WEG MIT DEM PARAGRAPHEN 129, 129A und 129B StGB!

Am 16.Mai wurde die türkeistämmige Antifaschistin Özgül Emre am Heidelberger Hauptbahnhof verhaftet. Am Abend darauf wurden die beiden Antifaschisten Serkan Küpeli und Ihsan Cibelik ebenfalls in ihren Wohnungen in Hamburg und Bochum verhaftet. Ihsan Cibelik ist bekannt als eines der Gründungsmitglieder der revolutionären, antifaschistischen Musikband Grup Yorum, welche zu den populärsten politischen Musikgruppen der Welt gehört und regelmäßig mit Repressionen in der Türkei sowie in Deutschland konfrontiert wird.

Die drei Antifaschisten wurden alle auf Grunrdlage des §129b StGB verhaftet und befinden sich in verschiedenen Gefängnissen in Hamburg, Rheinland Pfalz und Nordrhein-Westfalen. Ihnen wird auf der Grundlage dieses Paragraphen zur Last gelegt, führende Mitglieder einer ausländischen terroristischen Organisation, namentlich der DHKP-C zu sein. Schon seit den 80’er Jahren werden Antifaschisten und Sozialisten, die sich für eine demokratische Gesellschaft und gegen die faschistische Herrschaft in der Türkei einsetzen, auf Grundlage dieses Paragraphen inhaftiert und zu langjährigen Haftstrafen verurteilt.

Doch worum handelt es sich eigentlich bei diesen sogenannten Anti-Terror-Paragraphen 129, 129a und 129b?

Der 129.Paragraph des deutschen Strafgesetzbuches hat eine lange, tragische Geschichte. Die Geschichte dieses Paragraphen und seiner Vorgänger reicht ganze 200 Jahre zurück in die Vergangenheit. So gab es die ersten Repressionen gegen Oppositionelle bereits im Jahre 1822, als fortschrittliche Propaganda und Aktivitäten für die im Aufmarsch befindliche bürgerliche Revolution, auch „deutsche Revolution“ genannt, unter Strafe gestellt wurden. Benutzt wurde hierfür damals das „Staatsschutzgesetz.“ Die sogenannte „Demagogenjagd gegen extremistische Bestrebungen“ wurde in allen deutschen Kleinstaaten gegen die liberalen, bürgerlichen Bewegungen durchgeführt. 50 Jahre später sollte das inzwischen siegreiche Bürgertum vom Gejagten zum Jäger werden und die gleichen „Antiterrorgesetze“ gegen die erstarkenden Sozialisten anwenden.

Unter dem Deckmantel des Schutzes für Staat, Republik und Verfassung wurden Sozialisten Zielscheibe der Regierenden. 50 Jahre nach der „Demagogenjagd“, damals waren es noch sie selbst, werden diesmal Sozialisten wie August Bebel und Wilhelm Liebknecht für ihre politischen Aktivitäten verfolgt. Im Jahre 1872 werden die beiden Gründer der SPD dafür bestraft, die Pariser Kommune im Parlament unterstützt zu haben.

Nur 8 Jahre später erlässt Bismarck das Sozialistengesetz, welches sich, so Bismarck: „gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie“ richten sollte. Demnach wurden alle sozialdemokratischen, sozialistischen und kommunistischen Vereine sowie ihre Versammlungen und Druckschriften verboten. Auch verboten wurden Bildungs-, Gesangs- und Turnvereine, wenn an ihrer Spitze Sozialdemokraten standen und Veranstaltungen, Versammlungen, ja sogar Festumzüge und Kinderfeste, wenn diese von Sozialdemokraten organisiert wurden. Kurz: Diese Gesetze wurden von der bürgerlichen Herrschaft genutzt, um die Arbeiterbewegung zu verhindern, sozialistische Betätigungen und Propaganda zu verbieten und die Arbeiterklasse von der Sozialdemokratie und den Sozialisten zu entfremden.

Jahre später sollte Nazideutschland diese Gesetze nutzen, um seine faschistische Regierung zu stärken und Kommunisten zu jagen. Der Kampf gegen die „gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie“ unter Bismarck wurden zum Kampf gegen die „kommunistische Zersetzung Deutschlands“ unter Hitler. Geändert hat sich nicht viel. So rief Hiter früh nach seiner Machtergreifung zu einer „Ausrottung des Marxismus mit Stumpf und Stiel“ auf. Viele dieser Marxisten landeten, das weiß man heute, im Zuge der Kommunistenverfolgung in den Konzentrationslagern, wurden zu langjährigen Haftstrafen in Zuchthäusern verurteilt oder durch Erschießen hingerichtet. Insgesamt landeten mehr als 180.000 Mitglieder im KZ, mehr als 25.000 wurden ermordet.

Nazideutschland wurde in Folge der militärischen Niederlagen in der Sowjetunion durch den Einmarsch der roten Armee in Berlin besiegt und durch die Siegermächte besetzt. Es folgte eine geschichtlich beispiellose Aufarbeitung der Verbrechen, die in den Nürnberger Prozessen mit der Bestrafung hochrangiger Nazis ihren Höhepunkt fand. Doch die gemeinsam beschlossene Entnazifizierung wich relativ schnell dem eigentlichen Hauptaugenmerk der kapitalistischen Mächte um die USA : Der Verfolgung von Kommunisten.

Die neu gegründete Bundesrepublik stützte sich in diesem Kampf gegen den Kommunismus mit auch auf strafrechtliche Methoden: Sie führte alle Straftatbestände aus der Zeit des Nationalsozialismus wieder ein, die von den Besatzungsmächten nach dem 2.Weltkrieg außer Kraft gesetzt worden waren. So hat das 1.Strafrechtsänderungsgesetz vom 30.August 1951, welches das Strafrecht von Nazigesetzen befreien sollte, die Strafvorschriften zu Hochverrat, Staaatsgefährdung und Landesverrat aus dem zweiten Teil des Strafgesetzbuches fixiert.

(Dominik Rigoll: „Staatsschutz in Westdeutschland. Von der Entnazifizierung zur Extremistenabwehr,“ in: Norbert Frei: „Beiträge zur Geschichte des 20.Jahrhunderts 13,“ Göttingen 2013, S.106)

Verurteilte nach diesem Gesetz waren zu hohen Haftstrafen ausgesetzt. Politisch richtete sich diese Fortführung von Nazigesetzen gegen Kommunisten sowie deren Unterstützer, Sympathisanten und Kontaktpersonen.

(Sarah Langwald: Kommunistenverfolgung und juristische Gegenwehr: die „Verteidigerkomiteebewegung“ und der „Hauptausschuss für Volksbefragung“ in: Arbeit-Bewegung-Geschichte, Heft I/2018, S.92-109)

So wurden noch im selben Jahr 1500 Mitglieder der Jugendorganisation „Freie Deutsche Jugend“ verhaftet, gegen insgesamt 125.000 Mitglieder, Sympathisanten und Familienmitglieder der KPD wurden Strafverfahren eingeleitet.

Durch das 1.Strafrechtsänderungsgesetz wurde, als Zusatz zum Vorgängergesetz im Nazireich, auch eine Form von gewaltloser politischer Betätigung definiert, ohne dass eine faktische Gefährdung des Staates objektiv festgestellt werden musste. Die Handlung eines Täters wurde zur Staatsgefährdung, sobald eine als verfassungsfeindlich eingestufte Organisation sie beeinflusste.

(Reinhard Höntsch: „Kratologische Überlegungen zur Wechselwirkung von ordentlicher Gewalt und systemoppositioneller Gewalt.“ Osnabrück 1999, S.109)

Als besonderes Beispiel für die allgemeine Kommunistenverfolgung im Geiste Nazideutschlands gilt u.a. die Verfolgung der Mitglieder der „Vereinigung der Verfolgten des Naziregiimes (VVN), für die Ende der 40-er Jahre die SPD eine Unvereinbarkeitserklärung abgab. Anfang der 1950’er Jahre mussten einige Landesleiter bundesdeutscher Entschädigungsbehörden diese verlassen, darunter eine Gruppe jüdischer Beamter, die selbst NS-Verfolgte und Mitglieder der VVN waren: Phillip Auerbach, Curt Epstein, Marcel Frenkel, Alphonse Kahn und Ludwig Loeffler. Phillip Auerbach wurde im Rahmen der neuen Gesetze verurteilt, beging jedoch aufgrund der immensen Anfeindungen Selbstmord. Der CDU-nahe Konkurrenzverband BVN forderte, die öffentlichen Hilfsmittel für den Leiter Marcel Frenkel zu verhindern, da dieser den Etat „zu 70% für Glaubensjuden, Kommunisten und Sozialisten ausgeben“ würde. Später wurude Frenkel als VVN-Vorsitzender verhaftet und des Hochverrats angeklagt, nachdem die VVN die Volksbefragung gegen die Remilitarisierung unterstützte. Auch Phillip Auerbach erlitt das selbe Schicksal, er wurde am 16.April 1952 erstmals auf die Anklagebank gestellt. Ihm gegenüber saßen Richter Josef Mulzer (Oberkriegsgerichtsrat im Dritten Reich), ein ehemaliges SA-Mitglied als Beisitzer, sowie ein weiterer Beisitzer, die Staatsanwälte und der psychiatrische Sachverständige als ehemalige NSDAP Mitglieder. Auerbach nahm sich das Leben, weil er „das entehrende Urteil nicht weiter ertragen“ konnte, wie er in seinem Abschiedsbrief schrieb.

(Peter Hüttenberger: Nordrhein-Westfalen und die Entstehung seiner parlamentarischehn Demokratie. Siegburg 197, S.487)

(Spiegel Geschichte: Antisemitismus-Ofer Philipp Auerbach. Der unerwünschte Nazi-Jäger, von Christoph Sydow, 30.01.2013, spiegel.de)

Am 26. Juni 1951 wurde der VVN letzlich von der Bundesregierung verboten, nachdem Adenauer zuvor die Unvereinbarkeit einer Mitgliedschaft in der VVN mit einer Anstellung im öffentlichen Dienst erklärt hat.

Allein diese Beispiele zeigen eindrucksvoll, dass die Verfolgung von Demokraten, Sozialisten und Kommunisten auch in der BRD nahtlos, aber unter demokratischem Deckmantel, fortgesetzt wurden.

Die Verfolgung im Nazireich wurde durch das 1.Strafrechtsänderungsgesetz in der BRD präzisiert, sodass ein Gesinnungsparagraph geschaffen wurde, worin die objektive Ermittlung von strafbaren Tatbeständen zunehmend in den Hintergrund rückte. Zwischen 1954 und 1962 waren mindestens 85 Personen aus politischen Gründen inhaftiert. Seitdem befinden sich in Deutschland immer wieder politische Gefangene in den Gefängnissen. Heute sind insgesamt 20 politisch inhaftierte im Gefängnis.

KURZUM: Der Pararaph 129 dient dazu, jede Form von Kritik, Enthüllung von Missständen, den Kampf gegen die Angriffe auf Rechte und Freiheiten zu kriminalisieren. Organisationen, die in diesem Rahmen tätig sind, können ganz einfach zu „Verbrecherorganisationen“ erklärt werden. Jedoch wurde auch dieser Paragraph durch zwei Zusätze erweitert, die die Angriffe der BRD gegen Sozialisten und Kommunisten verschärfen sollte.

Anfang der 70er Jahre entstanden in Deutschland die Anti-Atom Bewegung, verschiedene Bewegungen gegen die Zerstörung der Umwelt, Hausbesetzer, Feministen und sozialistische Organisationen, die der Bundesregierung einen Anlass dazu gaben, die Anti-Terror-Gesetze erneut zu präzisieren. So wurde im Jahre 1976, während der Stammheimer RAF-Prozesse, der Zusatz 129a StGB eingeführt. Mit diesem Zusatz wurden der Bundesregierung in ihrem Kampf gegen Regierungsgegner weitreichende Freiheiten gewährt. Laut BGH wird eine Strafbarkeit „schon weit im Vorfeld der Vorbereitung konkreter strafbarer Handlungen“ begründet. (1) Nicht nur wurde die Mindeststrafe für Verurteilte erhöht, den Strafverfolgungsbehörden kommt auch eine enorme Erleichterung der Beweisführung – zu Lasten des Beschuldigten zugute: Diesen muss nach 129a nämlich nicht mehr die Begehung einer konkreten Straftat nachgewiesen werden. Vielmehr kann eine Person, die einmal Mitglied einer sogenannten „kriminellen“ oder „terroristischen“ Vereinigung angesehen wird, für sämtliche dieser Organisation zugeschriebenen Straftaten zur Verantwortung gezogen werden. Vor allem in den Tatbeständen des Werbens bzw. der Unterstützung werden Handlungen verfolgt, die – so der BGH in seinem Urteil – „für die Organisation irgendwie vorteilhaft sind.“ In der Praxis werden damit vor allem missliebige Meinungsäußerungen kriminalisiert: So wurden Journalisten der „Unterstüzung terroristischer Vereinigungen“ beschuldigt, weil sie Bekennerschreiben militanter Gruppen abdruckten. (2) Sprayer, die die Wände der Münchner U-Bahn mit dem Slogan „Krieg den Palästen“ und einem fünfzackigen Stern bemalten, wurden in den 80er Jahren wegen Werbens für eine terroristische Organisation zu zwölf Monaten Haft ohne Bewährung verurteilt. (3)

Die Bundesregierung gab an, dass weniger als 3% der Ermittlungsverfahren, die in den 90er Jahren auf Grund des §129a eingeleitet wurden, mit einem gerichtlichen Urteil endeten.(4) Die eingestellten restlichen 97% waren für den Staatsschutz keineswegs nutzlos, denn der “ 129a eröffnete eine Fülle von Möglichkeiten zur Überwachung großer Personengruppen. So wurden Mitte der 90er Jahre im 129a-Verfahren gegen eine Göttinger Anti-Gruppe innerhalb weniger Monate insgesamt 14.000 Telefongespräche abgehört. (5)

BGHSt 28, S. 147 (148)

vgl. Gössner, R.: Das Anti-Terror-System, Hamburg 1991, S- 146ff.

Frankfurter Rundschau v. 6.6.1981

BT-Drs. 14/2840. Bei anderen – unpolitischen – Delikten liegt die Quote weit über 40%

Gössner, R.: Einmal verdächtig, immer verdächtig, in: Bügerrechte & Polizei/CILIP 64 (3/99), S. 78-81

Auch die Überwachung des Briefverkehrs, die technische Observation per Kamera oder Satteliten, die Einrichtung von Kontrollpunkten im Straßenverkehr sowie Isolationshaft in Gefängnissen gehören ebenfalls zu den erweiterten Möglichkeiten durch die Einführung von § 129a!

Doch auch wenn der § 129a zu weitreichenden Möglichkeiten im Kampf der Behörden gegen jegliche Form des sozialen Kampfes ermöglichte, so begrenzte er sich lediglich auf geführte Kämpfe im Inland. Soziale, Antifaschistische Kämpfe im Ausland, wie der der Basken oder der Iren, wurde zwar in Deutschland verfolgt, die Verfolgung stellte für die Behörden in Deutschland jedoch vor einige Schwierigkeiten. Diesen Schwierigkeiten sollte auf Nachdruck der EU, angetrieben durch die BRD, entgegengekommen werden: Im Dezember 1998 beschließen die Innen- und Justizminister der EU eine gemeinsame Maßnahme, die die Mitgliedstaaten verpflichtet, in ihr jeweiliges Strafrecht den Tatbestand der Beteiligung an einer „kriminellen Vereinigung“ aufzunehmen. (6)

Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften, L 351 v. 29.12.1998, „terroristische Vereinigungen“ werden von dieser gemeinsamen Maßnahme mitumfasst.

Die rechtstaatlich bedenkliche Logik des deutschen Staatsschutzstrafrechts wurde so auf Druck Deutschlands über EU-Wege in die nationalen Rechtsprechungen der Mitglieder aufgenommen, obwohl sie vielen Mitgliedstaaten bis dahin völlig fremd gewesen ist. Die EU verpflichtet ihre Mitgliedstaaten, Personen selbst dann wegen ihrer Tätigkeiten in einer kriminellen Vereinigung zu verfolgen, wenn sie an der eigentlichen Tatausführung gar nicht beteiligt gewesen sind. Mehr noch: Die eigentliche strafbare Handlung muss noch nicht einmal begangen worden sein. Eine Person soll zudem auch für „sonstige Tätigkeiten der Vereinigung“ belangt werden können, sofern sie sich „bewusst“ gewesen sei, dass ihre – nicht näher spezifizierte – „Beteiligung“ zur Durchführung der kriminellen Aktivitäten der Vereinigung „beiträgt“. Diese sonstigen Tätigkeiten befinden sich nun endgültig im eigentlich straflosen Vorfeld krimineller Handlungen. Die Tür für die Kriminalisierung aller möglichen legalen Aktivitäten wurde geöffnet. Mit dieser gemeinsamen Maßnahme muss eine mögliche strafbare Handlung nicht mehr nur im nationalen Geltungsbereich stattgefunden haben- vielmehr ist es egal, in welchem EU-Land diese Tat stattgefunden hat. So können z.B. rumänische Schmugglerbanden ohne jeglichen Kontakt nach Deutschland hier vor Gericht gestellt und verurteilt werden.

September 2001. Zwei Flugzeuge fliegen in die Zwillingstürme des World Trade Center. Die USA rufen in martialischen Ansprachen die ganze Welt dazu auf, mit oder gegen die USA zu sein. Deutschland gehört zu den ersten Ländern, die diesem Aufruf folgen: Im April 2002 wird dem Paragraphen 129 und seinem Zusatz 129a ein weiterer Zusatzparagraph hinzugefügt: Der § 129b wird verabschiedet. Gleichzeitig wurde die internationale Terroristenliste der USA von allen EU-Staaten akzeptiert. Nur vier Jahre nach der gemeinsamen Maßnahme der EU-Länder wurde der Geltungsbereich des §129 vom EU-Bereich auf die ganze Welt ausgeweitet. Denn im Gegensatz zum § 129a muss beim § 129b kein Bezug zur EU hergestellt werden. Alle Handlungen weltweit können nach diesem Paragraphen kriminalisiert werden.

Die erleichterte Auslieferung innerhalb von EU Staaten, der Informationsaustausch internationaler Polizeibehörden ohne richterliche Erlaubnis sowie die Verfolgung von Personen über nationale Grenzen hinweg stellten den Anfang dar: Nun entscheiden deutsche Behörden, welche Kämpfe legitime Freiheitskämpfe sind und welche politisch verfolgt werden.

Wer von deutschem Boden aus Aktionen plant, die nach deutschem Recht „terroristisch“ sind oder den Frieden stören, können auch ohne 129b, nach geltendem Recht verfolgt werden. Bei dem neuen § 129b geht es jedoch um weitaus mehr. Der § 129b erlaubt die Verfolgung von Menschen, die sich in Deutschland keiner Straftat schuldig gemacht haben, die aber eine von anderen Staaten als „kriminell“ oder „terroristisch“ definierte Vereinigung in irgendeinem anderen Land der Welt unterstützen. Es entsteht die Möglichkeit für andere Staaten, mit Hilfe deutscher Staatsorgane künftig in Deutschland lebende Oppositionelle zu verfolgen und einzuschüchtern. So überreichen u.a. Türkische Politiker regelmäßig Listen und Mappen mit den Namen in Deutschland lebender Oppositioneller in Deutschland ein, mit der Bitte, dass diese verfolgt und kriminalisiert werden. Erst kürzlich besuchte der Generalbundesanwalt Peter Frank, nur Tage nach der Verhaftung von Özgül Emre, Ihsan Cibelik und Serkan Küpeli, die er selbst veranlasste, die Türkei und traf sich mit dem Präsidenten Erdogan. Dieser verlautbarte im Anschluss, dass er Frank eine Liste mit 129 Namen von Oppositionellen überreicht hat.

Es sind solche Freunde von Faschisten wie Peter Frank, die dank § 129b definieren, welche Vereinigung in Pakistan, Iran, Irak, Afghanistan, Burma, Sri Lanka, Algerien, der Türkei oder sonstwo „terroristisch“ ist. Deutsche Polizisten und Staatsanwälte entscheiden, ob irgendwo auf der Welt eine Gruppe, Verein oder Partei die Grenzen berechtigter Gegenwehr gegen staatliche oder nichtstaatliche Repression überschritten hat und „terroristisch“ ist. Selbst einfache Propaganda Aktionen werden auf diese Weise zur Legitimation für die Verfolgung von Menschen in Deutschland auf Grundlage des § 129b.

In der Praxis lässt sich das so veranschaulichen: Die Mitglieder der Anatolischen Föderation wurden im Zuge eines Verfahrens gegen sie im Jahre 2008 am OLG Düsseldorf zu langjährigen Haftstrafen verurteilt. Es gab keine einzige konkrete Straftat, die man ihnen vorwarf. Die fragwürdige Konstruktion einer vermeintlichen Mitgliedschaft in der DHKP-C reichte aus, um jede legale Aktivität, die sie in Deutschland jemals ausgeübt haben, wie zB die Organisation von Seminaren und Konzerten, zu kriminalisieren. Da die Organisatoren dieser Seminare und Konzerte einmal als potentielle Mitglieder angesehen wurden, entstand die Möglichkeit, sie wie Schwerverbrecher zu behandeln. Sie alle wurden diesbezüglich in Isolationshaft gehalten. Neben Isolation werden auch Verfahrensvorgaben abgeändert: So kann die Dauer der Verfahrenseröffnung, die bei § 129a auf ein Jahr ausgelegt ist, bei § 129b auf zwei Jahre ausgedehnt werden. Aufgrund sicherheitstechnischer Bedenken kann man davon absehen, den Angeklagten und ihren Verteidigern die Anklageschriften auszuhändigen, was wiederum zur Verhinderung des Rechts auf eine angemessene Verteidigung führt.

Es lässt sich zusammenfassen, dass der § 129 ein Gesetz zur Eindämmung sozialer, nationaler und demokratischer Kämpfe im In- und Ausland ist. Er hat eine 200-jährige Geschichte, die 1822 im Kampf gegen die bürgerliche Revolution seinen Anfang nimmt und bis heute in verschärftem Maße anhält. Der § 129 ist ein Gesetz, welches in diesem Umfang von Nazi-Deutschland benutzt wurde, um Kommunisten und Oppositionelle zu bekämpfen. 1951 wurde dieses Gesetz in Frage gestellt, jedoch mit dem Vorwand der Bekämpfung des Nationalsozialismus in erweiterter Form beibehalten. Und obwohl bis heute kein Nazi jemals durch dieses Gesetz verurteilt wurde, wurden Opfer des Nationalsozialismus wie Frenkel und Auerbach im Rahmen dieses Gesetzes angeklagt und verurteilt. Die Erweiterung des § 129 durch die §§ 129a und 129b dienten dazu, dieses Gesetz zuerst auf die EU-Grenzen, dann wiederum auf die ganze Welt auszudehnen. Der § 129, allen voran der Zusatzparagraph 129b ist ein Instrument, um alle demokratischen und freiheitlichen Bewegungen weltweit zu kriminalisieren. Der § 129b ist ein Angriff auf alle demokratischen Rechte und Freiheiten, da diese jedem Angeklagten als Terroraktivitäten ausgelegt werden können.

-Özgül Emre und Ihsan Cibelik wird vorgeworfen, an Sommercamps teilgenommen zu haben. Diese werden jährlich durchgeführt und stellen für Familien, Jugendliche und Kinder eine Alternative zum herkömmlichen Urlaub dar. Es wird gesungen, getanzt, gespielt. Die Teilnahme an solch einem Camp wird als Terrorismusaktivität ausgelegt.

-Özgül Emre wird vorgeworfen, ein Antirassistisches Konzert in der König-Pilsner-Arena in Oberhausen organisiert zu haben, an dem 15.000 Menschen teilnahmen. Das Konzert, das rechtlich einwandfrei geplant und ausgeführt wurde, wird ihr nun als Terrorismus ausgelegt.

-Im Frühjahr 2022 verstarb Birsen Kars in Deutschland und wurde in einer Beerdigungszeremonie in Stuttgart unter Teilnahme von Hunderten Gästen verabschiedet. Özgül Emre wird zur Last gelegt, den Sarg von Birsen Kars getragen zu haben. Birsen Kars wurde bei einem großangelegten Angriff auf mehrere Gefängnisse in der Türkei durch chemische Bomben in Brand gesetzt und überlebte mit schweren Verletzungen, die später zu ihrer Hautkrebserkrankung führten, denen sie letzendlich erlag. 6 ihrer Mitinsassinnen wurden bei lebendigem Leibe verbrannt. Die eingesetzten chemischen Bomben stammen aus deutscher Produktion und waren in Deutschland nicht zulässig. Heute ist bekannt, dass diese Bomben durch die türkischen Sicherheitskräfte für Deutschland getestet wurden. Und obwohl bis heute keiner der Drahtzieher in der Türkei oder in der deutschen Regierung hierfür verurteilt wurde, wird Özgül Emre der Prozess gemacht, weil sie den Sarg eines der Opfer dieses Massakers trug.

-Özgül Emre wird weiterhin vorgeworfen, bei der Verlobungsfeier zweier Mitglieder der Musikband Grup Yorum die Ringe angesteckt zu haben. Das Anstecken von Verlobungsringen ist eine terroristische Aktivität, wenn angenommen wird, dass es sich um ein Mitglied einer „terroristischen Vereinigung“ handelt.

-Ihsan Cibelik wird der Vorwurf gemacht, die Schlüsselgewalt für ein Vereinsgebäude in Stuttgart Bad-Cannstatt zu besitzen. Genannter Verein ist im Stuttgarter Vereinsregister eingetragen und besteht bis heute. Er wurde durch die Behörde in Bad-Cannstatt mit Verkehrsschildern ausgewiesen, sodass Besucher es leichter haben, diesen Verein zu finden. Ihsan Cibelik wird jedoch aufgrund dessen, dass er die Tür des Vereinsgebäudes mehrmals auf- und zugeschlossen hat, zum Gebietsleiter einer der DHKP-C für Baden-Württemberg, Hessen und Bayern erklärt.

-Ihsan Cibelik ist Gründungsmitglied der 1985 gegründeten Musikband Grup Yorum. Diese Band ist weder in der Türkei, noch in Deutschland verboten, was u.a. aus Gerichtsbeschlüssen des OLG Kassel aus dem Jahre 2019 hervorgeht. Ihsan Cibelik sitzt im Gefängnis, da er bei mehreren Konzerten dieser Band auf der Bühne war.

-Serkan Küpeli soll seit 2018 keine Tätigkeiten mehr für die DHKP-C ausgeübt haben. Da er jedoch an der 1.Mai Kundgebung 2022 in Hamburg teilgenommen hat, wird ihm zur Last gelegt, weiterhin Mitglied dieser Organisation zu sein. Er wurde, 15 Tage nach der Geburt seines ersten Kindes vor den Augen seiner Ehefrau verhaftet und wird für Aktivitäten vor Gericht gestellt, die mindestens 4 Jahre in der Vergangenheit liegen!

Dies sind die großen Verbrechen, die diese 3 inhaftierten Antifaschisten aus der Türkei in Deutschland begangen haben sollen. An diesem konkreten Beispiel lässt sich sehr leicht ersehen, dass der § 129b jede demokratische, antifaschistische Tätigkeit ohne weiteres kriminalisiert und zur Anklage bringt. Der § 129b ist jedoch nicht nur ein Angriff auf unsere Rechte und Freiheiten, sondern auch ein Recht auf unser Widerstandsrecht.

In Artikel 20 des deutschen Grundgesetzes steht geschrieben, dass jeder das Recht dazu hat, Widerstand zu leisten, sollten die Prinzipien des Rechtstaats durch eine staatliche Institution angegriffen werden. Zu diesen Prinzipien zählt auch die Gewaltenteilung, die durch den § 129b außer Kraft gesetzt wird. Denn eine Verfolgung nach § 129b darf nur auf Anweisung des Bundesjustizministeriums erfolgen. Demgegenüber steht das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 17. August 1956, in welchem es heißt, ein Wiederstandsrecht gegen Einzelmaßnahmen sei nicht zulässig, da man sonst „den grundsätzlchen Unterschied zwischen einer intakten Ordnung, in der im Einzelfalle auch Verfassungswidrigkeiten vorkommen mögen, und einer Ordnung, in der die Staatsorgane aus Nichtachtung von Gesetz und Recht die Verfassung, das Volk und den Staat im ganzen verderben,“ übersähe.

Strafverfahren nach § 129b werden geführt, um die rechtstaatliche Ordnung eines anderen Staates zu schützen. Im Verfahren gegen Özgül Emre, Ihsan Cibelik und Serkan Küpeli soll also die rechtstaatliche Ordnung der Türkei geschützt werden. Dass solch eine Ordnung nicht herrscht, sondern vielmehr eine Ordnung existiert, „in der die Staatsorgane“, wie vom Bundesverfassungsgericht beschrieben, „aus Nichtachtung von Gesetz und Recht die Verfassung, das Volk und den Staat im ganzen verderben, so dass auch die etwa in solcher Ordnung noch bestehenden Rechtsbehelfe nichts mehr nutzen“. Özgül Emre, Ihsan Cibelik und Serkan Küpeli kämpfen seit jahren aktiv gegen den herrschenden Faschismus in der Türkei. Sie setzen sich ein gegen Hinrichtungen auf offener Straße, Massengräber, Folter, extreme Ausbeutung, Repressionen, Unterdrückung von Minderheiten, Massaker, Korruption und Ungerechtigkeiten. Durch den § 129b wird ihnen dieser Kampf als Terrorismus ausgelegt. Der § 129b ist somit auch ein massiver Angriff auf das verfassungsmäßig garantierte Recht auf Widerstand!

Die Angriffe der BRD auf Rechte und Freiheiten sowie auf das Widerstandsrecht werden durch Terrordemagogien legitimiert. Die Begriffe „Terror“ und „Terrorist“ werden dabei so eingesetzt, dass bei der Bevölkerung der Anschein herrscht, bei den Verurteilten handle es sich um gemeingefährliche Verbrecher. Was genau Terrorismus ist, wird bewusst offen gelassen. Weltweit gibt es 143 Terrorismusdefinitionen, die offiziell anerkannt sind. Dass es jedoch nicht um Terrorismus und den Kampf gegen solchen geht, liegt auf der Hand.

Denn die wahren Terroristen sind nicht die Mitglieder der ETA, der IRA oder der DHKP-C.

-Die wahren Terroristen sind die, die 2 Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki abfeuerten

-Die wahren Terroristen sind die, die seit dem 2.Weltkrieg in 43 Ländern insgesamt 20 Millionen Menschen ermordet haben. Allein in Indonesien wurden mehr als 1 Million Mitglieder der Kommunistischen Partei innerhalb eines Tages auf Anweisung der CIA hingerichtet. Die Exekution wurde durch CIA-geführte Listen kontrolliert und die Toten wurden auf diesen Listen abgehakt.

-Die wahren Terroristen sind die, die in Vietnam ganze Dörfer ausgelöscht haben, die mit ferngesteuerten Waffen Zivilisten in Afghanistan und Pakistan bombardieren

-Die wahren Terroristen sind die, die Folterzentren wie in Guantanamo oder Abu-Ghraib betreiben

-Die wahren Terroristen sind die, die andere Länder überfallen, gewählte Regierungen wegputschen lassen und diese Verbrechen mit Lügen legitimieren.

-Die wahren Terroristen sind die, die überall, wo sie einfallen, Vergewaltigung, Verwüstung und Zerstörung hinterlassen. Allein im Jugoslawienkrieg haben Nato-Soldaten mehr als 25.000 Bosnische Frauen vergewaltigt und geschwängert. Im letzten Irak-Krieg wurden nur wenige Tage nach der Invasion durch die USA mehr als 4000 Frauen im Alter zwischen 6 und 64 Jahren vergewaltigt.

-Die wahren Terroristen sind die, die Gladio Armeen gründeten und unterstützten, um Demokraten und Sozialisten durch Bombenanschläge, Folter und Entführungen aus dem Weg zu räumen

und die wahren Terroristen sind die, die Faschisten, Mafiabanden und andere Verbrecher auf der Welt in ihrem paramilitärischen Kampf gegen Demokraten und Sozialisten trainieren, finanzieren, ausrüsten und beschützen. Allein in der Türkei wurden durch diese NATO-geführten Konterguerilla Einheiten Hunderte Massengräber geschaffen, Hunderte Entführte Jugendliche wurden bis heute nicht gefunden.

Deshalb bleibt festzuhalten: Die, die überall auf der Welt Terror verbreiten, können nicht bestimmen, wer Terrorist ist und wer nicht. Der § 129b als Angriff auf Rechte und Freiheiten sowie auf das Widerstandsrecht ist nichts weiter als legales Unrecht. Er muss daher ausnahmslos aus dem Gesetz gestrichen werden. Dies ist im Interesse aller Menschen in Deutschland, allen voran aller Demokraten und Sozialisten. Deshalb rufen wir alle Menschen in Deutschland dazu auf, gegen die §§ 129, 129a und 129b zu kämpfen. Lasst uns zusammenschließen, um diesen Antidemokratischen, faschistischen Paragraphen ein für alle Mal in die Geschichte zu verbannen. Auch wenn heute vor allem Sozialisten aus der Türkei und Kurdistan zur Zielscheibe dieser Angriffe werden, ist der § 129 historisch gesehen ein Angriff auf alle Demokraten in Deutschland. Der demokratische Kampf in Deutschland wurde durch diesen Paragraphen so sehr angegriffen und kriminalisiert, dass Antifaschismus mittlerweile sowohl in der Bevölkerung, als auch auf der Straße kaum mehr stattfindet. Die Menschen in Deutschland wissen aus ihrer Geschichte, was Faschismus bedeutet. Sie wissen es von den Massakern, den Hinrichtungen, den Konzentrationslagern. Die Menschen in Deutschland, allen voran die Demokraten und Sozialisten werden es daher auch nicht dulden, dass ein Gesetz der Nazis immer noch verwendet wird, um den Faschismus von deutschem Boden weltweit zu schützen.

Wir rufen daher alle demokratischen Einrichtungen, Organisationen, Vereinigungen, Parteien und Einzelpersonen dazu auf, sich gegen den Naziparagraphen 129, sowie 129a und 129b zu richten! Wer sich nicht gegen den Faschismus einsetzt, wird leicht zum Mittäter. Deshalb: Seid keine Mittäter, sondern die Barrikade gegen den Faschismus!