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»Militaristen setzen auf Kapitulation der NDFP«

Philippinen: Friedensverhandlungen zwischen Regierung und linkem Untergrundbündnis drohen zu scheitern. Gespräch mit José Maria Sison
Interview: Rainer Werning, junge Welt 12.Juni 2017

José Maria Sison war Ende 1968 Gründungsvorsitzender der Kommunistischen Partei der Philippinen (CPP), die zusammen mit ihrer Guerilla der Neuen Volksarmee (NPA) Teil des linken Untergrundbündnisses der Nationalen Demokratischen Front (NDFP) ist. Er lebt seit 30 Jahren im niederländischen Utrecht im Exil, von wo aus er als politischer Chefberater der NDFP fungiert

Vor einem Jahr tauschten Sie und Herr Duterte Nettigkeiten über Skype aus, und die Erwartungen für politische Veränderungen waren doch sehr hoch.

Als ich mit Duterte am 25. April 2016, noch vor der Präsidentschaftswahl (am 9. Mai, jW), eine Skype-Konferenz hatte, erklärte er, der erste linke Präsident der Philippinen werden zu wollen. Er sei kein Kommunist, verstehe sich aber als Sozialist.

Eine Woche nach seiner Wahl sandte ich Fidel Agcaoili (Chef des NDFP-Friedensverhandlungsteams, jW) zu Direktgesprächen mit Duterte in die Philippinen. Dabei versprach der Präsident, alle von der NDFP aufgelisteten politischen Gefangenen freizulassen.

Es schien, als herrschte bei den Friedensgesprächen zwischen Ihrer Seite und der Regierung in vier Verhandlungsrunden ziemlich große Euphorie. Warum scheiterte die avisierte fünfte Verhandlungsrunde?

Die ersten vier Runden der formellen Gespräche waren tatsächlich erfolgreich, wenngleich die Regierungsseite entgegen Dutertes Versprechen die Amnestie und Freilassung von politischen Gefangenen hinauszögerte. Die Gespräche machten selbst dann noch Fortschritte, als die Militaristen in der Regierung – namentlich Verteidigungsminister Delfin Lorenzana, Nationaler Sicherheitsberater Hermogenes Esperon und Generalstabschef Eduardo Ano – die NDFP mit der Forderung nach einem ausgedehnten und unbestimmten bilateralen Waffenstillstand noch vor dem Abschluss des »Umfassenden Abkommens über soziale und wirtschaftliche Reformen«, CASER, konfrontierten.

Die Regierung zog sich von der fünften Runde der formellen Gespräche zurück, weil sich die NDFP weigerte, sich auf einen langen, dazu unklaren bilateralen Waffenstillstand vor der Freilassung der politischen Gefangenen und der Unterzeichnung von CASER einzulassen. Die Militaristen setzen auf eine Kapitulation der NDFP.

Bis zum 31. Dezember gilt in den Südphilippinen das Kriegsrecht. Erwarten Sie dessen Ausweitung auf das ganze Land?

Duterte selbst hat mehrfach damit gedroht. Er hat gesagt, die NPA sei das nächste landesweite Ziel. Sein Kriegsrecht ist katastrophaler als die Kriegsrechtsperiode zu Marcos’ Zeiten (1972 bis 1981, jW). Bereits bis jetzt sind 10.000 bis 12. 000 Personen Opfer außergerichtlicher Hinrichtungen in Dutertes »Antidrogenkrieg« geworden – während der faschistischen Marcos-Diktatur wurden 3.500 politische Gegner ermordet.

Einige Mediziner in den Philippinen haben den Präsidenten wahlweise als einen »Soziopathen« oder »Psychopathen« bezeichnet. Wieso aber genießt der Mann noch so große Popularität?

Duterte ist tatsächlich ein Verrückter. Er ist beides – ein Soziopath und Psychopath. Seine Suchtabhängigkeit vom Opioid Fentanyl hat ihn wahnsinnig gemacht. Seine Drogenabhängigkeit verbindet sich mit seiner Liebe fürs Töten als Demonstration politischer Macht. Er hat die Polizei und das Militär in Todesschwadronen verwandelt, indem er Geld und Beförderungen einsetzte.

Dutertes sogenannte Popularität ist das Ergebnis seiner Allianz mit mächtigen Anti-Aquino-Politikern (Benigno S. Aquino III. war Dutertes Vorgänger, jW) wie etwa dem Marcos-Clan, den früheren Präsidenten Arroyo und Estrada sowie Vertretern der Großindustrie, die seinen Wahlkampf finanzierten. Als Präsident kann er nun ungeniert die Propagandamöglichkeiten auf Regierungsebene voll ausnutzen. Doch viele seiner während des Wahlkampfs verkündeten Versprechen kann er nicht erfüllen und die sozialen Probleme nicht lösen. Das wird seine Popularität schwinden lassen.

Was vermuten Sie: Wie sehen die Philippinen am Ende der Duterte-Präsidentschaft aus?

In fünf weiteren Jahren von Dutertes Herrschaft werden die Philippinen unterentwickelter, verarmter und durch eine Politik verwüstet sein, die dem US-Imperialismus sowie den mächtigen Kompradoren und Großgrundbesitzern zu Diensten ist. Aber kann er überhaupt die Regierungszeit angesichts seiner Gesundheitsprobleme, der wachsenden Unzufriedenheit breiter Massen und der Möglichkeit, zuvor von einer Einheitsfront aus dem Amt entfernt zu werden, zu Ende bringen?