“Wenn wir für eine andere Welt kämpfen, müssen wir Repression in Kauf nehmen”

Die staatliche Repression gegen revolutionäre und fortschrittliche Bewegungen in Deutschland wird stetig härter. In Hamburg nahmen Polizist:innen letztes Jahr nach der revolutionären 1. Mai-Demonstration gezielt einzelne Aktivist:innen fest. Perspektive Online sprach mit Karl* von „Waterkant Antifa“, gegen den die Hamburger Staatsanwaltschaft infolgedessen ein Strafverfahren eröffnete.
Du warst im vergangenen Jahr im Rahmen der revolutionären 1. Mai-Demonstration in Hamburg als Ordner im Einsatz. Was ist dir dort passiert?
Karl: Die revolutionäre 1. Mai-Demonstration letztes Jahr war mit mehreren tausend Teilnehmer:innen die größte 1. Mai-Demonstration in Hamburg seit mehreren Jahren. Uns Organisator:innen war eine offene Gestaltung wichtig mit der Voraussetzung, unsere kämpferischen Inhalte bewusst auf die Straße zu tragen. Zu Beginn der Demo am Hamburger Hauptbahnhof hielt sich die Polizei noch sehr zurück.

Als Ordner musste ich den Demozug bis zum Schluss begleiten und hatte zum Ende noch organisatorische Pflichten, wie das Einpacken des Materials und den Abbau, zu erfüllen. Nachdem sich der Großteil der Teilnehmenden bereits von der Abschlusskundgebung entfernt hatte und ich mit Genoss:innen zur S-Bahn wollte, stürmte gezielt eine Polizeihundertschaft auf unsere Gruppe zu und nahm mich fest, indem sie mich durch den Bahnhof gezogen haben. Im Moment meiner Festnahme stand direkt neben mir eine hochschwangere Genossin, auf deren Sicherheit die Polizei in dieser Situation keinerlei Rücksicht nahm.

Mit welcher Begründung nahm dich die Polizei fest?
Karl: Die Polizei klärte mich darüber auf, dass ich angeblich während der Demonstration eine tätliche Auseinandersetzung mit provozierenden Passant*innen gehabt haben soll, die mich dann angezeigt haben. Einige Monate später folgte dann die polizeiliche Vorladung, der ich natürlich nicht Folge leistete. Darin wurde mir mitgeteilt, dass mir eine Körperverletzung und Sachbeschädigung vorgeworfen wird. Mein Anwalt hat dazu Akteneinsicht beantragt und der Polizei mitgeteilt, dass hierzu von mir keine Aussage getätigt werde.

Es hat sich im weiteren Verlauf abgezeichnet, dass der Straftatbestand sich nach einer rechtlichen Voreinschätzung auf dünnem Eis befindet. Die Hamburger Staatsanwaltschaft mit ihrem politischen Verfolgungswillen wollte aber diese vagen Anschuldigungen trotzdem juristisch zur Verhandlung bringen. Kurze Zeit später folgte dann auch ein Strafbefehl mit der Festlegung von 40 Tagessätzen à 40 Euro also einer Gesamtstrafe von 1.600 Euro, wogegen mein Verteidiger Widerspruch einlegte. Nun folgt am 3. Mai die Gerichtsverhandlung.

Wie hast du am Demonstrationstag die polizeiliche Präsenz im Allgemeinen wahrgenommen?
Karl: Wie schon gewohnt, war die Hamburger Polizei rund um die revolutionäre Demonstration am 1. Mai mit einem massiven Großaufgebot aufgestellt. Doch tatsächlich konnten wir es durchsetzen, dass wir nicht im Spalier begleitet wurden, sondern die Hundertschaften als zusammengezogene Blöcke vor und hinter dem Demonstrationszug mitliefen. Das ist uns gelungen, weil wir insgesamt viele Demonstrant:innen waren, umliegende Straßen blockiert haben und der Polizei explizit mitgeteilt haben, dass wir erst dann loslaufen, wenn unseren Forderungen und Bedingungen nachgekommen wird.

Im Allgemeinen verlief die revolutionäre Demonstration anfangs sehr friedlich, erst am Ende kam es zu Polizeigewalt. Die zeitgleich an der U-Bahnstation Hagenbecks Tierpark angesetzte anarchistische Demonstration wurde schon von Beginn an durch heftige polizeiliche Schikane und Einkesselung am Loslaufen gehindert. Dort gab es durch die Angriffe der Polizei auch Schwerverletzte. Bei unserer Demo erfolgte die Polizeigewalt, wie bereits erwähnt, dann erst am Ende.

Erkennst du eine Tendenz der Strafverfolgungsbehörden und politische Zusammenhänge in Bezug auf linken Protest der vergangenen Zeit?
Es ist deutlich die Systematik zu beobachten, dass jede revolutionäre Großdemonstration, wie zum Beispiel die große Antirepressionsdemo im November, die Soli-Demos zu den erneuten „Rondenbarg-Prozessen”, die palästina-solidarischen Demonstrationen, aber auch die letzte „LLL-Demo” in Berlin und viele andere Proteste auf den Straßen durch Einschüchterungstaktiken und dem offenen Beschneiden vom Versammlungsrecht begleitet sind. Der Staat will so verhindern, dass politische Inhalte nach außen getragen werden. Dazu wird eine eklatante polizeiliche Eskalationsstrategie praktiziert. Es ist gerade immer den besonnenen Reaktionen der Demoteilnehmer:innen zu verdanken, dass die durch die Polizei geschaffenen gefährlichen Situationen ruhig verlaufen und die Polizei ihre Einsätze dadurch nicht glaubhaft rechtfertigen kann.

Das alles passiert im größeren Zusammenhang mit der Verschärfung der Asylrechtspolitik, tiefgreifenden Einschränkungen der Meinungs- und Versammlungsfreiheit, sowie unter anderem dem ungehemmten Bedienen rechter Gesinnungspolitik durch SPD, CDU, die Grünen und die FDP. Ein aktuelles Beispiel dafür ist der „Palästina-Kongress” in Berlin, der unter fadenscheinigsten Begründungen zerschlagen worden ist – ohne jegliche plausible und rechtliche Grundlage. Die mediale und politische Hetzkampagne vor, während und nach dem Kongress und die im Nachhinein vom Bundesinnenministerium abgehaltene Pressekonferenz sticht hier deutlich hervor und arbeitet mit staatlich inszenierter Diffamierung und offenen Falschbehauptungen. Auf Nachfrage kritischer Pressevertreter:innen, dass dieser Kongress ja von diversen linken Gruppen, jüdischen Antizionist:innen, sowie Antiimperialist:innen organisiert wurde und der Vorwurf, der Kongress sei eine islamistische Veranstaltung gewesen, jeglicher Grundlage entbehre, weicht das Bundesinnenministerium vollkommen aus, beharrt auf seiner eigenen Definitionshoheit und stellt somit ein argumentatives Lügenkonstrukt auf.

Sind auch andere aus deinem persönlichen und politischen Umfeld direkt und aktuell von staatlicher Repression betroffen? Wie erleben sie diesen Umstand im Alltag?
Karl: Ja, in den letzten Jahren versuchte der Staat mit dem §129 revolutionäre Strukturen anzugreifen, das konnte jedoch abgewendet werden. Auch aus dem Offenen Antifaschistischen Treffen Hamburg (OAT) sind viele direkt von Repression betroffen. Das OAT organisiert unter anderem die stetige Arbeit und das Engagement gegen den rechten Wahlkampf und die rechten Bürgerdialoge der AfD hier in Hamburg. Dabei wird von lokalen antifaschistischen Gruppierungen sehr energisch versucht, die AfD-Bürgerdialoge zu stören und zu verhindern und mit lautem und kämpferischen Gegenprotest auf dem Rathausplatz eine antifaschistische Botschaft auf die Straße zu tragen. Diesem Widerstand wird durch das Bannmeilengesetz rund um das Rathaus seine gesetzliche Legitimation entzogen. Es wurden und werden noch aktuell bei diesen Protesten regelmäßig und massenhaft Personalien der Demonstrierenden aufgenommen und im Nachgang Bußgeldbescheide von ca. 250 Euro erteilt. Betroffen davon waren bei vergangenen Kundgebungen schonmal um die 50 Personen, was eine Struktur natürlich stark belasten kann.

Eine andere Genossin hat außerdem ein laufendes Verfahren bezüglich der „Tag X”-Solidemo in Hamburg zum Fall von Lina. Bei ihr haben die Strafverfolgungsbehörden eine Meldeauflage angeordnet rund um den Zeitraum der Massenproteste in Leipzig, sodass sie in ihrer Freizügigkeit beschnitten und jeglicher Protestwille im Keim erstickt werden sollte. Dadurch, dass sie sich mehrmals täglich bei der Hamburger Polizei melden musste, sollte verhindert werden, dass sie nach Leipzig reist.

Wie erfährst du die Unterstützung aus dem eigenen Umfeld?
Karl: Am Verhandlungstag des 3. Mai wird es am Amtsgericht Hamburg-Wandsbek um 10:30 eine solidarische Prozessbegleitung geben**. Mein Fall ist juristisch nicht besonders fundiert und steht auf einer wackeligen rechtlichen Grundlage. Der Verfolgungswille der Hamburger Staatsanwaltschaft aus einer rein politischen Motivation heraus spiegelt sich hier ganz klar wider. Zudem ruft die Rote Hilfe zu einer solidarischen Begleitung des Prozesses auf, was eine enorme Unterstützung ist. Auch genau darauf zielt diese juristische Repression ab, denn Geldbußen im fünfstelligen Bereich sind für junge Menschen eine hohe Geldsumme, die keiner mal eben so aufbringen kann. In diesem Kontext kann die Polizei in Protestsituationen Einzelne bestimmter Straftaten beschuldigen, die dann zu Verfahren führen und durch vollkommene Willkür Demonstrierenden eine Straftat anhängen.

Was rätst du allen Leser:innen, die dieses Jahr zum 1. Mai Angst vor Repression haben?
Karl: Durch all die polizeiliche und juristische Schikane dürfen wir uns nicht einschüchtern lassen. Wir gehen weiterhin auf die Straße, und wir organisieren uns weiterhin, um dem Rechtsruck nicht nur verbal, sondern auch praktisch etwas entgegenzusetzen. Es ist daher von größter Wichtigkeit, dass wir uns besonders an einem symbolhaften Tag wie dem 1. Mai die Straßen nehmen und gegen die Missstände, Ausbeutung, Kriege und Krisen, die der Kapitalismus erzeugt, protestieren. Auch, wenn wir gerade auf härtere Zeiten zusteuern, zeigt die Geschichte, dass sich das Kämpfen lohnt. Dass eine andere Welt ohne Ausbeutung und Unterdrückung möglich ist, ist nicht nur eine Floskel. Dafür müssen wir eben auch praktische Arbeit leisten, Rückschläge und Repression in Kauf nehmen und im geeigneten Moment zurückschlagen.

  • Der Name wurde von der Redaktion geändert

** Die solidarische Prozessbegleitung findet am Freitag, 3. Mai, 10 Uhr, am Amtsgericht Wandsbek statt. Der Prozess selbst startet um 10:30 Uhr im Sitzungssaal 137.

https://perspektive-online.net/2024/04/wenn-wir-fuer-eine-andere-welt-kaempfen-muessen-wir-repression-in-kauf-nehmen/