Genosse Dandl

„Mutuale und reziproke Solidarität als Axiom Politischer Prozessführung“

Ein Beitrag zur Debatte um Politische Prozessführung
 
 Michael Dandl
 
Da es zum zentralen, auch satzungsmäßigen Charakteristikum der Roten Hilfe e.V. gehört, für all jene Menschen materielle und politische Unterstützung zu leisten und zu organisieren, die wegen ihres emanzipatorischen Engagements staatlich-repressiv vor Gericht gestellt und zu Geld- oder Gefängnisstrafen verurteilt werden, bildet die konsequente Umsetzung einer Politischen Prozessführung den konkreten Aktionsrahmen der davon Betroffenen. Sich als Angeklagte*r in einem „konkreten Aktionsrahmen“ politischer Prozessführung zu bewegen, bedeutet dabei nicht nur, dem in die komplexe bundesrepublikanische Sicherheitsarchitektur eingebauten, extremismustheoretisch grundierten Feindstrafrechtssystem selbstbestimmt – als politisches Subjekt, das Teil sozial bewegter Aufhebungsperspektiven ist -, entgegentreten und seine regulative Funktionalität entlarven zu können; es ist zugleich das konzessive Rekurrieren auf die mutuale und reziproke Solidarität der parteiunabhängigen, strömungsübergreifenden Organisation Rote Hilfe.

 
 
 
Die Rote Hilfe e.V. als Schutz- und Solidaritätsorganisation
 
Denn die Rote Hilfe e.V. schützt die Personen, deren politisches Engagement im emanzipatorischen Sinne über die derzeit herrschenden Verhältnisse hinaus weist, nicht nur vor den extremen Zumutungen staatlichen Repressionsgebarens; sie solidarisiert sich auch mit den Betroffenen.
 
Der Schutz findet im Idealfall vor den konkreten Repressionsmaßnahmen eines repräsentativdemokratisch verformten Staates statt, der die Reproduktion eines konstitutiv inegalitären Systems von Ausbeutungs- und Dominanzbeziehungen garantieren und legitimieren muss; er „arbeitet“ kontinuierlich und unabhängig mit allen jeweils zur Verfügung stehenden, gesellschaftlich durchsetzbaren gegeninformationspolitischen Mitteln. Ziel aller diskursfähigen beziehungsweise diskursmächtigen Schutz„maßnahmen“ ist die möglichst umfassende, nachhaltig wirkende Erzeugung eines subjektiv internalisierbaren Bewusstseins darüber, dass, welche*r den Makel „politisch linksmotivierter Devianz und Dissidenz“ angeheftet bekommt, mit allen Facetten staatlicher Repression konfrontiert werden kann. Ist dieses aufgeklärte Bewusstsein dann einmal in den „Träger*innen devianter und dissidenter Motivationen“ verankert, dann können diese so effektiv wie nur möglich versuchen, staatliche Repressionsmaßnahmen ins Leere laufen zu lassen und den bewegungsbinnenstrukturellen Zusammenhalt zu stärken.
 
Die Solidarität wiederum gilt den schließlich konkret von staatlicher Repression Betroffenen (bei denen also die prärepressiven Schutz„maßnahmen“ nicht mehr gegriffen haben oder nicht greifen konnten). Und da die Rote Hilfe e.V. ihrem Selbstverständnis nach weder eine karitative Einrichtung noch eine auf dem „Markt der Möglichkeiten“ wählbare Rechtsschutzversicherung ist, fußt ihr solidarisches Agieren eben nicht auf dem „Prinzip Einbahnstraße“, sondern auf einem mutualen und reziproken Verhältnis, also einem auf Gegen- und Wechselseitigkeit beruhenden Axiom. Auf den einzelnen Unterstützungsfall heruntergebrochen, der bei der Roten Hilfe eingeht und von ihrem Bundesvorstand befürwortet wird, bedeutet dies, dass jede*r (falltechnisch positiv beschiedene) Antragsteller*in den auf politischem Vertrauen gebauten Support der RH erhält (mit allem, was dazu gehört), von sich aus aber ebenfalls solidarisch sein muss – der Roten Hilfe als Organisation gegenüber, aber auch ihrem*seinem politischen Umfeld und allen anderen gegenüber, die die gleichen oder ähnliche Erfahrungen mit dem bundesrepublikanischen Repressionsapparat gemacht haben oder noch machen werden. Und diese auf gegenseitiger Hilfe und wechselseitiger Unterstützung basierende Solidarität verlässt ganz bewusst das rein Materielle; Antragsteller*innen müssen nicht einmal zahlende Mitglieder der bundesweiten Organisation sein, um mit dem Regelsatz – der Übernahme von 50% aller Kosten – unterstützt zu werden: Sie wird zum allgemeinen politischen Gradmesser – für alle Beteiligten und während aller Phasen der in Stationen gegliederten Repressionsfälle.
 
Wird der Solidaritätsbegriff noch weiter aufgeschlüsselt und damit ganz allgemein anwendbar gemacht auf systemantagonistische oder systemkritische Regelverstöße gegen die Kontroll- und Disziplinargesellschaft, die staatlicherseits repressiv zu ahnden sind und sanktioniert werden müssen, dann umschließt er folgende Bereiche:
 
Solidarität ist zunächst die Zusammenarbeit zwischen politisch aktiven Menschen, die von staatlicher Repression betroffen sind, und roten Helfer*innen aus der bundesweiten Organisation.
 
Sie findet – bezogen auf diese Zusammenarbeit – in möglichst gleichberechtigter Weise statt, auch wenn die (erfahrenen) roten Helfer*innen selbstverständlich oftmals über einen gewissen Wissensvorsprung verfügen (hinsichtlich des von ihnen beackerten Repressionsthemas).
 
Sie findet darüber hinaus statt zwischen Personen, die – zu unterschiedlichen Zeiten und an unterschiedlichen Orten – ähnliche oder gar gleiche Situationen der Benachteiligung erfahren haben (im Sinne von: politischer Unterdrückung).
 
Und sie ist eingewoben in eine allgemeine, von Betroffenen und Unterstützer*innen geteilte Aufhebungsperspektive; und das funktioniert selbstverständlich nur über die gemeinsame, kollektivistische Herbeiführung eines grundlegenden, eines fundamentalen Wandels der gesellschaftlichen Verhältnisse, in denen kapitalistische Produktionsweise stattfindet.
 
Und diese Leitmotivik muss auch bei der Politischen Prozessführung durchgehalten werden; das sind die von staatlicher Repression Betroffenen der Roten Hilfe schuldig. In concreto heißt dies, dass sich ein wegen der „Begehung politisch linksmotivierter Straftaten“ angeklagter Mensch, der es in Absprache mit der Roten Hilfe auf einen („Erfolg versprechenden“) Gerichtsprozess ankommen lässt, permanent den inneren und äußeren Bedingtheiten dieses komplexen Solidaritätsfluidums zu vergewissern hat.
 
 
 
Aktion – Reaktion – Bestrafung/Verurteilung
 
Im Idealtypus, bei dem politisch-polizeiliche Prävention und Präemption vernachlässigbare Entitäten bilden, durchläuft ein (von einem Gerichtsprozess „krönbarer“) Fall, der vom Bundesvorstand der Roten Hilfe e.V. als unterstützenswert (im Sinne der Satzung) eingestuft werden soll, dieses grob gerasterte klassische Schema:
 
Aktion: Die*Der von staatlicher Repression Betroffene macht etwas, das von irgendwelchen Helfer*innen, Verwalter*innen und Legitimationsbeschaffer*innen der so genannten freiheitlichen demokratischen Grundordnung (fdGO) als „politisch linksmotivierter Straftatbestand“ deklariert wird.
 
Reaktion: Im derzeit in der BRD installierten, auf exekutiven, judikativen und legislativen Terrains arbeitenden Repressionsapparat werden (verdeckte) Ermittlungen und Ermittlungsverfahren unterschiedlichster Art und Weise in Gang gesetzt, die letzten Endes auf den Punkt zu bringen haben, dass dieses staatlich zugeschriebene „politisch linksmotivierte Agieren“ einer Einzelperson sanktions- und disziplinierungsbewehrt ist, also aus dem bloßen, „immateriellen“ Überwachungsmodus herausgelöst werden muss.
 
Bestrafung/Verurteilung: Die*Der von staatlicher Repression Betroffene wird am Ende eines staatsanwaltschaftlich geführten oder richterlich beschlossenen Ermittlungsverfahrens auf der Basis der konkreten Anwendung von Paragrafen aus der Strafprozessordnung, aus den jeweiligen Landepolizeiaufgabengesetzen, aus dem Versammlungs-, Vereinigungs- oder Vereinsrecht mit einer in Tagessätze aufgeschlüsselten Geldstrafe sanktioniert oder mit einer Verurteilung zu einer Haftstrafe diszipliniert.
 
 
 
Der Politische Prozess
 
Ein gerichtsextern nicht mehr abwendbarer oder gar gewollter Prozess stellt also – innerhalb dieses dreigliedrigen Schemas – immer das letzte, juristisch umhegte Feld dar, auf dem sich noch vermittlungsinstanzlich bewegen lässt, bevor der Staat die*den „politisch linksmotivierte*n Straftäter*in“ bestraft oder verurteilt. Dass vor Gericht – in welchen Instanzen auch immer – bisweilen Einstellungen oder gar glatte Freisprüche „erwirkt“ werden können, ändert nichts an der Tatsache, dass die rechtsformal justierte Justiz bei Straftatbeständen, deren vermeintliche, nun angeklagte „Erfüller*innen“ eine „politische Motivation“ dahinter „aufscheinen“ lassen, einen unbedingten Verurteilungswillen an den Tag zu legen und die Definitionsmacht darüber zu bewahren hat, was als Gewaltmonopolaushebelung oder als Gewaltmonopollegitimierung definiert wird. Ein solcher Prozess wird dann zu einem Politischen Prozess – unabhängig davon, wie das Urteil am Ende ausfällt oder wie der*die jeweilige Richter*in ihn bezeichnet.
 
 
 
Der repräsentativdemokratisch verfasste Rechtsstaat
 
Dem Paschukanisʼschen Diktum folgend, dass das Recht in einem so genannten Rechtsstaat wie der BRD die Interaktionsform einer vorausgesetzten negativen Vergesellschaftung durch das Kapital darstelle, es also kein warenproduzierendes ökonomisches Verhältnis ohne das Rechtsverhältnis geben könne, muss die Besonderung der Justiz, die ihr Unabhängigkeit und Objektivität innerhalb des bürgerlichen Akkumulationsregimes zu sichern habe, zurückgewiesen werden. Die Judikative – als eine der drei Gewalten, die als massive Säulen das schwere Gebäude der inneren (und äußeren) Sicherheit der BRD zu stützen haben -, hat aufgrund der gegenseitigen Durchdringung von kapitalistischer Produktionsweise und bürgerlichem Recht, das konstitutiv für sie ist, zwar auch die Aufgabe, die ins Totalitäre umkippende Herrschaft eines verselbstständigten abstrakten Allgemeinen gegen die Individuen abzufedern, aber ihre regulative Funktion besteht letzten Endes doch darin, die theoretischen und praktischen Beschleuniger*innen grundlegenden Wandels zu bremsen, zur „Rückkehr“ zu zwingen, zur Kooperation (im staatlichen Interesse) zu animieren oder aus dem Verkehr zu ziehen. Und dabei arbeitet sie – parallel zu einer fortschreitenden, autoritär imprägnierten Verrechtlichung von staatlicher Repression – eng mit den polizeilichen Ermittlungsbehörden zusammen, deren Beamt*innen (als offizielle Träger*innen des staatlichen Gewaltmonopols) mit faktischer, auch empirisch belegbarer Straffreiheit „belohnt“ werden.
 
 
 
Die Politische Prozessführung
 
Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass theoretische und praktische Beschleuniger*innen grundlegenden Wandels, die vor Gericht landen und sich dort, auf äußerst unsicherem Boden, zu präsentieren haben, ihre Prozesse politisch, also solidarisch zu führen haben. Kein politischer Aktivismus ist – egal, wo und zu welchen Zeiten er stattgefunden hat -, jemals ohne irgendeine Art von (staatlich definierter) Regelübertretung, Gesetzeswidrigkeit, strafrechtlicher Relevanz ausgekommen. Welche*r an den weit reichenden Zugriffsmöglichkeiten des Staates vorbei systemantagonistischen oder systemkritischen Widerstand zu organisieren und zu konkretisieren beginnt, die*der muss damit rechnen, ins Visier des Repressionsapparates zu geraten. Und einen solchen gibt es in nahezu jedem nationalstaatlich umrahmten Land; er hat nur unterschiedliche Ausprägungen, unterschiedliche Mittel, unterschiedliche Fokussierungen und unterschiedliche Methoden. Davon allerdings hängt dann die Feinjustierung politischer Prozessführungsmodalität ab; in der Konfrontation mit einem politischen System, in das staatlich und damit auch rechtsformal die Todesstrafe oder alle Formen von Folter als Mittel der Aufstandsbekämpfung und -liquidierung implementiert wurde, muss vor Gericht politisch anders agiert werden als in einem Land, in dem das Organisieren und Konkretisieren diverser Aufhebungsperspektiven maximal mit mehrjährigen Haftstrafen geahndet wird; aber die grundsätzliche Ausrichtung, die grundsätzliche Haltung vor Gericht bleibt bestehen:
 
Politische Prozessführung bedeutet das Einnehmen einer mutual- und reziprok-solidarisch konfigurierten Vermeidungsperspektive; in ihrem Verlauf sind bestimmte Strategien zu vermeiden, die in ihrer jeweiligen Darbringungsform vom Gericht, von dem*r Richter*in, von der Staatsanwaltschaft als wie auch immer geartetes Zusammenarbeitsangebot der*s Angeklagten gedeutet werden muss. Zu diesen Strategien, die nicht im Entferntesten etwas zu tun haben mit einem „aus der direkten Not geborenen“, im politischen Zusammenhang abgesprochenen „taktischen“ Vorgehen, das durch präzise, offensive Verwirrung das staatliche Institutionenensemble Justiz ohne jegliche Abstriche für eigene politische Zwecke ausbeutet, gehören unter anderem folgende Essenzen:
 
Verrat: Auch wenn die meisten Rezipient*innen dieses Textes wohl davon ausgehen dürften, dass Verrat als Selbstrettungsstrategie an Bedeutung verloren hat, so spricht der Ablauf einiger politischer Prozesse der letzten Jahrzehnte doch eine andere Sprache. Verrat hat ja nicht nur zwei Seiten – also die eine Seite ist ganz grundsätzlich der Verrat „an der (politischen) Sache“; und die andere Seite ist das Verraten anderer Menschen, die die „politisch linksmotivierte Straftat“ begangen haben sollen, für die nun der*die Verräter*in vor Gericht steht -, er muss auch – bezogen auf diese „Zweiseitigkeit“ – weiter gefasst werden. Und dann greifen eben doch einige Angeklagte zu diesem Mittel. Beispielsweise ist Verrat bereits, das individuelle Begehen einer grundsätzlich legitimen politischen Aktion, deretwegen mensch angeklagt wurde, aus der konkreten Festnahmeaktion heraus diffus oder unbestimmt anderen vermeintlich oder mutmaßlich Beteiligten zuzuschreiben, die im Zuge dessen ermittlungsbehördlich festgestellt werden können.
 
Distanzierung: Eng gekoppelt an diesen weit reichenden Verrats-Begriff ist das Mittel der Distanzierung. Auch sie hat zwei Seiten, auch wenn hier tatsächlich „gesplittet“ werden kann. Mensch kann sich vor Gericht – im Angesicht der*des Richterin*Richters und der*des Staatsanwältin*Staatsanwalts – grundsätzlich von der verhandelten politischen Aktion, deren physischer Teil sie*er in irgendeiner Weise geworden war, distanzieren und als wirkmächtige Aussage beispielsweise zum Besten geben, doch niemals einen Gegenstand in die Hand zu nehmen, um diesen in die Richtung der Zusammenkunft des politischen Gegners zu werfen; sie*er kann sich aber gleichzeitig damit einverstanden erklären, es politisch sinnvoll zu finden, mit anderen zusammen eine Nazidemonstration anzugehen (ohne dabei en détail auf die Straßenverkehrsordnung zu achten). Warum hier in der BRD immer wieder zum Mittel der Distanzierung gegriffen wird, ist nicht nachvollziehbar; seit mehreren Jahrzehnten ist empirisch belegbar, dass Distanzierungen vor Gericht keinen Einfluss auf die gerichtsprozessuale Festlegung des jeweiligen Strafmaßes haben; im Gegenteil: Oftmals „heften“ die Gerichte oder die Staatsanwaltschaften an das Distanzierungsmodul eine negative Sozialprognose; welche*r sich vor Gericht mit Inbrunst von einer bestimmten politischen Aktion „distanziert“, an der sie*er vor einigen Monaten noch begeistert teilgenommen hat (was teilweise staatlich auch noch dokumentiert und bezeugt werden kann), die*der neigt zur „Sprunghaftigkeit“ und damit zur „Verführbarkeit“. Und geht in drei Monaten vielleicht wieder mit auf eine Anti-Nazidemonstration, bei der eine Straße blockiert wird.
 
Reue: Reue ist nochmals weit reichender, auch „emotionaler“ als die Distanzierung, weil sie gar keine Abschwächung zulässt, also immer einen dauerhaften, entsolidarisierenden Riss erzeugt. Reue ist das vor Gericht zum Besten gegebene, „tiefe Bedauern über etwas, was nachträglich als Unrecht, als [moralisch] falsch empfunden wird“. Damit trifft die Person – in Absprache mit dem*der hinzugezogenen Anwalt*Anwältin – eine unumkehrbare Entscheidung, die einer Unterstützung durch die Rote Hilfe gänzlich entgegensteht: Ich habe eine „politisch linksmotivierte Straftat“ begangen oder massiv unterstützt, die ich im Nachhinein als falsch empfinde! Wählt jemensch die Reue als probates Mittel zur Herabsetzung des Strafmaßes, so ist hier – im Gegensatz zur Distanzierung – wenigstens empirisch belegbar, dass dies Auswirkungen auf den Urteilsspruch des Gerichts haben wird. Reuige Angeklagte kommen relativ häufig mit einem Freispruch oder mit einer Einstellung davon, weil ihre Sozialprognose „positiv“ gewendet werden kann; sie haben damit ihre staatskritische oder gar -negierende Attitüde zugunsten eines staatstragenden Anspruchs aufgegeben. Welche*r einmal reuig ist, ist es immer! Tief empfundene Reue ist das Äquivalent zu den staatlich durchdeklinierten Repressionsmodi: Überwachung/Kontrolle – Abschreckung – Machtdemonstration – Delegitimierung – Schuldzuweisung – Vereinzelung – Anpassung/Disziplinierung.
 
Entschuldigung: Auch die (emotionalisierte) Entschuldigung gehört zum „Vermeidungskanon“. Auch sie hat mehrere Ebenen, die aber alle keine Option im Sinne der Satzung der Roten Hilfe e.V. sein können. Entschuldigung hat immer eine lineare, einspurige Zielgerichtetheit, muss aber von ihrem Objekt nicht „angenommen“ werden; die bloße Bekundung (vor Gericht) eines „Es tut mir Leid, dass ich…“ reicht schon aus; das Gericht jedenfalls nimmt dann – in fast allen Fällen – stellvertretend für die „Geschädigten“ diese Entschuldigung an. Wichtig ist noch – auf die Mehrschichtigkeit dieser Strategie zurückgekommen -, bei welcher oder bei wem sich entschuldigt wird. Das kann ein Polizeibeamter sein, das kann ein Nazi sein, das kann ein*e Filialleiter*in eines Supermarktes sein, dessen*deren Laden geplündert wurde, usw. Und die Entschuldigung kann, in Kombination mit Verrat, Distanzierung oder Reue, stellvertretend ausgesprochen werden: Für Einzelne und deren „politisch linksmotivierte Straftaten“; oder für eine bestimmte Weltanschauung, für einen bestimmten Systemantagonismus, für eine bestimmte sozialrevolutionäre Bewegung, für eine bestimmte politische Gruppe, die für eine bestimmte Aktion verantwortlich zeichnet, usw. Nichts von alledem hat – aus der Sicht der*s Angeklagten – etwas in einem Politischen Prozess zu suchen. Abgesehen davon, dass die staatliche Schuldzuweisung dann legitimiert wird (Ich ent-schuld-ige mich für etwas, das ich in einem politischen Kontext anderen Personen oder Sachen „angetan“ habe oder das anderen beziehungsweise anderem „angetan“ wurde), ist der Gerichtssaal der allerletzte Ort, an dem solche Vermittlungsinstanzen (scheinbar diskursförmig) aufgebaut werden sollten. Die Rote Hilfe e.V. jedenfalls ist dann wieder aus dem Spiel…
 
Direkte Kooperationsangebote: Auch das kann es in Politischen Prozessen, bei denen immer (verdeckt oder offen) Mitarbeiter*innen der Staatsschutzabteilungen der Kriminalpolizeien im Publikum sitzen, geben, indem Angeklagte mit Nachdruck signalisieren, über den jetzigen Prozess hinaus nicht abgeneigt zu sein, auch weiterhin mit sich anbietenden Behörden zu kooperieren und deren Kampf gegen so genannte linksextremistische Kräfte, in deren Indokrinationsstrudel mensch geraten sei, tatkräftig zu unterstützen.
 
 
 
Politische Prozessführung ist in idealtypischer Ausprägung aber auch eine hochgradig selbstermächtigende Offensivstrategie, bei der die*der Angeklagte – immer in Rücksprache mit politisch vertrauenswürdigen Anwält*innen und der jeweils involvierten Anti-Repressionsstruktur – versucht, im von staatlicher Herrschaft durchdrungenen Prozesssaal die eigenen, nicht verhandelbaren politischen Standpunkte (am besten in einer starren, vor Ort vorgetragenen politischen Erklärung) zu verdeutlichen und nichts zur „Sache“ zu sagen. Denn diese „Sache“, die dort vor Gericht verhandelt wird, ist immer die Sache der „anderen“, des Staates, der Justiz oder gar des politischen Feindes (sollte jener direkt klageführend sein). Hier soll Menschen etwas „politisch Linksmotiviertes“ nachgewiesen oder untergeschoben werden, das nicht mit den derzeit geltenden, multipel wirkenden Rechtsnormen und Rechtsformen d`accord geht, im Verständnis der Angeklagten aber legitim ist. Und genau darum geht es dann bei der politischen, solidarischen Prozessführung: Die Quintessenz hat das eigene Legitimitätspostulat zu sein, das dem staatlich kolportierten, freiheitlich demokratisch gegrundordneten Legalitätsnarrativ entgegengesetzt wird; politisches, theoretisch fundamentiertes, in herrschaftsfreien Diskursräumen austariertes Aktivsein bewegt sich – je nach Radikalitäts-, Emanzipations- und Militanzgrad – fast immer auf einem von der Strafprozessordnung, den Landespolizeiaufgabengesetzen, vom Versammlungs-, Vereinigungs- oder Vereinsrecht nicht umhegbaren Feld, das zivilgesellschaftlich/sozial bewegt beackert wird. Gelingt der Coup, dass vor Gericht gezeigt werden kann, dass der hier verhandelte und an einer Einzelperson durchexerzierte „Fall“ seine Berechtigung hat, seine Legitimität besitzt und in einen größeren (meta)politischen Zusammenhang gesetzt werden kann, dann hat die offensive politische Prozessführung ihre Aufgabe erfüllt – auch zur Zufriedenheit der Roten Hilfe e.V., die selbstverständlich mit dafür Sorge tragen muss, dass sie keine Menschen vollumfänglich unterstützt, deren unsolidarisches, also verräterisches, distanzierendes, reuiges, entschuldigendes oder kooperierendes Verhalten auf den „Bühnen der Jurisprudenz“ im Nachgang dazu führt, dass andere Personen, die dem konkreten Zugriff der staatlichen Ermittlungsbehörden oder der Gerichte oder der Staatsanwaltschaften bisher entrinnen konnten (aus welchen Gründen auch immer), mit Strafbefehlen, (verdeckten oder offenen) Verfahren, Anklagen oder Zeug*innenvorladungen überzogen werden und der Staat (hier vermittels des judikativen Arms) tiefe Einblicke in linke oder linksradikale Strukturen erhält. Einblicke, die er braucht, um systemstabilisierende Repression und autoritären Kriminalisierungsprotektionismus noch durchschlagender zu gestalten…