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Marseille: Veranstaltung zu Kämpfen in Hamburg und ein Brief aus dem Knast

Diesen September haben wir in Marseille eine Diskussion über den Repressionsfall in Hamburg organisiert. Drei Anarchist*innen sind dort angeklagt, brennbare Materialien transportiert und verschiedene Angriffe vorbereitet zu haben.

Die Verhaftungen fanden im Juli 2019 statt, seit dem sind zwei von den Angeklagten in Haft, eine dritte Person ist unter Bedingungen freigelassen. Der Prozess begann im Januar 2020 und soll im November 2020 zu Ende gehen (Für weitere Informationen  Siehe: parkbanksolidarity.blackblogs.org bzw. parkbanksolidarity.noblogs.org).

Die Veranstaltung, die wir organisiert haben, hatte nicht nur zum Ziel
Informationen über den Repressionsfall auszutauschen, sondern vielmehr
auch den Pfad des Kampfes nachzuzeichnen – die Interventionen,
Perspektiven, Projekte und Publikationen mit denen die Gefährt*innen in
Hamburg die soziale Konfliktualität im Verlauf der letzten zehn Jahre
verschärft haben. Wir haben die drei Gefährt*innen gefragt, ob sie für
diese Veranstaltung einen Beitrag schreiben würden, diesen könnt ihr
nachstehend lesen.

Einige ungeduldige Anarchist*innen

***

Liebe Gefährt*innen,

wir freuen uns einige Grüße und Gedanken mit euch zu teilen. Wir begrüßen die Initiative, über die Kämpfe und die anarchistischen Interventionen der letzten Jahre in Hamburg zu sprechen. Diese sind uns wichtig und es ist auch der Kontext in welchem wir von Repression
getroffen wurden: Wir werden als Anarchist*innen eingesperrt und in einem laufenden Verfahren vor Gericht gebracht.

Hamburg in eine der reichsten Metropolen in Deutschland (mit einer
absurden Anzahl an Millionär*innen) und hat eine lange Geschichte
sichtbarer sozialer Konflikte und Kämpfe. Mit dem ehemals größten und
einem wirtschaftlich wichtigeren industriellen Häfen, ist Hamburgs
Reichtum und ökonomische Bedeutung historisch. Wie viele westliche
Metropolen, ist sie heute ein touristischer Hotspot und wichtiger
Immobilienmarkt. Die Stadtregierung nennt ihr lukratives Geschäft
selbst: “Die Marke Hamburg”.

Mit soviel Ehrlichkeit und einer Tradition stetiger aggressiver
kapitalistischer Stadtentwicklung, ist der soziale Krieg hier auf
vielfältige Weise sichtbar geworden. Sei es durch Abriss ganzer
Wohnblocks und die Zerstörung von Nachbarschaften, die Vertreibung von
Drogenkonsument*innen, Sexarbeiter*innen und Obdachlosen von den
Straßen, rassistischen Polizeikontrollen gegen People of Colour,
explodierenden Mieten … Die Herrschenden haben niemals ein Geheimnis
daraus gemacht, für wen die Stadt da ist und wer hier willkommen ist.

Den sozialen Konflikt, auf die sogenannte Gentrifizierung zu reduzieren,
heißt zu ignorieren, dass die Autoritäten die Stadt als Labor für
(soziale) Kontrolle und s.g. “Sicherheitspolitik” benutzen. Mit einer
kreativen Gesetzgebung und einer sich immer weiterentwickelnden
Polizeiarmee, sogenannten “Gefahrengebieten”, Öffentlichkeitsfahndung,
Polizei-Spitzeln und Sonderkommissionen haben der Staat und seine
autoritären Lakaien immer versucht die Stadt in ihrem Interessen zu
gestalten. Und dies mit dem Image einer liberalen Sozial-Demokratie.

Als revolutionäre Anarchist*innen, begreifen wir die Stadt nicht als
einen neutralen Ort der “zurückgewonnen” werden muss. Die Stadt ist eine
Instrument und einer Struktur der Macht, ein Käfig in dem wir leben
müssen, in dem jeder Ort ihrer Logik und Ordnung folgend funktionieren
soll. Die Projekte und Beziehungen der Subversion, Rebellion und
Anarchie die wir erschaffen, funktionieren nicht entlang dieser Logik
der Autotrität und Herrschaft. Für sie, sind diese Projekte und
Beziehungen blinde Flecken, über die sie keine permanente Kontrolle
haben und die zerstört werden müssen.

Wenn wir soziale Konflike getrennt voneinander betrachten, von ihrem
Kontext und der Logik der Herrschaft in der sie aufkommen, treten wir in
die Falle des Reformismus und der Pazifizierung. Wir reinigen ihre
Städte für sie. Die interessantesten Dynamiken und Bewegungen der
letzten Jahre, Kontrollverluste für die Autoritäten, waren genau die
Momente, in denen verschiedene laufende Konflikte und Kämpfe sich trafen
und zu einem sozialen Konflikt wurden. Bewegungen in denen jene, die
sich nicht treffen sollen, getroffen und auf der Straße und in
rebellischen Handlungen wiedererkannt haben. Etwa während der lange
Nächte voller wilder Demos und direkter Aktionen 2013/2014, während der
Kämpfe gegen verschieden Projekte kapitalistischer Stadtentwicklung,
rassistischer Polizeikontrollen und selbstorganisierter Kämpfe von
Refugees und Immigrant*innen, die in sogenannten “Gefahrengebieten”
resultierten (welche am Ende für die Gefahr stehen, die dynamische
Momente auf den Straßen für ihre Ordnung bedeuten können). Oder der
faktische Kontrollverlust währende der Polizeibelagerung der Stadt, die
den OSZE und G20-Gipfel sichern sollte (was nebenbei als Bestrafung für
den verletzten Stolz der Autoritäten gelten kann, die daran scheiterten
Hamburg an die olympischen Spiele zu verkaufen, und die Stadt zum
Gewinner des Kapitalismus zu machen).

Diese Kontrollverluste zeigen die Stärke und die Möglichkeiten die
selbstorganisierte soziale Kämpfe haben können. Diese Erfahrungen, sowie
viele weitere kleiner Konflikte und eine Kontinuität revolutionärer
direkter Aktionen geben denjenigen, die sich nach einem freien Leben
ohne jede Herrschaft sehnen, Mut und Vertrauen in Selbstorganisation,
Solidarität und direkte Aktion, anstelle dem Schwindel Politik zu
verfallen. Seit mehr als 10 Jahren haben informelle Kreise von
Anarchist*innen und Antiautoritären in diesem Kontext interveniert,
Projekte, Dynamiken und Beziehungen geschaffen. Die Repression, die uns
getroffen hat, muss in diesem Kontext als ein kontinuierliches Scheitern
der repressiven Kräfte bei dem Versuch gesehen werden, antagonistische
Dynamiken zu kontrollieren. Die Repression gegen uns geschieht aus Rache
für die Niederlagen der letzten Jahre, die (ihre) Autorität und Macht in
Frage gestellt haben.

Wir wissen, dass die Erfahrungen die in Hamburg gemacht wurden, denen
von Gefährt*innen an anderen Orten ähneln und wir hoffen, dass es einen
interessanten Austausch und Diskussion geben kann. Nach mehr als einem
Jahr im Knast, umgeben von Beton, Stahl und Stacheldraht, sozialer
Misere und Tod, der von dieser Welt hervorgebracht wird, fühlen wir noch
immer die Stärke und die Wärme der Solidarität unserer rebellischen
Beziehungen. In diesem Geiste schicken wir eine Umarmung an die
Gefährt*innen auf den Straßen, in den Zellen ihrer Gefängnisse und auf
der Flucht.

Passt auf euch auf!
Freiheit und Glück!
Anarchist*innen, Hamburg (Deutschland), Juli 2020

https://barrikade.info/article/3966