Menschenrechtsverletzungen und Misshandlungen im Rahmen militärischer Angriffe auf große zivile Proteste seit dem 30. März 2018 zu untersuchen“. Die Untersuchungskommission soll ihren abschließenden Bericht im März 2019 dem Menschenrechtsrat vorlegen.

29 Länder, darunter Spanien und Belgien, stimmten für die Einsetzung der Kommission, 14 Länder, darunter Deutschland und die übrigen EU Länder, enthielten sich der Stimme. Lediglich zwei Länder stimmten gegen eine unabhängige Untersuchung – Amerika und Australien.

UNHCR Abstimmung 18.05.2018
Abstimmungstafel im UN Menschenrechtsrat am 18.05.2018. Nur zwei Ländern sperrten sich gegen eine unabhängige internationale Untersuchung der tödlichen Vorgänge in Gaza – Amerika und Australien. (Foto: twitter)
Israel lehnte die Untersuchungskommission als „politisch motiviert“ und „heuchlerisch“ ab. Die stellvertretende israelische Außenministerin, Tzipi Hotovely, erklärte, Israel werde mit der Untersuchungskommission nicht kooperieren. „Wir denken nicht daran“, so Hotovely auf Twitter, „mit einer internationalen Untersuchungskommission zu kooperieren, die Ergebnisse diktieren will ohne Bezug auf Fakten“. Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanyahu nannte den UN Menschenrechtsrat „eine parteiische Einrichtung, dessen Ziel es ist, Israel zu schaden und Terrorismus zu unterstützen“. Der UN Menschenrechtsrat sei „irrelevant“.

„Die Besatzung muss enden“
Der Abstimmung war eine für politische Verhältnisse ungewöhnlich klare und nachdenklich stimmende Rede des UN Hohen Kommissars für Menschenrechte, Zeid Ra’ad Al Hussein, vorausgegangen. Zeid sprach von „schrecklichen Ereignissen in Gaza“. Auch der Einsatz von Molotowcocktails, Steinschleudern, brennenden Drachen oder Seitenschneidern, wie sie von einigen Demonstranten eingesetzt wurden, rechtfertige nicht eine derartige tödliche und „völlig unverhältnismäßige Gewalt“, wie sie von Israel ausgegangen sei.

„Palästinenser“, so Zeid, „haben exakt dieselben Menschenrechte wie Israelis. Sie haben dasselbe Recht, sicher in ihren Häusern, in Freiheit zu leben mit ausreichender und grundlegender Versorgung und Chancen. Dieser essentielle Anspruch eines jeden menschlichen Wesens wird ihnen systematisch vorenthalten.“

Israel, als Besatzungsmacht, habe nach internationalem Recht die Pflicht, die Bevölkerung von Gaza zu beschützen und für ihr Wohlergehen zu sorgen. „Tatsächlich aber sind sie eingesperrt in einem giftigen Slum, von Geburt bis zum Tod, ihrer Würde beraubt, von israelischen Einsatzkräften derart entmenschlicht, dass es scheint, dass die Offiziellen nicht einmal in Betracht ziehen, diese Männer und Frauen könnten ein Recht und einen Grund haben, zu protestieren.“

Zeid kritisierte auch die fortdauernden illegalen Siedlungen durch Israel, den Abriss von palästinensischen Privathäusern inklusive der Abrisse als Strafaktion, die Zwangsverlegung von Beduinengemeinden, die willkürliche Verhaftung von Palästinensern, darunter auch Kinder, obwohl das internationale Recht die Inhaftierung von Kindern nur als allerletztes Mittel zulasse. Der UN Hohe Kommissar für Menschenrechte beklagte die „weitverbreitete und skrupellose Anwendung von Haft ohne Gerichtsverfahren – die sogenannte Administrativhaft – und die Verletzung der Garantie auf ein faires Gerichtsverfahren.“ Der Mangel an Verfolgung von extralegalen Hinrichtungen untergrabe im übrigen das Vertrauen in die israelische Justiz. „Jene, die für diese Menschenrechtsverletzungen verantwortlich sind, müssen am Ende zur Rechenschaft gezogen werden“, so Zeid.

Auf die unverhältnismäßig hohe Zahl von palästinensischen Opfern in Gaza zurückkommend, gab Zeid zu bedenken: „Was wird aus einem, wenn man schießt, um jemanden zu töten, der unbewaffnet ist und keine unmittelbare Gefahr darstellt? Man ist weder tapfer noch ein Held. Man ist jemand ganz anderes geworden.“

„Und dann ist da Angst und Hass – diese fürchterlichen Zwillinge, die so viel Gewalt und menschliches Leid entstehen lassen, sich nun in eine Psychose verwandeln, auf beiden Seiten, in einem sich zuziehenden Netz, zunehmend zerstörerisch. Zu welchem Zweck? Damit wir alle vernichtet werden?“

„Die Besatzung muss enden, damit das Volk von Palästina frei sein und das Volk von Israel von ihr befreit sein kann,“ ergänzte der UN Hohe Kommissar für Menschenrechte.

https://palaestina-nachrichten.de/2018/05/23/gaza-120-palaestinenser-getoetet-13-190-verletzt-darunter-2-096-kinder/