deniz stuttgart 2

»Dabei ist viel Meinungsmache«

Der junge Antifaschist Deniz K. sitzt aufgrund konstruierter Vorwürfe seit Monaten in Haft. Ein Gespräch mit Uta Heinrichs

Seit 21. April sitzt Denziz K. in Untersuchungshaft. Was wird ihm vorgeworfen?

Deniz soll auf einer antifaschistischen Demonstration im März in Nürnberg mit einer Fahnenstange auf Polizisten eingestochen haben. Die Staatsanwaltschaft konstruierte daraus einen Tötungsvorsatz, den sie mit der politischen Einstellung des Demonstranten begründet.

Deniz soll den Tod von Polizisten in Kauf genommen haben, um auf die damals verbotene Route der Demo in der City zu gelangen. Bei seiner Verhaftung wurde ihm zunächst zweifacher versuchter Totschlag vorgeworfen. Angeklagt wurde er nun wegen versuchten Totschlags in fünf Fällen, Widerstands und gefährlicher Körperverletzung.

Es dürfte kaum möglich sein, gepanzerte und behelmte Polizisten mit einer nur etwa zwei Zentimeter dicken Fahnenstange zu töten. Wie erklären Sie sich, daß die Staatsanwaltschaft einen derart albernen Vorwurf konstruiert?

Dazu muß man den Kontext sehen. Die Demonstration im März richtete sich gegen Naziterror und die Verstrickungen staatlicher Apparate. Gegen Deniz ermittelt nun dieselbe Staatsanwaltschaft, die nach den »Döner-Mördern« fahndete, anstatt sich endlich mit den Strukturen organisierter Nazis zu beschäftigen. Diese hatten hier in Franken beste Kontakte zum NSU-Umfeld.

Schon im Vorfeld wurde die damalige Demo mit Auflagen wie einem Innenstadtverbot behindert. Kurz danach sprach die Presse noch von einer weitgehend friedlichen Demo. Einige Wochen später soll es plötzlich Totschlagsversuche gegeben haben? Für uns ist das ein Kriminalisierungsversuch. Die Anklage ist bereits aufgrund dieses absurden Vorwurfs als Repression zu werten. Denn dabei ist auch viel Meinungsmache. Wenn gegen jemanden Ermittlungen wegen Tötungsdelikten stattfinden, steht der Betroffene gleich in ganz anderem Licht da. Dadurch werden Bündnispartner abgeschreckt. Außerdem kann der Staat künftiges Vorgehen gegen Linke mit Verweis auf »gestiegene Zahlen von Straftaten« rechtfertigen – egal, wie haltlos die Vorwürfe waren.

So ein Vorgehen gibt es aber nicht nur hier, sondern bundesweit immer häufiger. Beispielsweise wird auch wegen der antikapitalistischen Proteste im März in Frankfurt am Main wegen versuchten Totschlags ermittelt. Zunehmend stellen wir eine Kriminalisierungsstrategie gegen Linke fest. Darin liegt ein Versuch, die Koordinaten des Rechtssystems zu verschieben.

Während der Haft soll Deniz K. mehrfach rassistisch beschimpft worden sein. Was ist vorgefallen?

Anfangs wurde er von den Wärtern als »der Türke, der die Polizisten töten wollte«, bezeichnet. Nach einer Verlegung von Deniz wollten sie ihn durchsuchen und verlangten dazu, daß er sich vor einer Gruppe von Beamten auszieht. Deniz protestierte und wollte dies nicht tun. Er wurde daraufhin geschubst, am Hals gepackt und geschüttelt. Sein Hemd wurde bei dem Übergriff völlig zerrissen.

Oft hat die Polizei nicht nur ein staatliches Gewaltmonopol, sondern vor Gericht auch eine Art Wahrheitsmonopol. Sehen Sie eine Chance, daß der Vorwurf »versuchter Totschlag« entkräftet werden kann?

Wir erleben leider oft, daß Aussagen von Polizisten vor Gericht blind Glauben geschenkt wird. Die Beamten sind jedoch keine neutralen Zeugen, sondern staatlich Bedienstete. Hinzu kommt ein Korpsgeist, der in weiten Teilen der Polizei vorherrscht. Da werden schon mal im Belastungseifer Aussagen abgesprochen.

Umgekehrt werden gegen Polizisten gerichtete Zeugenaussagen abgetan. Bei der Demonstration im März wurde etwa eine linke Nürnberger Stadträtin von einem Beamten beleidigt. Obwohl sie ihn mit Fotos identifizieren konnte, wurde das Verfahren eingestellt. Wie der Prozeß gegen Deniz ausgeht, können wir nicht sagen. Entscheidend sind jedenfalls öffentliches Interesse und politischer Druck.

Sie planen für die kommenden Wochen Solidaritätsveranstaltungen für Deniz K. Womit kann er unterstützt werdern?

Das Verfahren beginnt voraussichtlich Ende Oktober. In Nürnberg wird es am 13. Oktober eine Podiumsveranstaltung und eine Solidaritätsdemonstration geben. Auch Aktionen in anderen Ländern sind geplant; z.B. vor deutschen Botschaften in London, Paris, Den Haag, Bern und in anderen Städten.