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»Trotz Meldeadresse und Praktikumsplatz sitzt er ein«

Antifaschist Deniz K. bleibt in Haft: Wegen doppelter Staatsbürgerschaft und häufiger Türkei-Besuche bestehe Fluchtgefahr. Gespräch mit Uta Heinrichs
Interview: Markus Bernhardt, junge Welt 27.12.12
Uta Heinrichs ist Sprecherin des Solidaritätskomitees »Freiheit für Deniz K.«

Der Antifaschist Deniz K., der im November vom Landgericht Nürnberg-Fürth zu einer Haftstrafe von insgesamt zweieinhalb Jahren verurteilt wurde, saß bereits ab April in Untersuchungshaft. Ursprünglich wurde ihm »versuchter Totschlag« in mehreren Fällen vorgeworfen. Er soll mit einer nur zwei Zentimeter dicken Fahnenstange auf gepanzerte und behelmte Polizisten eingeschlagen haben (jW berichtete). Wie geht es Deniz K. derzeit?
Deniz hat das Urteil einigermaßen ruhig und gefaßt aufgenommen. Wie wir alle ist natürlich auch er selber darüber empört, wie offenkundig mit diesem Urteil konsequenter Antifaschismus und linksradikale Gesinnung abgestraft wurden. Nach der ungeheuerlichen Drohkulisse des Totschlagsvorwurfs und der langen U-Haft taten sich die Justizbehörden aber auch einfach schwer damit, zurückzurudern. Im Video-Beweismaterial waren fortwährend prügelnde Polizisten zu sehen, die zu guter Letzt eine Stange in der Hand hielten.

Die Verteidiger von Deniz K. haben Revision gegen das Urteil vor dem Bundesgerichtshof eingelegt. Was kritisieren Sie an dem Prozeßverlauf vor dem Landgericht?
Die genaue Begründung der Revision liegt uns nicht vor, aber alle Beobachter des Prozesses sehen dieses Urteil nicht im Einklang mit den vorgelegten Beweisen. Als die Mordkommission zehn Tage nach der Demonstration Ermittlungen wegen »versuchten Totschlags« aufnahm, fragte sie erst gar nicht nach der angeblichen Tatwaffe, also jener im Polizeibesitz befindlichen ominösen Stange, um sie forensisch zu untersuchen. Sie war offensichtlich darum bemüht, durch Gespräche mit Beamten eine Polizeiversion der Vorfälle zu konstruieren. Das ging so weit, daß während der Beweisaufnahme Manipulationen an Ermittlungsprotokollen zu Tage kamen. Des weiteren mußten Telefonabsprachen zwischen Belastungszeugen während des laufenden Prozesses zugegeben werden.

Da die Verteidigung Rechtsmittel gegen das Urteil eingelegt hat, ist es nicht rechtskräftig. Trotzdem ist Deniz K. noch immer inhaftiert. Warum?
Da haben sich einige maßgebliche Leute offenbar ein hohes Strafmaß in den Kopf gesetzt, und das lassen sie Deniz K. spüren. Das Landgericht hat erst kürzlich eine Haftbeschwerde zurückgewiesen. Auch ohne Totschlagsvorwurf bestehe wegen doppelter Staatsbürgerschaft und häufiger Großelternbesuche in der Türkei »erhebliche Fluchtgefahr«, so das Gericht. Obwohl Deniz hier in Nürnberg sofort eine Meldeadresse und auch einen Praktikumsplatz hätte, sitzt er weiter ein. Das Oberlandesgericht wird in der gegen diese Entscheidung eingelegten Berufung nicht vor dem 7. Januar nächsten Jahres entscheiden.

Die Forderung, Deniz K. umgehend freizulassen, wird mittlerweile nicht nur von Ihnen, sondern auch von der linken Rechtshilfe- und Solidaritätsorganisation Rote Hilfe und dem Bundesvorsitzenden der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten, Professor Heinrich Fink, unterstützt …
Unser Ziel ist es jetzt, die unterschiedlichen Spektren, in denen konsequenter Antifaschismus praktiziert wird, in der Antirepressionsarbeit besser zu vernetzen. Ob die nach Paragraph 129 StGB (»Bildung einer kriminellen Vereinigung«) Verfolgten in Zusammenhang mit den antifaschistischen Massenblockaden in Dresden, ob die Gräfenberg-Blockierer oder wer auch immer – Wir müssen zusammenstehen. Aktuell planen wir eine Podiumsdiskussion, die am 25. Januar (19 Uhr) in der »Villa Leon« in Nürnberg stattfinden soll.

Wie erklären Sie sich den überdurchschnittlichen Verfolgungseifer, den die Behörden gegen den jungen Antifaschisten an den Tag legen?

Es soll ganz offensichtlich ein Exempel statuiert werden. Wer wirklich empört ist über die Morde des »Nationalsozialistischen Untergrundes« (NSU) und die staatlichen Verstrickungen im Umfeld dieses neofaschistischen Terrornetzwerkes, dem soll klar gemacht werden, daß er mundtot gemacht werden kann. Alles, was in Sachen Antifaschismus über Lichterketten und Andachten hinausgeht, riskiert Knast – das ist die eindeutige Botschaft.

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