Hinter Gittern am Chiemsee»Das Gefängnis gehört einfach geschlossen«

Bayern: Regierung rechtfertigt gläserne Wände in Zellen. Gewerkschaft fordert Ende unwürdiger Zustände in JVA. Ein Gespräch mit Manuel Matzke
Interview: Marc Bebenroth junge Welt 26.6.23

Der Fassade sieht man die vielfach angeprangerten Bedingungen hinter den alten Knastmauern nicht an: JVA Bernau am Chiemsee (17.3.2014)

Manuel Matzke ist Sprecher der Gefangenengewerkschaft/Bundesweite Organisation (GG/BO)
Nach Kritik der »Nationalen Stelle zur Verhütung von Folter« hat das bayerische Justizministerium die Haftbedingungen in der Justizvollzugsanstalt Bernau am Chiemsee verteidigt. Der Nachrichtenagentur dpa sagte ein Ministeriumssprecher am Donnerstag, die sogenannten besonders gesicherten Hafträume würden dem Schutz der Justizangestellten dienen. Wer lebt da gefährlicher: die Gefangenen oder die Beamten?

Als Justizbeamter lebt da niemand gefährlich. Das ist an den Haaren herbeigezogen. Das ist in Bayern aber immer so: Man stellt sich hin, als wenn alle, die im Gefängnis sitzen, schlechte Menschen sind. Tatsächlich haben doch die Inhaftierten das schlechte Leben. Es kann mir niemand erzählen, dass dort Bedienstete irgendwie gefährdet sind. Die wirklichen Gefährdeten sind die, die dort einsitzen.

Für welche Vergehen wird jemand in diese JVA geschickt?

Es kommt immer darauf an, wie der Strafvollstreckungsplan ist. Es ist auch ein bisschen vom Wohnort abhängig, weil die Gesetzeslage sagt, du sollst heimatnah verlegt werden. In der JVA Bernau sitzen Leute wegen einer Geldstrafe, die sie nicht zahlen können, oder auch wegen einer Körperverletzung. Da geht praktisch jeder hin.

Dort waren die Metallstangen in Zellen durch Glaswände ersetzt worden, weil man durch die Stangen greifen und auch spucken konnte, heißt es offiziell. Was bedeutet der Umbau für die Leute, die nun hinter Glas eingesperrt sind?

Das muss man sich so vorstellen wie der Gefängnisbesuch bei Hannibal Lecter im Film »Das Schweigen der Lämmer«. Das ist nichts anderes. Du bist einfach das Tier im Terrarium, und so wirst du dort auch behandelt. Das geht so nicht! Das hat auch die Antifolterkommission scharf verurteilt. Das ist richtig menschenunwürdig.

Jene Stelle zur Verhütung von Folter kritisierte auch, dass in Fußbodenhöhe Klappen verbaut sind und nur durch die könnten dann die Gefangenen untereinander kommunizieren. Was hat es damit auf sich?

Das Problem ist, dass dieses Gefängnis richtig alt ist. Auch diese Situation für die Gefangenen mit den Bodenluken ist menschenunwürdig.

Gibt es denn keine verbindlichen Standards, die festlegen, wie Gefängnisse zu konstruieren sind?

Es gibt Standards. Aber dadurch, dass der Freistaat die Plätze braucht, wird versucht, diese Zustände unter der Decke zu halten. So ist es nicht gestattet, wenn die Gitter an den Zellenfenstern noch Blech haben, was sehr dicht verlockt ist. Dafür zahlen Bundesländer wie Bayern oder auch Sachsen seit Jahren lieber eine Strafe, anstatt den Gefangenen einen menschenwürdigen Strafvollzug zu gewährleisten.

Muss die JVA Bernau also grundsaniert werden?

Das Gefängnis gehört geschlossen, einfach weg. Das sind menschenunwürdige Zustände und wir sehen, dass der Freistaat Bayern nicht daran interessiert ist, irgendwelche Veränderungen vorzunehmen.

Diese Haftanstalt ist in der Vergangenheit schon aufgefallen. Was können Sie dazu berichten?

Wir haben gerade in der Pandemiezeit relativ viele Zuschriften von Rechtsanwälten erhalten, deren Mandantschaft dort einsitzt. Immer wieder wurde geschildert, wie katastrophal das Personal mit Gefangenen umgeht. Diese »besonders gesicherten Hafträume« haben sie als Quarantänezellen genutzt. Das ist unwürdig, da ist kein Bett drin, nur eine Matte und ein Loch im Boden, wenn man austreten muss.

Was kann Ihre Gewerkschaft gegen diese unwürdigen Bedingungen unmittelbar tun?

Wichtig ist erst mal, dass wir weiter Öffentlichkeit schaffen. Die Kollegen in Bayern werden die Sache prüfen und wir dann gegebenenfalls Rechtsmittel einlegen, damit das aufhört. Der Freistaat Bayern muss handeln – und wenn es wieder einen höchstrichterlichen Spruch braucht wie vor wenigen Tagen (zur Vergütung von Gefängnisarbeit, jW).

Wie steht es um Ihren Organisationsgrad in Bayern, aber auch bundesweit?

Wir verzeichnen durchaus einen überaus positiven Trend. Seit der vergangenen Woche wächst er auf jeden Fall stetig an. Das hat damit zu tun, dass jetzt viele merken: Wir klagen, bis es nicht mehr geht, bis zur obersten Instanz, um Recht sprechen zu lassen für Menschen, die hinter Gittern sitzen.