„Gerechtigkeit für die Betroffenen von rassistischer Gewalt muss erkämpft werden“

Heute vor drei Jahren schoss der rechte Ex-CDU-Politiker Hans-Josef Bähner in Köln-Porz mit einer Waffe auf den damals 20-jährigen Krys. Nachdem der Bundesgerichtshof diesen Monat das Urteil bestätigt hat, ist klar: Der Schütze muss für 3 ½ Jahre ins Gefängnis. Das „Solidaritätsnetzwerk Köln“ baute von Beginn an Kontakt zum Betroffenen auf und wirkte an einer Kampagne gegen das Schweigen zu der rassistischen Gewalttat mit. Im Interview blickt die Gruppe auf den Fall Bähner zurück. Interview mit dem Solidaritätsnetzwerk Köln
Was hat sich am 30. Dezember 2019 am Porzer Rheinufer ereignet?
Krys und seine Freunde verbrachten den Abend am Rhein, hörten Musik und unterhielten sich laut. Hans-Josef Bähner, der zu dieser Zeit als Bezirksvertreter für die Porzer CDU tätig war und in unmittelbarer Nähe zum Ufer wohnt, fühlte sich davon offenbar gestört. Der Sportschütze kam mit einer unregistrierten Waffe aus dem Haus und brüllte: „Haut ab, ihr scheiß Kanacken, ihr Dreckspack!“

Bähner forderte die Jugendlichen auf, über die Mauer in seinen Garten zu kommen, dann hätte er einen Grund auf sie zu schießen. Es kam zu einem Wortgefecht, bevor Bähner plötzlich einen Schuss abgab. Die Kugel traf Krys von hinten in die Schulter und trat an seinem Oberarm wieder aus. Eine Hauptschlagader wurde dabei nur knapp verfehlt.

Die Polizei wurde alarmiert, fasste Bähner jedoch mit Samthandschuhen an. So riefen die Beamt:innen bei ihm zuhause an und baten ihn höflich nach draußen, anstatt sein Haus zu stürmen. Bereits am nächsten Tag wurde der Schütze wieder auf freien Fuß gesetzt, in Untersuchungshaft musste er nicht. Wenn man bedenkt, dass er aus rassistischen Motiven auf einen Menschen geschossen hat und der Schuss auch tödlich hätte enden können, ist das schon beachtlich.

Bähners rassistische Einstellung zeigen im Übrigen nicht nur seine beleidigenden Äußerungen in der Tatnacht. Auf seiner Facebook-Seite bezeichnete er Aktivist:innen, die einen Protest gegen den rechten Polizeigewerkschafter Rainer Wendt planten, als „linksfaschistische Studenten“. Unter seinen „Likes“ fand sich die Seite der AfD-Politikerin Alice Weidel. Auch glaubte er an rechte Verschwörungstheorien, die in Flüchtlingswellen einen gezielten Plan der Bilderberger-Konferenz sehen.

Wie fiel das mediale Echo aus?
Gerade in den ersten Tagen nach der Tat berichteten die lokalen Medien ausgesprochen wenig über den Fall. Es gab Kurzmeldungen, wonach ein Jugendlicher angeschossen worden sei, Details zur Tat sowie die Identität des Täters konnten jedoch tagelang unter Verschluss gehalten werden.

Das ist der Verdienst von Bähner, der mittels seiner Kontakte und dem bekannten Medienrechtsanwalt Ralf Höcker die Berichterstattung beeinflussen konnte. Schnell wurde jedoch klar, dass der Täter wohl ein Politiker sei. Bei uns schrillten die Alarmglocken, denn offensichtlich wurde hier Geheimniskrämerei betrieben.

Eine Woche dauerte es, bis Paul Ziemiak, damals Generalsekretär der CDU-Bundespartei, mit einem Tweet öffentlich machte, dass Bähner den Angriff verübt hatte. Auch wenn der Tweet wenig später auf Druck von Anwalt Höcker gelöscht wurde, war die Katze damit endgültig aus dem Sack.

Dennoch muss man insgesamt sagen, dass die Berichterstattung eher gering ausfiel, gerade bundesweit. Man muss sich nur mal das Medienspektakel vorstellen, dass es gegeben hätte, wenn hier nicht ein bestens vernetzter CDU-Politiker auf einen jungen Mann mit Migrationshintergrund geschossen hätte, sondern umgekehrt. Sicherlich hätte dieses Thema wochenlang die Titelseiten und Talkshows bestimmt.

Schon kurz nach der Tatnacht konntet ihr Kontakt zu dem Betroffenen aufbauen. Wie habt ihr diese Phase erlebt?
Wir kannten eine damalige Mitarbeiterin eines Porzer Jugendzentrums. Dort haben wir rumgefragt, ob jemand den Betroffenen kennt. Auf diesem Wege lernten wir Krys kennen, haben uns mit ihm getroffen und mehrere Gespräche geführt, in denen es auch darum ging, inwieweit es sinnvoll sein könnte, im konkreten Fall die Öffentlichkeit zu suchen.

Wenig später führte Krys ein Interview mit dem WDR, in dem er weitere Details zur Tatnacht und die rassistischen Äußerungen Bähners öffentlich thematisierte. Von Anfang an war es unser Bestreben, Krys als Betroffenen in die politische Arbeit zu dem Angriff einzubeziehen und unser Vorgehen mit ihm abzustimmen. Bis heute stehen wir in Kontakt zu ihm.

Wie sah im Anschluss die politische Kampagne zu dem Anschlag aus?
Da die Klüngelei von Politik, Medien und Polizei offensichtlich versuchte, den Anschlag so gut es geht von der Öffentlichkeit fernzuhalten, war es unsere Aufgabe, öffentlichen Druck aufzubauen, um zu verhindern, dass Bähners Schuss einfach unter den Teppich gekehrt wird.

Bereits kurz nach der Tat gründeten wir gemeinsam mit Krys und weiteren Mitstreiter:innen aus Porz die Initiative „Getroffen hat es einen, gemeint sind wir alle – Gerechtigkeit für Krys“. Ein erstes wichtiges Statement konnten wir Ende Januar 2020 mit einer Protestaktion bei der ersten Ratssitzung der Porzer Bezirksvertretung seit dem Angriff setzen.

Einen Tag zuvor hatte Bähner sein Mandat niedergelegt und ließ im Ratssaal eine Erklärung verlesen, in der er von einer „rechtsstaatlichen Hatz“ auf ihn sprach. Während es aus dem Rat ablehnende Reaktionen auf Bähners Statement gab, hatte keine Fraktion eine Resolution gegen rechte Gewalt oder zur Verurteilung des Vorfalls eingebracht.

Um dem Schweigen etwas entgegenzusetzen, stellten sich rund 15 Personen – darunter auch Freund:innen von Krys – im Saal auf und zeigten Transparente mit Aufschriften wie „Einen Monat Schweigen und Vertuschen“, „Getroffen hat es einen, gemeint sind wir alle“ und „Gerechtigkeit für Krys“.

Später gründete sich das antifaschistische Bündnis „Tatort Porz“, an dem wir uns ebenfalls beteiligten. Das Bündnis setzte sich zum Ziel, den kommenden Gerichtsprozess kritisch zu begleiten.

Dies gelang mit einer breiten Öffentlichkeitsarbeit, insbesondere in den sozialen Medien, Kundgebungen vor dem Amtsgericht und einer Demonstration am Tag der Urteilsverkündung im Januar 2022. Zudem wurden in Porz Kundgebungen zu den Jahrestagen des Angriffs am 30. Dezember 2020 und 2021 organisiert.

Welche Rolle spielten Polizei und Justiz bei der Aufklärung des Falls?
Von Beginn an musste man den Eindruck gewinnen, dass den Ermittlungsbehörden nicht an einer vollständigen Aufklärung und Gerechtigkeit für den Betroffenen gelegen war. Ihnen ging es vielmehr um Vertuschung und Schadensbegrenzung. Wie schon erwähnt ging die Polizei geradezu zaghaft mit Bähner um.

In Untersuchungshaft musste er nie, der rassistische Gewalttäter durfte weiter unbehelligt sein Unwesen treiben
Was den Gerichtsprozess betrifft, verfolgte Bähners Verteidigung unter anderem die Strategie, auf Zeit zu spielen und die Verhandlungen in die Länge zu ziehen, um den öffentlichen Druck möglichst abebben zu lassen.

Von Seiten der Justiz erhielt sie dabei reichlich Unterstützung. So wurde der erste Gerichtstermin erst 14 Monate nach der Tatnacht angesetzt. Dieser wurde dann jedoch nach hinten geschoben, da es angeblich dringlichere Verfahren gäbe und das Alter des heute 75-jährigen Bähners sich nicht mit den gebotenen Corona-Schutzmaßnahmen vereinbaren ließe.

Obwohl Bähner aus kurzer Distanz gezielt auf Krys geschossen hatte, wertete die Justiz die Tat lediglich als schwere Körperverletzung, nicht als Mordversuch. Auf dieser Basis konnte sie dann argumentieren, dass andere Verfahren mit Haftsachen vorzuziehen seien, während Bähner frei herumlief. Insgesamt zeigt sich also, dass Politik und Behörden der Aufklärung des rassistischen Anschlags nicht ansatzweise genug Bedeutung beigemessen haben.

Mittlerweile ist klar: Bähner muss für 3 ½ Jahre in Haft. Wie schätzt ihr dieses Urteil ein?
Bähner hat sich dem Urteil zufolge der gefährlichen Körperverletzung, der Beleidigung und des illegalen Waffenbesitzes schuldig gemacht und wurde zu 3 ½ Jahren Haft ohne Bewährung verurteilt. Der Bundesgerichtshof hat die Revision von Bähner Anfang Dezember abgeschmettert, das Urteil ist also rechtskräftig.

Einerseits liegt das Urteil nur knapp unter den Forderungen der Staatsanwaltschaft, die drei Jahre und neun Monate Haft gefordert hatte. Andererseits ist der Tatbestand der gefährlichen Körperverletzung ganz schön milde für einen Schuss, der nur knapp eine Hauptschlagader verfehlte. Bähners Netzwerk, das geringe mediale Echo, die wohlwollenden Ermittlungsbehörden – all das hatte hier einen deutlichen Einfluss.

Zwischenzeitig hatten Beobachter:innen sogar gefürchtet, der Ex-CDU-Politiker könnte um eine Haftstrafe herumkommen. Auch wenn Bähner nun in den Knast muss, wird er die Strafe aller Voraussicht nach im offenen Vollzug der JVA Remscheid absitzen, wobei bis zu 20 Freistunden pro Woche außerhalb des Gefängnisses möglich sind. Falls Bähner noch einmal einen Job annimmt, sogar mehr.

Wichtig ist aber auch: Dass Bähner ins Gefängnis muss und nicht etwa mit einer Bewährungsstrafe davonkommt, ist einer politischen Kampagne zu verdanken, die den Prozess begleitet und öffentlichen Druck ausgeübt hat. Wir sehen also, dass der Druck von der Straße sich ebenfalls im Urteil bemerkbar gemacht hat.

Welche Lehren kann man aus dem Fall Bähner und der Kampagne dazu ziehen?
Wie schon die NSU-Morde, das Attentat von Hanau und viele weitere Gewalttaten zeigt auch der Fall Bähner: Bei der Aufklärung rassistischer Angriffe dürfen uns weder auf den Staat noch auf die bürgerlichen Medien verlassen.

Gerechtigkeit für die Betroffenen von rassistischer Gewalt wird nicht von der Justiz geschaffen, sondern muss gegen diese erkämpft werden. Nur wenn wir uns organisieren und bei rassistischen Angriffen öffentlich Druck machen und auf die Straße gehen, können wir verhindern, dass diese Gewalt unter den Teppich gekehrt wird.

Wenn Bähner demnächst seine Haftstrafe antritt, steckt darin auch ein kleines Stück Gerechtigkeit für Krys. Die Klüngelei von Politik, Medien und Polizei rund um den Angriff dürfen wir dabei aber nicht vergessen. Diese sollte für uns umso mehr ein Ansporn sein, auch in Zukunft für eine Gesellschaft jenseits von Rassismus und Unterdrückung zu kämpfen.

https://perspektive-online.net/2022/12/gerechtigkeit-fuer-die-betroffenen-von-rassistischer-gewalt-wird-nicht-von-der-justiz-geschaffen-sondern-muss-gegen-diese-erkaempft-werden-interview-mit-dem-solidaritaetsnetzwerk-k/