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WILLKÜR In der Falle

Ausreisesperre direkt nach Landung in Istanbul: Passentzug für Mesale Tolus Ehemann Suat Corlu. Prozess gegen Journalistin weiter verschleppt

Die türkische Justiz müht sich weiter nach Kräften, Gerichtsprozesse gegen prominente Kritiker des Regimes von Präsident Recep Tayyip Erdogan zu verschleppen und diese mürbe zu machen. Am Donnerstag sollte das Verfahren gegen Mesale Tolu in Istanbul weitergehen, das bereits zwei Jahre andauert. Der Termin war mit Spannung erwartet worden, da ein »geheimer Zeuge« – unkenntlich gemacht und per Videoschalte – angehört werden sollte, auf den sich die Anklage stützt. »Außer diesem ominösen Zeugen haben sie offenbar nichts in der Hand gegen mich«, teilte Mesale Tolu, die für den Prozesstag nicht nach Istanbul gereist war und in Deutschland blieb, gegenüber jW mit. Mit der Begründung, es gebe »technische Probleme«, den Mann einzuvernehmen, wurde der Prozess ohnehin vertagt – auf den 11. Oktober.

Wem die Einreise in die Türkei am Mittwoch abend allerdings zum Verhängnis wurde, ist Suat Corlu, Tolus Ehemann. Direkt nach der Landung in Istanbul zogen Grenzpolizisten seinen türkischen Pass ein und verhängten eine Ausreisesperre. »Das war sicher eine Falle, da es zuvor keine Vorladung oder einen Hinweis darauf gab«, so Tolu am Donnerstag. Ein Gericht in Ankara habe bereits am 14. Mai über die Ausreisesperre verfügt, sei Corlu mitgeteilt worden – und dass dies nichts mit dem Verfahren in Istanbul zu tun habe. »Das Ganze wirkt sehr geplant, um uns einzuschüchtern und Angst zu machen«, erklärte Tolu weiter. Corlu werde nun mit dem deutschen Generalkonsul zusammentreffen, der könne sich aber »nicht wirklich einmischen«.

Suat Corlu hatte beabsichtigt, dem Prozess beizuwohnen. »Mein Mann war sich der Risiken bewusst und regelmäßig in die Türkei gereist«, so Tolu. Diese Freiheit wolle er sich nicht nehmen lassen, auch um Gegenbeweise anzuführen. Die Grünen-Bundestagsabgeordnete Margit Stumpp, die auch zur Beobachtung des Verfahrens in die Türkei gereist war, kritisierte die gestrige kurze Verhandlung scharf. »Der Verlauf des Prozesses heute bedeutet einen harten Rückschlag«, sagte sie laut dpa am Donnerstag.

Die Festnahme mehrerer deutscher Staatsbürger wie Deniz Yücel und Peter Steudtner hatte 2017 zu einer schweren diplomatischen Krise zwischen Berlin und Ankara geführt. Mesale Tolu, die seit 2007 ausschließlich einen deutschen Pass hat, saß zwischen Mai und Dezember 2017 mit ihrem damals zweijährigen Sohn in türkischer U-Haft. Die Journalistin hatte vor ihrer brutalen Festnahme durch eine türkische Antiterroreinheit unter anderem für die linke Nachrichtenagentur Etha gearbeitet. Die Staatsanwaltschaft wirft Tolu, Corlu und einer Gruppe weiterer Angeklagter Mitgliedschaft in der Marxistisch-Leninistischen Kommunistischen Partei (MLKP) vor. Diese gilt in der Türkei als »Terrororganisation«. Dafür könnte eine Strafe von bis zu 20 Jahren verhängt werden. Im Januar 2019 referierte Mesale Tolu auf der Internationalen Rosa-Luxemburg-Konferenz in Berlin zum Widerstand in der Türkei und veröffentlichte jüngst ein Buch über ihre Haftzeit.

Wie bereits am 30. April bekannt wurde, muss auch der wegen Terrorvorwürfen angeklagte Kölner Sozialarbeiter Adil Demirci weiter in der Türkei bleiben. Demirci war Mitte Februar nach rund zehn Monaten aus der U-Haft entlassen worden, darf aber seitdem Istanbul nicht verlassen. Auf den nächsten Verhandlungstermin muss er nun noch einmal fast sechs Monate lang warten. Erst am 15. Oktober soll sein Prozess fortgesetzt werden.

Von Michael Merz, junge Welt 24.5.19