Lagezentren in Tripolis und Bengasi sichern die Integration in die EU-Grenzüberwachung. Ein weiteres Abkommen soll Polizeiaufbau und Datentausch regeln
Die EU-Kommission verhandelt mit der libyschen Regierung über ein sogenanntes „Memorandum of Understanding“, um die polizeiliche und militärische Zusammenarbeit mit der Europäischen Union zu befördern. Die umrissenen Themen tangieren die Bereiche Inneres, Militär und Entwicklung: Die Rede ist von der Reaktion auf Konflikte und Katastrophen. Die Vokabeln legen nahe, dass Libyen damit auch in die „Gemeinsame Außen- und Verteidigungspolitik“ der EU eingebunden werden soll.
Gemeinsame Mission zur „Krisenreaktion“
Die libysche Polizei soll zunächst mit einer Kommunikationsinfrastruktur ausgerüstet werden. Hierzu gehört die Fähigkeit, Daten zu sammeln, zu analysieren und zu verarbeiten. Damit werden Frühwarn-Kapazitäten der Behörden gestärkt. Ausdrücklich wird eine polizeiliche Risikobewertung mittels vorhersagender Methoden erwähnt („predictive risk assessment and analysis“). Libyen soll in eine „internationale Polizeigemeinschaft“ aufgenommen werden. Die Polizei des Landes soll deshalb an das Zentralbüro der internationalen Polizeiorganisation Interpol angeschlossen werden.
Libyen ist für die Sicherheitsarchitektur der Europäischen Union von zentraler Bedeutung. Die zivil-militärische Einflussnahme wird deshalb in Brüssel auf höchster Ebene verhandelt. Eingebunden ist das Politische und Sicherheitspolitische Komitee (PSK), das für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik bzw. die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik zuständig ist. Die britische Bürgerrechtsorganisation Statewatch hat die Mitschrift eines Treffens des PSK mit dem „Ständigen Ausschuss des Rates für die innere Sicherheit“ (COSI) veröffentlicht. Zur Aufgabe des COSI gehört die Koordinierung operativer Maßnahmen im Bereich der inneren Sicherheit, darunter zwischen Polizei- und Zollbehörden.
Aus dem Dokument geht hervor, dass beide EU-Apparate eine gemeinsame Mission zur „Krisenreaktion“ an der libyschen Grenze zur Sahara planen. Neben „Terrorismus“ soll die neue Operation unerlaubte Grenzübertritte ebenso aufspüren wie Drogenschmuggel. Die EU-Grenzschutzagentur Frontex ist von Beginn an in die Planung involviert und wird zu einer „Fact Finding Mission“ nach Libyen eingeladen. Die Delegation ist augenscheinlich bereits aufgebrochen a> und soll zum Paradebeispiel der Verquickung von „innerer und äußerer Sicherheit“ werden.
Die polizeiliche Zusammenarbeit mit Libyen schreitet vor allem bei der Kontrolle der Seegrenzen voran. Dies geht aus einem weiteren Dokument hervor, das Statewatch kürzlich online gestellt hat. Unter anderem geht es dabei um Anstrengungen gegen unerwünschte Migration. Das Papier zählt 29 Maßnahmen auf, die der Rat der Europäischen Union vor zwei Jahren verabschiedet hatte. Eine „Maßnahme 4“ wird von Spanien und Italien angeführt und soll land- und seeseitige Patrouillen an den EU-Außengrenzen optimieren. Auch die EU-Grenzschutzagentur Frontex nimmt an der „Maßnahme 4“ teil. Dort wird unter anderem das 2006 eingerichtete Projekt Seahorse Atlantic behandelt, mit dem Spanien bereits seit 2006 seine Grenzen überwacht. Hierzu werden Daten aus der Satellitenaufklärung ebenso verarbeitet wie von Flugzeugen und Drohnen. Neben Portugal bindet „Seahorse Atlantic“ vor allem die afrikanischen Länder Mauretanien, Marokko, Senegal, Gambia, Guinea Bissau und die Kap Verden in die Flüchtlingsabwehr ein.
Neben „Seahorse Atlantic“ existieren seit 2005 zwei weitere regionale Netzwerke zur seeseitigen Grenzüberwachung. Die „Baltic Sea Region Border Control Cooperation“ (BSRBCC) ist ein regionaler Zusammenschluss zur Grenzsicherung auf der Ostsee. An die Plattform sind Polizei-, Zoll- und Grenzbehörden aller Ostsseeanrainer angeschlossen, darunter auch Deutschland (Grenzschutz mit Satellitenüberwachung). Behörden der Anrainerstaaten des Schwarzen Meeres kooperieren unter dem holprigen Namen „Black Sea Littoral States Border/Coast Guard Cooperation Forum“ (BSCF). Integriert sind auch Georgien und die Türkei. Während der Informationsaustausch zur Grenzüberwachung auf der Ostsee dezentral organisiert ist, wird dieser beim Schwarzen Meer über ein zentrales Koordinationszentrum im bulgarischen Bourgas abgewickelt.
Die Kosten für die drei regionalen Kontrollnetzwerke gibt die EU-Kommission von 2007 bis 2010 mit 77 Millionen Euro an. Sie sollen in das Grenzüberwachungssystem EUROSUR integriert werden, das nächstes Jahr in Betrieb genommen wird (Intelligente Festung Europa). Zunächst startet EUROSUR mit sieben Mitgliedsstaaten an den Grenzen der südlichen und östlichen EU-Mitgliedstaaten, die hierfür „Nationale Koordinierungszentren“ (NCC) eingerichtet haben.
Weiteres EU-Grenzüberwachungssystem mit Libyen im Aufbau
Nun soll das spanische „Seahorse“-Projekt auf das Mittelmeer ausgedehnt. Am von der spanischen Guardia Civil geführten „Seahorse Mediterraneo Projekt“ wollen alle EU-Mitgliedstaaten teilnehmen, die eine Außengrenze am Mittelmeer haben. Bislang fehlt aber Griechenland, weshalb die Regierung in Athen nun offiziell zur Mitarbeit eingeladen wurde. In Italien und Malta werden zwei Zentralstellen aufgebaut. Diese „Mediterranean Border Cooperation Centres“ (MEBOCC) sind Schnittstellen für die spätere Einbettung in das übergeordnete Grenzüberwachungssystem EUROSUR.
Im Juli hat Libyen eine Erklärung unterzeichnet, wonach das Land offiziell am „Seahorse Mediterraneo Projekt“ mitarbeiten will. Damit wird Libyen zum Vorposten für die EU-Aufklärung gegen unerwünschte Migration. „Drittstaaten“ wie Libyen oder Tunesien dürfen bislang nicht ohne weiteres am Datentausch mit EU-Mitgliedstaaten beteiligt werden. Um sie dennoch möglichst umfassend zu integrieren, schlägt Spanien die Entsendung von „Verbindungsbeamten“ in die „Kooperationszentren“ in Italien und Malta vor. Die nordafrikanischen Polizisten könnten dort auch an gemeinsamen Operationen mit der Grenzschutzagentur Frontex beteiligt werden.
Das „Seahorse Mediterraneo Projekt“ soll 2013 in Betrieb gehen. Zur technischen Umsetzung der Zusammenarbeit sollen in der Hauptstadt Tripolis und in Benghasi zwei „Nationale Koordinierungszentren“ aufgebaut werden. Dies hatte die libysche Küstenwache vorgeschlagen. Auch in Algerien, Ägypten und Tunesien will die EU „Nationale Koordinierungszentren“ ansiedeln. Die Länder weigern sich allerdings bislang erfolgreich. Nun wird der Druck auf Tunesien erhöht. Die Regierungen Spaniens, Italiens und Frankreichs organisieren hierzu eine Delegation nach Tunis.
Alle beteiligten afrikanischen Länder werden in der Errichtung notwendiger technischer Systeme für das „Seahorse Mediterraneo Projekt“ unterstützt. Die Kosten können zu 100% vom „Außengrenz-Fonds“ der Europäischen Union übernommen werden. Auch aus dem für afrikanische Länder bestimmten Programm „Europe Aid“, das eigentlich zur Armutsbekämpfung eingerichtet wurde, könnten Gelder fließen. Angeblich wird der libysche Übergangsrat bald eine Ausschreibung für den Bau eines Grenzüberwachungssystems veröffentlichen (Rüstungskonzerne wittern Milliardenaufträge für Grenzsicherung in Libyen).
Misshandlungen und Folterungen von Migranten nicht thematisiert
Offensichtlich will sich die EU zur Umsetzung der Maßnahmen selbst in Nordafrika niederlassen. Unklar ist, wie das bereits im Mai letzten Jahres eröffnete EU-Büro in Bengasi hierfür genutzt werden soll. Die libysche Regierung soll sich jedenfalls im Gegenzug verpflichten, die mit der Durchsetzung beauftragten „Partner“ mit materieller Hilfe und der Übernahme laufender Kosten für Büros zu fördern. Auch eine „politische Unterstützung“ soll festgeschrieben werden. Regelmäßige Treffen auf politischer wie technischer Ebene flankieren die Anstrengungen.
Zwar taucht in den Verhandlungen zur zivil-militärischen Zusammenarbeit hin und wieder die Formulierung auf, die Maßnahmen müssten sich an Datenschutz und Menschenrechten orientieren. Konkrete Forderungen oder Absichtserklärungen fehlen allerdings. Bislang ist die neue libysche Regierung in dieser Richtung anscheinend auch nicht tätig geworden. Im Gegenteil berichten Menschenrechtsorganisationen über Pogrome gegenüber Migranten aus zentralafrikanischen Ländern. Libyen verfügt über kein Asylsystem, Flüchtlinge werden in staatlichen Gefängnissen festgehalten. Immer wieder werden aus den Haftanstalten schwere Misshandlungen und Folterungen berichtet.