Warum Deutschland einen kurdischen Journalisten verhaften lässt

Der kurdische Journalist Serdar Karakoç ist in den Niederlanden verhaftet worden, Deutschland fordert seine Auslieferung. Für Rechtsanwalt Yener Sözen ist der Fall bezeichnend für die deutsche Außenpolitik.
Gefangener im Exil: Serdar Karakoç

Der kurdische Journalist Serdar Karakoç ist am 23. Mai 2024 auf Betreiben der deutschen Regierung in den Niederlanden festgenommen worden. Wie sein Rechtsanwalt in Deutschland, Yener Sözen, gegenüber der Tageszeitung YÖP mitteilte, wird gegen Serdar Karakoç ein Strafverfahren nach §129b des deutschen Strafgesetzbuches (StGB) geführt. Er werde beschuldigt, zwischen Juli 2017 und Mai 2018 für die Regionen Darmstadt, Saarland und Rheinland-Pfalz verantwortlich gewesen zu sein.

Bei einer Anhörung am 24. Juli soll in erster Instanz entschieden werden, ob Serdar Karakoç an Deutschland ausgeliefert wird. Gegen das Urteil kann Beschwerde eingelegt werden, vermutlich wird sich das Verfahren hinziehen.

„Instrument der deutschen Außenpolitik“

Der vermeintliche Tatzeitraum liegt inzwischen sieben Jahre zurück. Warum lässt Deutschland Serdar Karakoç erst jetzt verhaften, wenn er terroristischer Straftaten beschuldigt wird? Auf diese Frage antwortete Rechtsanwalt Yener Sözen: „Dieser Vorgang zeigt uns, dass Deutschland die Akte willkürlich aus der Schublade holt, wenn es sie politisch braucht.“

Es sei offensichtlich, dass Deutschland eine führende Rolle in der Beseitigung der Opposition aus der Türkei und Kurdistan übernommen habe. Die YÖP schreibt: „Nach der Türkei gibt es in Deutschland die meisten Strafverfolgungen, Ermittlungen und Festnahmen. Deutschland will der Europäischen Union seine Außenpolitik aufzwingen, die sich an der türkischen Perspektive orientiert. Es ist kein Zufall, dass in den letzten Jahren mehrere kurdische Politiker in Zypern, Frankreich und Schweden auf Antrag Deutschlands verhaftet wurden. Die Verhaftungen sind ein Instrument der deutschen Außenpolitik.“

Serdar Karakoç ist offenbar nur das letzte Glied in dieser Kette. Eine Einsicht in die Ermittlungsakten der Bundesanwaltschaft sei bisher nicht möglich gewesen. „Wir werden zum Vorgang nach Einsicht noch genauer Stellung nehmen“, kündigte Rechtsanwalt Sözen an.

Serdar Karakoç

Serdar Karakoç ist alevitischer Kurde und wurde 1960 in Dersim geboren. Seit den 1980er Jahren arbeitet er als Journalist in der Tradition der freien kurdischen Presse. Anfang der 1990er war er Verantwortlicher des Büros der später in der Türkei verbotenen Zeitung „Özgür Gündem“ in Izmir, später wechselte er in die Istanbuler Redaktion. Als die damalige Ministerpräsidentin Tansu Çiller am 3. Dezember 1994 die Redaktionsräume der „Özgür Gündem“-Nachfolgerin „Özgür Ülke“ bombardieren ließ, war Karakoç einer von wenigen Medienschaffenden, die bei dem staatlich angeordneten Anschlag unverletzt blieben. Er verließ die Türkei 2001, um sich der Verfolgung zu entziehen, und lebt seither als anerkannter Flüchtling in den Niederlanden.

Zunehmende Auslieferungsersuchen aus Deutschland

Der Rechtshilfefonds AZADÎ e.V. mit Sitz in Köln beobachtet seit anderthalb Jahren, dass zunehmend kurdische Aktivist:innen im europäischen Ausland auf Veranlassung der bundesdeutschen Behörden festgenommen und anschließend an Deutschland ausgeliefert werden, um sie hier als vermeintliche PKK-Mitglieder nach § 129b StGB anzuklagen. Sabri Çimen wurde in Frankreich festgenommen und ausgeliefert, Mehmet Çakas aus Italien und Kenan Ayaz aus Zypern. Auch Belgien hat eine Aktivistin ausgeliefert, Ferit Çelik wurde im Februar in Schweden festgenommen.

In Deutschland befinden sich zurzeit zwölf Kurden nach § 129b in Untersuchungs- oder Strafhaft. Zuletzt wurde Haci A. am 22. Mai 2024 auf Betreiben der Generalstaatsanwaltschaft München im bayerischen Fürstenfeldbruck festgenommen und am selben Tag verhaftet. Der Fünfzigjährige ist in der JVA Kempten inhaftiert.

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