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Knastgeschichte aus Ossendorf, wo die Hambi4 festsitzen

Hallo, ich bin Jus und in 2015 saß ich „alleine“ 3 monate, und 23 Tage im Hungerstreik. Dieser war für mich ein Protest gegen die ökologische Ungerechtigkeit die dem ganzen Planeten von RWE angetan wird und gegen den Staatsgefängnis-Industriellen-Komplex, der sie mit trägt. (Dieser Bergriff ist nicht umsonst angelehnt an den des militärisch-industriellen Komplexes). Es ist die gleiche Form des Protestes, den die 4 durchzuziehen scheinen. Denn neben vielen anderen Gründen, auf Unterdrückung und Ungerechtigkeit zu reagieren, weigern sie sich, persönliche Informationen zur Verfügung zu stellen und sich zu identifizieren. Auch ich war in der JVA Köln Ossendorf, in der jetzt die 4 einsitzen. Danke an La Domain, dass sie mich gebeten haben, diesen Bullshit aufzuschreiben und nicht herunter zu schlucken.

Am dritten Tag meiner Inhaftierung in Köln-Ossendorf wurde ich in einer anderen Zelle immer noch in Block 1 untergebracht, wo Gefangene bis zu zwei Wochen verbleiben, bevor sie in die “Durchschnittsbevölkerung” kommen. Diese Zelle war schon mit einem Insassen besetzt. Ich konnte mich gut mit ihm verständigen (nicht auf Deutsch), was sehr angenehm für mich war, da ich mich zu der Zeit besonders in sprachlicher Hinsicht entfremdet fühlte, und er schien positive Erfahrungen mit großen europäischen Anti-Globalisierungs-Demonstrationen zu haben. Das war eine angenehme Überraschung, aber ich blieb trotzdem erstmal vorsichtig. Wir teilten unsere Erfahrungen über Konflikte, Proteste und Besetzungen, bevor mein Gegenüber auf einmal dazu überging, europäische Hauptstädte aufzulisten und mir die Frage zu stellen, ob ich dort jemand kennen würde, wobei ganz West- und Südeuropa von Belang waren. Okay, zuerst dachte ich noch, dass er nur etwas naiv sein könnte, ist es doch weithin bekannt, dass die meisten Zellen verwanzt sein können. Wobei das auch ein Dilemma für die Beamten ist. Sie können die gewonnenen Informationen für ihre eigenen Zwecke und Akten benutzen, aber sie können es weder öffentlich zugeben noch vor Gericht etwas davon gegen dich verwenden.
Ich wurde vorsichtiger und vorsichtiger, die Zelle fühlte sich schlagartig schon etwas kleiner an. Den Fragen folgte ein weiterer Erfahrungsbericht, in dem er sein Engagement deutlich machen wollte. Mir fiel auf, dass seine “Sollten wir nicht alle zusammenhalten?”-Story, die von anderen störenden und verdächtigen Personen, denen du in der Bewegung begegnest, handelte, voller Zynismus war und sogar leicht ins Lächerliche gezogen wirkte, v. a. frei von jeder politischer, sozialer oder ökologischer Tiefe und Dimension war. Es war eine Anekdote und ein Witz. Irgendwie war klar, dass die nächste Runde an Fragen kurz bevorstehen würde. Vorher machte mein Zellengenosse weiter mit einigen Liegestützen, zog sein Shirt aus, was seinen muskulösen Oberkörper zum Vorschein brachte und er sah mich an, während er einen Stuhl mit Armbeugen hochhob. “Hast Du auch Geld für Deine Verteidigung?” Diese Frage, seine präzise Wortwahl und die Tatsache, dass in hochbrisanten und politischen Fällen es kein Geheimnis ist, dass nicht Cops direkt ermitteln, sondern Leute, die von ihnen angeworben und umgepolt werden, genannt CIs, Criminal Informants, Informanten, die sehr oft andere belasten, v. a. Zellengenoss*innen und sogar ihre früheren Kamerad*innen. Mit diesem Bewusstsein wurde die Zelle für mich erneut kleiner und es hätte noch schlimmer kommen können: Neben der Nahrungsverweigerung gab es nur noch eine andere einfache und mehr symbolische Form des Widerstands, die mir in der Situation möglich war. Klingeln und die Schließer zu alarmieren über die vielen Vorfälle, von denen der Zellengenosse für mich eine Ablenkung war.*(s.u.) Nachdem ich ein weiteres Mal die Alarmklingel betätigte, kam mein Zellengenosse direkt auf mich zu, immer noch mit blankem Oberkörper, ballte seine Faust, nahm eine Bodybuilder-Pose an, atmete tief ein und sagte: “Ich werde was zerbrechen, wenn Du nicht aufhörst damit”, mit hasserfülltem Gesicht. “Was willst Du denn zerbrechen?” antwortete ich. Damit brachte ich ihn augenscheinlich etwas in die Zwickmühle, er wollte seine Drohung aber nicht weiter präzisieren. Er schaute sich um und deutete auf ein nach innen hin geöffnetes Glasfenster, was sich vor der Vergitterung befand. Ich bewegte mich aus der Ecke zwischen Tür und Toilette, an ihm vorbei und öffnete das Fenster stärker. Während ich durch die Gitterstäbe hinaus auf den Hof schaute, bekam ich ernsthaft Klaustrophobie.

Auf der einen Seite des Gefängnishofs befand sich ein Tor in Richtung Außenwelt. Genau in diesem Moment konnte ich von dahinter Klänge wahrnehmen, die mich in Euphorie versetzten. Gerade war dort eine Hambi-Gefangenen-Soli-Demo angekommen, singend, Krach machend und schreiend. Gerade jetzt, wo ich Unterstützung am meisten gebrauchen konnte. Alle meine Ängste in Bezug auf die psychische Labilität meines Zellengenossen verflogen, quasi aus dem Fenster, gefolgt von meinen eigenen Antwortschreien, von denen ich nicht wusste, ob sie gehört werden konnten. Schließlich konnte ich die Soli-Demo selbst nicht übertönen, und sie machten ja auch keine Pause auf Verdacht. Obwohl sie zusammen richtig laut waren, konnte ich doch einzelne Stimmen wiedererkennen… Nunja, die Demo selbst wird mich evtl. nicht gehört haben, aber die Schließer auf jeden Fall. Nachdem ich so 10-15 Minuten wild aus dem Fenster schrie, als wenn ich mich eingeschlossen auf einem sinkenden Schiff befinden würde, eilten 3 Schließer herein, packten mich und steckten mich in eine Einzelzelle. Wenig mehr Raum, um über den Staatsapparat zu reflektieren als repressive Hand für globale zerstörerische Unternehmen wie RWE.
Gut gemacht, die Soli-Aktion! DANKE, DANKE!!
*(s.o.) In der radikalen Umweltbewegung gibt es die Haltung, Gespräche mit den Cops zu verweigern. Für die meisten Gefangenen besteht so ein Dilemma, weil ständig Anträge für alltägliche Sachen, Schreibunterlagen oder die Teilnahme an Aktivitäten gestellt werden müssen. Auf diese Weise werden die meisten Umwelt- und politischen Gefangenen mit ihrer Kreativität zum Schrecken für die Vollzugsbeamten. Jede*r im Gefängnis entscheidet selbst, aber der Verfasser dieses Textes würde allen Leser*innen empfehlen, in einer vergleichbaren Situation alles mit Anwält*innen zu protokollieren und einen Antrag auf eine Einzelzelle zu stellen. Auch wenn ein Erfolg nicht garantiert ist, wird so der Vorfall höchstwahrscheinlich staatlich initiierter Einschüchterungsversuche in die Akten aufgenommen. Dass das hier in Deutschland möglich ist, gibt auch Anlass zu der Überlegung, dass wir uns hier eher an der Spitze einer globalen Pyramide befinden, wo viel Repression in den Globalen Süden verlagert wird. Privilegien, die wir haben, haben viele unserer Kamerad*innen in Umweltkonflikten in aller Welt nicht und müssen ihren Einsatz in Rekordzahlen mit ihrem Leben bezahlen. Konflikte um Rohstoffminen spielen dabei die größte Rolle. Aber die Privilegien hier können schneller als erwartet verschwinden, wenn die nicht aufhörenden Vorfälle, die von Konzernen wie RWE und anderen fossilen Narren und den Staaten, die sie unterstützen, begangen werden, nicht gestoppt werden und ein Ökosystem nach dem anderen vernichtet und das globale Klima destabilisiert wird über den Punkt ohne Wiederkehr hinaus und zahllose nicht mehr kontrollierbare weitere Effekte eintreten. Sofern dagegen kein Widerstand geleistet wird und Veränderungen eingeleitet werden, ist nichts anderes zu erwarten als mehr Repression und Gefängnisse und eine immer stärker steigende Anzahl von Repressionsopfern und Gefangenen.

Häftlingen zu begegnen, die gewalttätig, unterdrückend und nicht-solidarisch sind, ist die große Ausnahme. Vorherrschend wird Verständnis und sogar Respekt denjenigen entgegengebracht, die sich für politische Direct Action-Maßnahmen entschieden haben. Solidarität ist alleine deshalb eine Verpflichtung, weil alle unter den Repressionen zu leiden haben. Aufzupassen ist nur auf die Minderheit, die auf eine*n angesetzt werden oder generell die, die große Anstrengungen unternehmen, dich kennenzulernen, und eine Verbundenheit versuchen herzustellen über Interessen, politische und soziale Einstellungen, wobei nicht allzu selten die, die dir näherkommen möchten, die sind, die eine rechtsextreme Einstellung haben und Kennenlernversuche dann der Vorbereitung dienen, eine Jekyl and Hyde-Methode abzuziehen. Der Dr. Jekyl ist dann für die Cops und Mr. Hyde für dich. Darum ist es nicht nur entscheidend, sich richtig in solchen Situationen zu verhalten, sondern auch, dass viel Support von außen hereinkommt, weil die angeseheneren Inhaftierten oft dazu benutzt werden, ein Beispiel an ihnen zu statuieren, um so Angst zu verbreiten und so besser andere Insassen auf Linie zu halten. Gefangene, die mit den Schließern kooperieren, werden öfters aus ihren Zellen geholt, sogar auch zu den Schließern zu ihrer Kontrollstelle, bekommen mehr Essen und falls sie gegen andere Gefangene aussagen, erhalten sie Straferleichterungen oder gehen am Ende sogar straffrei aus. Ein gleichartiges, wenn auch kaum milderes, sondern psychologisch schwieriges Problem ist es, wenn die eigenen “Kamerad*innen” ähnlich wie früher in den Konzentrationslagern “Kapos” benutzt werden, um Schrecken zu verbreiten für mehr Essen und mehr “Freiheit”… Schreibt unbedingt weiter und organisiert Soli-Demos.

Passt auf Euch auf, besonders, wenn Ihr Euch innen von den Gefängnismauern befindet, Ihr seid niemals wirklich allein!!

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