Aufgrund türkischer Interpol-Haftbefehle werden immer wieder anerkannte Flüchtlinge in Europa verhaftet
Mit willkürlichen Interpol-Haftbefehlen schränkt die Türkei die Bewegungsfreiheit von Exiloppositionellen vor allem aus kurdischen oder kommunistischen Organisationen in Europa ein. Aus Angst vor einer Festnahme in Drittstaaten trauen sich einige Flüchtlinge nicht mehr, ihr jeweiliges Aufnahmeland zu verlassen, selbst wenn sie dessen Staatsbürgerschaft erhalten haben. Denn auch wenn sie nicht an ihre Verfolgerstaaten ausgeliefert werden, bedeutet eine oft monatelange mit bangem Warten verbundene Auslieferungshaft in einem fremden Land für die häufig zuvor in der Türkei von Haft und Folter betroffenen Menschen die Gefahr einer erneuten Traumatisierung.
So befindet sich die in der Bundesrepublik lebende ehemalige türkische Studentenführerin Basak Sahin-Duman seit Ende Mai in Kroatien, wo sie ihren Urlaub verbringen wollte, in Auslieferungshaft. Die junge Frau war 2010 aufgrund der Teilnahme an einer Demonstration von der türkischen Justiz in Abwesenheit zu siebeneinhalb Jahren Haft wegen angeblicher Mitgliedschaft in einer illegalen kommunistischen Partei verurteilt worden. Bei ihrer Festsetzung aufgrund eines türkischen Interpol-Haftbefehls handelt es sich um keinen Einzelfall, wie die Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der innenpolitischen Sprecherin der Linksfraktion, Ulla Jelpke, zeigt. Der Bundesregierung sind demnach zehn Beispiele seit dem Jahr 2006 bekannt, in denen Personen mit Aufenthaltsstatus in Deutschland bei Reisen nach Spanien, Bulgarien, Polen, Österreich, Kroatien oder in die Republik Moldau aufgrund eines türkischen Interpol-Haftbefehls festgenommen wurden. Viele von ihnen waren als Flüchtlinge anerkannt, einige hatten die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten. Bislang konnte eine Auslieferung nach Intervention der Bundesregierung in allen Fällen verhindert werden. Bei Sahin-Duman steht eine Entscheidung der kroatischen Justiz allerdings noch aus.
Umgekehrt macht sich auch die deutsche Justiz immer wieder zum Handlanger Ankaras. So wurden seit 2007 elf Auslieferungsverfahren gegen aus der Türkei stammende Personen durchgeführt, die in anderen europäischen Ländern als Flüchtlinge anerkannt sind. In zwei Fällen kam es tatsächlich zu einer Überstellung. Im Fall eines in Italien als Flüchtling anerkannten Mannes hat sich Berlin von der Türkei nach eigenen Angaben »umfangreiche Zusicherungen zur Sicherheit der Rechte des Verfolgten« geben lassen.
Da keine gemeinsame Auflistung aller in der EU als schutzbedürftig anernannten Personen existiert, besteht laut Bundesregierung keine Möglichkeit zum Abgleich von Interpol-Fahndungen mit den Daten von Personen, die in einem anderen EU-Mitgliedsstaat Schutz genießen. Daher ließen sich die von Ulla Jelpke beklagten »Härten durch Inhaftierung und retraumatisierende Konfrontation mit Repressionsbehörden ihrer Herkunftsstaaten« nicht vermeiden.
In den Jahren 2010/2011 stellte die türkische Justiz laut Statistik des Bundesamtes für Justiz in insgesamt elf Fällen Auslieferungsersuche gegen in Deutschland lebende oder inhaftierte Personen, die in der Türkei aufgrund der Mitgliedschaft in »terroristischen Organisationen« gesucht werden. In keinem Fall wurde dem stattgegeben. Insbesondere Überstellungen von kurdischen Exilpolitikern scheitern bislang an unzulänglichen Ersuchen der türkischen Justiz, die nicht den europäischen Rechtsstandards entsprechen. Um dem entgegenzuwirken, führt die EU entsprechende Ausbildungsprogramme für türkische Justizbeamte durch.