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Verteidigung sieht Opfer als Täter

Der Prozeß um den Feuertod von Oury Jalloh im Polizeirevier Dessau geht in eine neue Runde. Nach der Staatsanwaltschaft haben zu Wochenbeginn auch Verteidigung und Nebenklage Revision eingelegt. Die Magdeburger Strafkammer hatte den früheren Dienstgruppenleiter Andreas Schubert wegen fahrlässiger Tötung zu einer Geldstrafe von 10800 Euro verurteilt. Schubert habe den Flüchtling zu Unrecht und ohne einen Richter anzurufen eingesperrt, trotz eines Blutalkoholwertes von drei Promille nicht genügend überwacht und den Feueralarm ignoriert. Das Gericht war weiter von der unbewiesenen Theorie ausgegangen, Jalloh habe das Feuer, gefesselt an Händen und Füßen und auf einer feuerfesten Matratze liegend, selbst gezündet.

Die Staatsanwaltschaft hat nach eigenen Angaben Rechtsmittel eingelegt, um prüfen zu lassen, ob es sich bei Schuberts Verstößen gegen das Polizeigesetz möglicherweise nicht um fahrlässige Tötung, sondern um Freiheitsberaubung mit Todesfolge handelt. Zuvor hatte sie eine geringere Geldstrafe von nur 6300 Euro gefordert.

Die Anwälte der Verteidigung, Attila Teuchtler und Hans-Jörg Böger, sowie die Gewerkschaft der Polizei (GdP) halten die Bestrafung Schuberts ganz und gar für »ein Fehlurteil«, wie sie in einer gemeinsamen Mitteilung vom Dienstag angaben. Ihrer Ansicht nach könne ein einzelner Beamter nicht für mangelnde personelle und technische Ausstattung bestraft werden. Vielmehr habe der damalige Dessauer Revierleiter, Gerald Kohl, »die Verantwortung für den Gewahrsamsbereich nicht formgerecht delegiert«. Kohl leitet heute das Revier im Landkreis Anhalt-Bitterfeld.

Außerdem, so Verteidigung und Gewerkschaft, habe Sachsen-Anhalts Landesrecht eine permanente Videoüberwachung nicht erlaubt. »Halbstündige Kontrollen und Kontakt über die Gegensprechanlage waren somit ausreichend.« Und schließlich seien vom Selbstmord Oury Jallohs bereits zwei Gerichte überzeugt gewesen, betonen sie. »Wenn ein Inhaftierter sein allgemeines Persönlichkeitsrecht nutzt, um widerrechtlich selbst ein Feuer zu entfachen, ist der dadurch eingetretene Tod ein strafrechtlich nicht zu sühnender Unglücksfall.«

Die Nebenklagevertreter Gabriele Heinecke und Philipp Napp kritisieren hingegen, das Gericht sei zahlreichen Indizien nicht nachgegangen, »die erhebliche Zweifel an der Selbstmordtheorie aufwerfen«. Sie sind überzeugt: »Auch im Sinne des Angeklagten hätte man hier weiter ermitteln müssen – und können.« Das Gericht habe ein Urteil gefällt, »obwohl wir nicht einmal wissen, wer Oury Jallohs Tod zu verantworten hat«. Heinecke bezweifelt auch, daß Schubert ohne Vorsatz handelte.

Die Initiative »In Gedenken an Oury Jalloh«, die sich seit acht Jahren für die Aufklärung des »Justizskandals« einsetzt, hält den gesamten Prozeß für eine »Farce«. » Schubert wurde als Bauernopfer vorgeführt, um den rechtsstaatlichen Anschein zu wahren«, heißt es in einer Mitteilung vom Dienstag. Die Initiative hat bereits einen eigenen Brandgutachter beauftragt, den sie mit Spenden finanzieren will. »Er wird voraussichtlich Mitte Januar mit Versuchen beginnen und dabei unter anderem den Einsatz von Brandbeschleunigern testen.«

Zudem ruft die Initiative für den 7. Januar 2013 zu einer Demonstration in Dessau auf. Unter dem Motto »Brecht das Schweigen« will sie des achten Todestages von Oury Jalloh gedenken. Bei der Aktion vor einem Jahr hatten Polizisten wegen des Slogans »Oury Jalloh – das war Mord« auf Teilnehmer eingeprügelt und mehrere von ihnen teils schwer verletzt.

Von Susan Bonath