Thüringen ist das Land der Neonazikonzerte. Letztes Jahr »übersah« die Polizei etwa in Themar Hunderte Hitlergrüße unter »Sieg Heil«-Gebrüll. Ans Tageslicht kam das erst durch veröffentlichte Videos. Anders geht das bei linken Veranstaltungen: Die Polizei Saalfeld torpediert das von der Marxistisch-Leninistischen Partei Deutschlands (MLPD) mitorganisierte »Rebellische Musikfestival«, das an diesem Wochenende im südthüringischen Truckenthal stattfinden soll. Darüber informierten die Organisatoren am Donnerstag.
Gegen Veranstalter und Teilnehmer bestehe ein »Anfangsverdacht der Terrorismusfinanzierung«, warf Kriminaldirektor Dirk Löther dem Mitorganisator Stefan Engel diese Woche in einem Schreiben vor, das jW vorliegt. Man werde »alle erforderlichen Maßnahmen treffen, um Straftaten zu verhindern«, kündigte Löther an. Musiker, Veranstalter und »im Einzelfall Teilnehmer« hätten mit Platzverweisen, Festnahmen und der Beschlagnahme von möglichen »Tatgegenständen, wie Instrumente, Computer, Handys und Pkw«, zu rechnen. Zudem könnten den Organisatoren die Kosten für Polizeimaßnahmen in Rechnung gestellt werden.
Auf ihrer Internetseite kündigen die Veranstalter Musikgruppen aus zahlreichen Ländern an – von »The Wakes« über den »Matrosenchor St. Petersburg« und »Microphone Mafia« mit der Holocaustüberlebenden Esther Bejarano bis hin zu »Ton Steine Scherben«. Doch es ist vor allem die türkische Band »Grup Yorum«, auf die es die Polizei abgesehen hat. Denn diese hege, so Kriminaldirektor Löther, »enge Verbindungen zur DHKP-C« (Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front). Letztere habe »das Bundesinnenministerium bereits 1998 als Ersatzorganisation der 1983 verbotenen Devrimci Sol eingestuft«.
Die DHKP-C wiederum beabsichtige, »die staatliche Ordnung in der Türkei im Sinne eines kommunistischen Absolutregimes umzuwerfen und Vereinigungen mit adäquaten politischen Zielen in anderen Staaten zu unterstützen«, formulierte der leitende Beamte in dem Schreiben die Schreckensphantasien der politisch Verantwortlichen. 2015 habe dies auch das Oberlandesgericht Stuttgart festgestellt, woraufhin ein Auftritt der Gruppe in Deutschland verboten worden sei, mahnte er weiter.
Die 1985 gegründete Band war in der Türkei immer wieder politischer Verfolgung ausgesetzt. Etliche Mitglieder saßen mehrfach im Gefängnis, wo sie auch gefoltert worden sein sollen. Die Veranstalter und Schirmherren des Festivals, darunter auch der Linke-Bundestagsabgeordnete Tobias Pflüger und der Musiker Konstantin Wecker, bezeichneten den Verweis auf die Gruppe als Vorwand. Die Band habe innerhalb und außerhalb der Türkei viele Fans. »In Istanbul spielten sie bereits vor einer Million Menschen, und in Deutschland sind sie keineswegs verboten«, hieß es.
Trotzdem habe der Thüringer Verfassungsschutz alle Texte von »Grup Yorum« verlangt, um sie zu prüfen. Inzwischen, sagte der Rechtsanwalt der Veranstalter, Peter Weispfenning, am Donnerstag gegenüber jW, »haben wir auch ein Verbot von der Stadt Schalkau erhalten, sind aber erfolgreich dagegen beim Amtsgericht Meiningen vorgegangen, weil sie gar nicht zuständig ist«. Daraufhin habe sich der Landkreis Sonneberg mit einem neuen Verbot eingemischt. Vorläufige Entwarnung gab es am Freitag nachmittag: Das Verwaltungsgericht Meiningen habe die Verbotsverfügung des Landkreises aufgehoben, teilte die MLPD mit.
Weispfenning hält das Vorgehen der Behörden teilweise für rechtswidrig, »zumal sie jetzt nach einigem Hin und Her anerkannt haben, dass es um eine politische Versammlung geht«. Die Versammlungsfreiheit sei nicht so einfach einzuschränken, »schon gar nicht, wenn sie einer Gruppe ins Blaue hinein die Zusammenarbeit mit verbotenen Organisationen unterstellen«.
Von Susan Bonath
junge Welt 19.5.2018