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Haftgrund: Italiener

Hamburger Verwaltungsgericht erklärt Ingewahrsamnahme eines G-20-Gegners für rechtswidrig

Hamburgs Polizei hat jetzt schriftlich, was eigentlich schon kurz nach dem G-20-Gipfel Anfang Juli 2017 jeder wissen konnte, der dies wollte: Vor und während des internationalen Treffens an der Elbe haben Beamte völlig willkürlich friedliche Gipfelgegner in Gewahrsam genommen und ohne rechtliche Grundlage über viele Stunden in der Gefangenensammelstelle (Gesa) im Süden der Stadt festgehalten.

Und das unter Bedingungen, die von Organisationen wie Amnesty International und dem Republikanischen Anwältinnen- und Anwälteverein (RAV) scharf verurteilt wurden.

Eine Kammer des Verwaltungsgerichts Hamburg hat sich am Dienstag nachmittag erstmals in mündlicher Verhandlung mit dem Fall eines Italieners auseinandergesetzt – und die Unrechtmäßigkeit seiner Ingewahrsamnahme festgestellt. Das Urteil ist jedoch noch nicht rechtskräftig. Der 31jährige gehörte zu einer Gruppe von 15 Italienern, die am 8. Juli 2017 bei der Demonstration »Grenzenlose Solidarität statt ­G 20« – mit rund 76.000 Teilnehmern machtvoller Abschluss der Gipfelproteste – festgesetzt wurde. Bis zu 25 Stunden mussten sie danach in der Gesa verbringen.

Acht von ihnen hatten geklagt, verhandelt wurde aus formalen Gründen am Dienstag zunächst nur ein Fall. Dem 31jährigen sei »schwerwiegendes Unrecht« widerfahren, erklärte die Kammer und zerpflückte die Begründung der Polizei für die Maßnahme regelrecht. Diese war, wie in insgesamt rund 120 Fällen während der Gipfeltage, mit Paragraph 13 des Hamburger »Gesetzes zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung« begründet worden. Danach darf eine Person in Gewahrsam genommen werden, wenn von ihr die »unmittelbar bevorstehende Begehung« einer Straftat zu erwarten ist. Ein solches Vorgehen sei schon deshalb unzulässig gewesen, »weil der Kläger als Versammlungsteilnehmer anzusehen sei und daher dem Schutz des Versammlungsrechts unterstanden« habe, zitierte Spiegel online aus der Urteilsbegründung. Die Annahme, dass von dem Italiener eine unmittelbare Gefahr ausgegangen sei, sei nicht durch Tatsachen gedeckt gewesen. Zudem sei nicht, wie vorgeschrieben, unverzüglich eine richterliche Entscheidung eingeholt worden. Die sieben weiteren Kläger sollen ihr Urteil schriftlich erhalten, wie das Gericht mitteilte.

Vor Gericht spielten auch die Krawalle vom 7. Juli, morgens rund um die Elbchaussee und abends im Schanzenviertel, eine Rolle. Offenbar hatte der Umstand, dass die Sicherheitskräfte selbst mit einem Heer von zuletzt rund 31.000 Polizisten nicht jede Barrikade verhindern konnten, bei der Polizei erhebliche Unruhe ausgelöst.

Laut einem Bericht des Hamburger Abendblatts (Mittwochausgabe) wurde die Ingewahrsamnahme durch Erkenntnisse des Verfassungsschutzes ausgelöst. Der Geheimdienst meinte zu wissen, hinter den Ausschreitungen an Elbchaussee und Schanze hätten vor allem angereiste Italiener gesteckt. Aus diesem Kreis seien am 8. Juli noch »schwere Straftaten« zu erwarten. Diese »Erkenntnisse« flossen in den Lagebericht der Polizei ein. An die Kollegen im Einsatz wurde das laut Bericht so weitergegeben: Italiener hätten sich »für den heutigen Tag zur Begehung schwerer Straftaten im Stadtgebiet verabredet«. Daher seien »offensive Maßnahmen zur Identitätsfeststellung« geboten. Der Zugführer einer Hamburger Hundertschaft ließ sich das nicht zweimal sagen und kassierte die 15 Italiener ein, die er anhand ihrer »südländischen Erscheinung« und »szenetypischen Kleidung« identifiziert hatte. Bei Gericht ließ er sich übrigens wegen Krankheit von seinem Chef vertreten.

Dass für die Italiener die Stunden in Gewahrsam hochgradig belastend waren, machte der Berliner Anwalt des Klägers im NDR klar. »Ohne irgendeinen Anlass dafür gegeben zu haben«, habe sein Mandant 25 Stunden in der Gesa verbringen müssen, sagte Peer Stolle, der auch Vorstandsvorsitzender des RAV ist. Insgesamt waren während des Gipfels mehr als 120 Menschen von der Polizei in der Gesa festgehalten worden.

junge Welt 7.6.18
Kristian Stemmler