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Rundbrief der GG/BO Nr. 1/2015 Berlin, 2. Januar 2015

Liebe Kolleg_innen,
in dem ersten Rundbrief der GG/BO im gerade begonnenen neuen Jahr wollen wir eine Kurzzusammenfassung der Grundlinie und des Grundmusters der GG/BO liefern sowie einen kleinen Ausblick für die kommenden Monate wagen.

Wir hoffen, dass sich mit den unten stehenden Erläuterungen offene Fragen und vermeintlich unklare Aspekte der gewerkschaftspolitischen und – rechtlichen Positionen der GG/BO insbesondere für Interessierte und potentielle Mitglieder der GG/BO beantworten bzw. ausräumen lassen.
Die Rundbriefe der GG/BO gehen an die Mitgliedschaft (einschl. Sprecher_innen und stellv. Sprecher_innen), Kolleg_innen aus den Soli-Kreisen und an inhaftierte und nicht inhaftierte Kolleg_innen, die mit der GG/BO offen sympathisieren bzw. eine Aktivität innerhalb unserer drinnen und draußen bestehenden Gewerkschaftsinitiative anstreben.

Zur Grundlinie der GG/BO
Die GG/BO gründete sich Ende Mai 2014 als sog. nicht rechtsfähiger Verein (§§ 21 i.V.m. 54 BGB) vor und hinter den Knastmauern formaljuristisch korrekt
und stützt sich hierbei auf den Art. 9, Abs. 3 (Koalitionsrecht) des bundesdeutschen Grundgesetzes. Unter anderem basieren Gewerkschaftsgründungen
auf diesem Grundrechtsartikel. Um ein Höchstmaß an Autonomie und Staatsferne zu haben, gründeten sich (Basis-)Gewerkschaften als sog. nicht
rechtsfähige Vereine (auch nicht eingetragene Vereine genannt). Zudem lässt sich hierdurch der administrative Aufwand (keine sieben
Gründungsmitglieder, kein Eintrag ins Vereinsregister, kein Gang zum Notar etc.) gering halten.
Die Kernforderungen, mit denen die GG/BO angetreten ist, sind klar umrissen: Mindestlohn und Rentenversicherung für Gefangene. Mit diesem Minimalziel
soll der (lange) Weg beschritten werden, um die volle Gewerkschaftsfreiheit hinter Gittern Etappe für Etappe durchzusetzen (u. a. Versammlungsfreiheit für
Gewerkschaftsmitglieder und in den JVA-Betrieben, Tariffähigkeit und Arbeitskampfmittel; Mitbestimmung und Mitwirkung in den JVA-Betrieben durch die Beschäftigten im Rahmen des Betriebsverfassungsgesetzes).
Die GG/BO nimmt Rechte, die Verfassungsrang haben, war und zielt auf grundlegende Sozialreformen schwerpunktmäßig in der Arbeitswelt der Haftanstalten in der Bundesrepublik. Die GG/BO fällt nicht unter den § 160 StVollzG (sog. Gefangenenmitverantwortung), sondern stützt sich auf das Grundrecht der Koalitionsfreiheit, das Inhaftierten nicht verwehrt ist. Das gewerkschaftspolitische und gewerkschaftsrechtliche Agieren der GG/BO ist nicht
gegen die „Sicherheit und Ordnung“ in den Haftanstalten gerichtet. Ein Gewerkschaftsengagement ist stattdessen Ausdruck einer Ausbildung von Solidarität (Zusammengehörigkeitsgefühl), Autonomie (Eigenständigkeit) und Emanzipation ( Gleichberechtigung) – was kann (re-)sozialisierender sein, als eine Betätigung als Mitglied der GG/BO?
Der GG/BO gehören aktuell ca. 350 inhaftierte oder ehem. inhaftierte Mitglieder und solidarische Kolleg_innen draußen an. In ca. 30 Knästen der Bundesrepublik hat die GG/BO Mitglieder, in zehn Knästen bestehen Sektionen der GG/BO mit einem vom Bundesvorstand (BV) ernannten Sprecher und gegebenenfalls stellv. Sprechern. Des Weiteren organisiert die GG/BO Menschen in der Sicherungsverwahrung, einem Relikt aus der Nazi-Zeit. In Berlin
und Köln haben sich Soli-Kreise außerhalb der Knastmauern gebildet, die die GG/BO mit Rat und Tat unterstützen. Es ist das erklärte Ziel, dass sich weitere solcher Kreise in anderen Städten und Regionen bilden.
Der Aufbauprozess der GG/BO lässt sich im Wortsinne in ihrem Sprachrohr „outbreak“ ablesen, was als das zensurfreie zentrale Organ der GG/BO dreimal
jährlich erscheinen wird.

Zum Grundmuster der GG/BO
– Wenn eine Entscheidung getroffen worden sein sollte, in der GG/BO wirken zu wollen, dann besteht der Auftakt darin, den Beitritt in die GG/BO als
Einzelmitglied zu vollziehen. Hierzu muss das Beitrittsformular der GG/BO unterschrieben an das Postfach der GG/BO, Haus der Demokratie und
Menschenrechte, Greifswalderstr. 4, 10405 Berlin oder an den Rechtssekretär der GG/BO, Mehmet Aykol, Seidelstr. 39, 13507 Berlin geschickt werden.
Jedes Neumitglied erhält eine Bestätigung des Beitritts und einen Mitgliedsausweis zugesandt, der jährlich zum Jahresauftakt neu ausgestellt wird.

– Aufgabe der (aktiven) Mitglieder ist es u.a., die im Rahmen des Knastes möglichen Tätgikeiten umzusetzen: die GG/BO als Gewerkschaft publik zu
machen, die beiden Kernforderungen nach Mindestlohn und Rentenversicherung vorzutragen, unser (Fern-) Ziel der vollen Gewerkschaftsfreiheit hinter
Gittern nach Art. 9, Abs. 3 GG und des Betriebsverfassungsgesetzes im Blick zu haben (wie erwähnt: Versammlungsfreiheit im Knast, Tariffähigkeit,
Arbeitskampfmittel, Mitwirkung und Mitbestimmung hinsichtlich der Arbeitsorganisation), Interessierte zu gewinnen und Mitglieder zu werben, einen
Gemeinschaftssinn unter sonst so fraktionierten Inhaftierten zu entwickelen helfen; ja, ein solidarisches und nicht diskriminierendes Verhalten an den Tag
zu legen; Ideen für Artikel und Beiträge unseres Sprachrohrs „outbreak“ einzubringen usw. usf.

– Für (potentielle) Sprecher und Sprecherinnen der GG/BO in einzelnen Knästen, die vom BV ernannt werden, kommt neben den oben aufgeführten
Aspekten wesentlich die koordinatorische Aufgabe der Sektion der GG/BO zu, innerhalb des Knastes die Mitgliedschaft mit zugesandten Info-Materialien
der GG/BO zu versorgen, eventuelle Diskussionspunkte in der Mitgliedschaft festzuhalten und dem BV gegenüber zu kommunizieren, die
Betriebslandschaft in der jeweiligen JVA zu kennen (u.a.: Welche Landesbehörden und externen Unternehmen lassen zu Billiglöhnen hinter Gittern
produzieren? Wie ist das Verhältnis zu den Werksmeister_innen? Werden Arbeitsschutzrichtlinien eingehalten?) und Vorschläge zu unterbreiten, wo
konkret vor dem Hintergrund der spezifischen Bedingungen im Knast X anzusetzen ist. Letztlich geht es um die Schaffung einer Basis als GG/BO vor Ort,
um das lokale Agieren im Sinne der GG/BO, um Eigeninitiative und Selbstorganisierung. Im Idealfall stimmt sich der/die GG-Sprecher/-in (engstens) mit
dem Soli-Kreis ab, um lokal oder regional spezifische Aktivitäten anzuschieben, um z.B. Info-Veranstaltungen mit nicht inhaftierten Kolleg_innen und
Interessierten durchzuführen, an einem lokalen/regionalen Soli-Netzwerk zu knüpfen, Kundgebungen vor Knästen, Landesbehörden oder Unternehmen
abzuhalten, um den legitimen Forderungen der GG/BO Nachdruck zu verleihen und weiteres mehr.

– Der BV fungiert als zentraler Knotenpunkt für Information, Aktivierung und Organisierung der GG/BO. Der BV ist im Idealfall sowohl innerhalb als auch
außerhalb der Knäste präsent. Zu den Aufgaben des BV bzw. seines direkten Soli-Kreises zählen neben der immer umfänglicher werdenden Administration
die gewerkschaftspolitischen und -rechtlichen Bereiche der GG/BO-Arbeit, die für die GG/BO insgesamt von Belang sind: – Erstellung und Aktualisierung
der Mitgliederkartei, Korrespondenzen mit inhaftierten und nicht inhaftierten Kolleg_innen, Finanzverwaltung; – das inhaltliche Erarbeiten, Layouten und
Drucken lassen des GG/BO-Info-Materials, das das Selbstverständnis formuliert und das Profil der Organisation darstellt; Kontakte zu Kolleg_innen,
Arbeitsgruppen und Strukturen von [Basis-]Gewerkschaften und (ansprechbaren) Parlamentarier_innen in Bund und Ländern herstellen und gegebenenfalls
vertiefen; Kampagnen u. a. zu Mindestlohn und Rentenversicherung für Inhaftierte entwickeln und in Bündniskonstellationen umsetzen (-> Info-
Veranstaltungen, Kundgebungen, Beteiligung an Demonstrationen); (bundesweit) Veranstaltungen und Treffen vorbereiten und durchführen, um die
GG/BO vorzustellen und bekannter zu machen; Verwaltung der Homepage, die das virtuelle Gesicht der GG/BO darstellt und zunehmend hinsichtlich der
Außenwirkung Bedeutung erlangt; Redaktionsarbeit und Vertrieb von „outbreak“; Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, d.h. u.a. das Verfassen von Presse-
Erklärungen sowie die Bearbeitung von Presseanfragen. – unser Grundsatz ist, dass jeder eigenmächtige vollzugsbehördliche Angriff gegen die legitime
Arbeit der GG/BO in einzelnen Haftanstalten unsererseits mit dem Stellen von § 109 und § 114-Anträgen nach dem StVollzG bei den
Landesvollstreckungskammern beantwortet wird (wie aktuell zu den Schikanen in den JVA´s in Willich I, Würzburg, Tegel). D.h., dass alle rechtlichen
Optionen ausgeschöpft werden, um den Betätigungsraum der GG/BO vor allem in den Knästen zu erweitern; es wird mit (namhaften) Jurist_innen
zusammengearbeitet, um z.B. über Rechtsgutachten zur Frage des Streikrechts von arbeitenden Gefangenen Positionen der GG/BO auf (lange) Sicht
gesellschaftlich mehrheitsfähig zu machen und juristisch zu verankern.
Zum Ausblick der GG/BO

– Ausrufung, Aufbaubeginn und Ausweitung der GG/BO sind erfolgt. Jetzt geht es darum, diesen Strukturaufbau zu sichern, d.h. in eine Konsolidierungsund
Stabilisierungsphase einzutreten. Einiges ist erreicht, vieles noch nicht, um einer basisdemokratischen Gewerkschaftsorganisierung im Detail
entsprechen zu können, was unter den knastspezifischen Bedingungen doppelt kompliziert ist. Es ist zu berücksichtigen, dass in der Unfreiheit der
Parallelwelt Knast eine Organisierung nach freiheitlichen Maßstäben sprichwörtlich an Grenzen stoßen muss. Wir versuchen, eine größtmögliche
Angleichung der Einflussnahme der einzelnen Mitglieder auf die Politik der GG/BO zu verwirklichen. Allerdings werden bestimmte Grade von
Verantwortlichkeiten allein deshalb bestehen bleiben, weil sich die Einzelnen unterschiedlich in die GG/BO-Arbeit einbringen bzw. nur einbringen wollen
oder können.

– Mit der Ausweitung der GG/BO steigen die personellen, organisatorischen und auch finanziellen Anforderungen der GG/BO. Die Kapazitäten sind in jeder
Hinsicht ausgelastet. Die Existenz der GG/BO hängt vom praktisch gewordenen Idealismus ihrer Mitglieder und Solidarischen ab. Eine
„Professionalisierung“ der GG/BO wird in den kommenden Monaten erforderlich sein, um der Herausforderung einer bundesweiten Organisation gerecht
werden zu können. D.h. in erster Linie, dass bestimmte Aufgabenfelder verantwortlich von einzelnen Kolleg_innen übernommen werden müssen, damit die
chronische Arbeitsüberlastung der Hauptaktivist_innen abgebaut werden kann. Ein solches Vorhaben wird erfahrungsgemäß nicht von heute auf morgen
gelingen. Mittelfristig wird es darum gehen, eine Art Bundesgeschäftstelle einzurichten.
– In den anstehenden Wochen stehen vier wichtige Aktivitäten auf dem Plan: 1) der berlinweite Aktionstag am 15.1.15 unter dem Motto “ Mindestlohn für alle
– auch hinter Gittern!“. Hierzu gibt es zwei Kundgebungen vor der SPD-Zentrale und dem Bundesarbeitsministerium der Ministerin Andrea Nahles (SPD).
Abends findet in den Räumlichkeiten der Basisgewerkschaft FAU eine Informationsveranstaltung statt; 2) die Herausgabe der zweiten Nummer des
GG/BO-Sprachrohrs „outbreak“, mit dem nach innen und nach außen gewirkt werden soll; 3) Fortsetzung der im Herbst 2014 begonnenen bundesweiten
Info-Tour, um die GG/BO einem interessierten Publikum aus (Basis-)Gewerkschafter_innen und Aktivist_innen aus verschiedenen politischen
Zusammenhängen vorzustellen (u.a. in Dresden, Leipzig, Mannheim, Karlsruhe, Stuttgart, Hannover, Bremen – und auch in Städten in Österreich); 4) der
bundesweite Aktionstag „Gegen Billiglöhnerei hinter Gittern!“ ist für das späte Frühjahr 2015 vorgesehen. Info-Veranstaltungen und Kundgebungen vor
Knästen, Landesbehörden und Unternehmenssitzen, die im Knast zu Hungerlöhnen Produkte fertigen lassen, sollen stattfinden. Dieser Aktionstag soll in
mehreren Städten abgehalten und durch eine (breite) Öffentlichkeitsarbeit begleitet werden. Hierzu werden Fragebögen für eine „aktivierende
Untersuchung“ an die Mitgliedschaft verschickt, um einen Überblick über die Betriebslandschaft in den einzelnen Knästen zu erhalten.
– Ein Manko ist, dass bislang kein GG/BO-Infopaket für Interessierte und potentielle Mitglieder geschnürt werden konnte. Es ist in den kommenden Wochen
darauf hinzuarbeiten, ein solches parat zu haben. Dieses müsste Folgendes enthalten: (aktualisiertes) Faltblatt mit Basisinfos zur GG/BO (das, was noch
vorliegt, stammt aus dem Sommer letzten Jahres), (aktualisiertes) Statut, aktuelle „outbreak“-Nummer (evtl. Kopie der Auftaktausgabe), evtl. Presse-Spiegel
2014, Mitgliedsanträge, „outbreak“-Werbefaltblatt, jeweils aktuelle Flugblätter oder Zeitungsartikel von/zur GG/BO. Des Weiteren fehlen
Schulungsmaterialien zu gewerkschaftspolitischen und -rechtlichen Grundfragen, die insbesondere für unsere Sprecher/-innen und stellv. Sprecher_innen
konzipiert und vervielfältigt werden müssten. Z.B. sollten wenigstens die Sprecher_innen die wichtigsten Gewerkschaftszeitungen, bestimmte
Neuveröffentlichungen zu Gewerkschaftsthemen, aber auch Buchtitel, die ein Hintergrundwissen zur Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte von (Basis-
)Gewerkschaften vermitteln, beziehen. Gewerkschaften haben immer den Anspruch gehabt, auch Bildungseinrichtungen zu sein.
– Diese bereits jetzt stattfindende Arbeit als GG/BO rechtfertigt aus unserer Sicht, einen Mitgliedsbeitrag zu erheben. Die Beitragszahlung soll für Inhaftierte
weiterhin freiwillig sein. Dennoch setzen wir darauf, dass mehr und mehr Gefangene die Notwendigkeit und Sinnhaftigkeit erkennen, dabei zu helfen, die
anfallenden Kosten durch ihren (kleinen) Beitrag mit zu decken.

– Noch zwei Punkte, die klar sein müssen, zum Abschluss: erstens ist die GG/BO eine authentische Initiative aus dem Knast heraus mit Hauptsitz im Haus
der Demokratie und Menschenrechte in Berlin. Inhaftierte und ehem. Inhaftierte sollen das Bild der GG/BO im Wesentlichen prägen. Nur das, was von
Seiten der Inhaftierten an Forderungen eingebracht und an Aufforderungen an die GG/BO herangetragen wird, ist für sie maßgebend. Die GG/BO ist eine
eigenständige und selbstbestimmte Gewerkschaft, die Partei ergreift. Sie ist kein Anhängsel vom wem auch immer, weder parteipolitisch noch
konfessionell. Sie stellt den Rahmen, in dem sich inhaftierte und nicht inhaftierte Kolleg_innen zusammen bewegen können. So soll ein solidarisches Band
zwischen drinnen und draußen entstehen. So sollen Begriffe wie Solidarität, Autonomie und Emanzipation mit Leben gefüllt werden. Und zweitens muss
auch klar sein, dass wir realistisch zu bleiben haben. Unsere zentralen Forderungen und unser Fernziel werden nicht über Nacht zur Realität. Aber wir
haben uns selbst ein „Instrument“ geschaffen, damit Gefangene in Sachen Gewerkschaftsfragen eine Lobby haben und Knäste seitens der Inhaftierten
eben keine gewerkschaftsfreie Zone mehr sind: die GG/BO – immerhin!
Mit kollegialen Grüßen

Oliver Rast
-Sprecher der GG/BO –
www.gefangenen-gewerkschaft.de // info@gefangenen-gewerkschaft<br< a=““>>Gefangenen-Gewerkschaft / Bundesweite Organisation (GG/BO)
c/o Haus der Demokratie und Menschenrechte, Greifswalderstrasse 4, 10405 Berlin