Diesen Sommer bildete der Knast von Maghaberry in Nordirland einen Fokus des irisch-republikanischen Widerstands.
Maghaberry liegt ausserhalb von Lisburn, Co. Antrim, auf einem alten Armeestützpunkt, und dient seit der Schliessung von Crumlin Rd. und Long Kesh als wichtigster Hochsicherheitsknast in Nordirland. Die Haftbedingungen sind hart. Besonders für republikanische (1) Gefangenen, die wiederholt Angriffen der loyalistischen (2) Wärterorganisation Prison Officers‘ Association ausgesetzt sind.
Im Frühjahr 2010 verschärft sich die Situation im Sondertrakt „Roe House“ infolge eines Bummelstreiks der Wärter. Im zweistöckigen „Roe House“ sitzen gut 30 verurteilte und nichtverurteilte Republikaner zwischen 20+ und 60+ Jahren. Sie sind unabhängig oder gehören einer Guerilla an – etwa der „Real“ IRA, der „Continuity“ IRA (beides Abspaltungen der „Provisional“ Irish Republican Army) oder der nicht mehr aktiven Irish National Liberation Army. Am Ostersonntag wehren sie sich kollektiv und verbarrikadieren sich mehrere Tage in der Kantine, um gegen die Verschlechterung der Haftbedingungen zu protestieren.
Die Knastleitung reagiert umgehend mit Bestrafung. Weil die Gefangenen während des Protestes Osterlilien getragen haben (um an den Osteraufstand von 1916 zu erinnern), isoliert man sie fortan 23 Stunden pro Tag. Aus den Zellen verschwinden sämtliche persönlichen Gegenstände, Wasch- und Duschmöglichkeiten werden eingeschränkt, Besuche von Familien und Anwält/innen verhindert. Es gibt mehr Leibesvisitationen, ausserhalb der Zelle wird jeder Gefangene von mindestens drei Wärtern „begleitet“. Mehrere Gefangene werden geschlagen.
Draussen formieren Angehörige zusammen mit unabhängigen Exgefangenen und Gruppen aus dem fortschrittlichen/ linken Spektrum das Bündnis „Families, friends and ex-prisoners“ (mit dabei Irish Republican Socialist Party, 32 County Sovereignty Movement, Éirígí, Republican Network for Unity). Mehrere gutbesuchte Demos in Maghaberry und Lurgan, Kundgebungen in Belfast und Derry, Soli- und Infoveranstaltungen werden organisiert. Daneben hält die traditionalistische Republican Sinn Féin separate Kundgebungen ab.
Erste Vermittlungsversuche des „Families …“-Bündnisses werden von der Knastleitung selbst oder von den Wärtern verhindert. Mitte Juni beginnen die Gefangenen mit einem beschränkten Dreckprotest, da sich nichts bewegt. Sie fordern zwei grundlegende Dinge: 1. Schluss mit der „Begleitung“ durch Wärter – Recht auf freie Zusammenkunft, 2. Schluss mit den erniedrigenden Leibesvisitationen.
Eine zweite Initiative zur Konfliktlösung kommt mit Hilfe der Amsterdamer Dialogue Advisory Group, dem Ráth Mór Centre und dem irischen Gewerkschaftsbund zustande, die zusammen eine neue Vermittlergruppe gebildet haben. Am 12. August erzielt sie eine Übereinkunft, welche die Forderungen der Gefangenen zu einem Gutteil erfüllt. Die Knastleitung sagt zu, in einem mehrstufigen Verfahren sowohl die Leibesvisitationen grösstenteils einzustellen, wie auch grundlegende Versammlungsrechte und eine gewisse Bewegungsfreiheit im Trakt zuzugestehen. Darauf beenden die Gefangenen ihren Protest.
Wie es aussieht, haben sich Knastleitung und Wärter bisher nicht an die Übereinkunft gehalten. Die Leibesvisitationen gehen individuell weiter, Versammlungsrechte werden nicht gewährt. Wer sich wehrt, bezieht Prügel – so vor kurzem Colin Duffy, der zudem sexuell angegriffen wurde. Man muss den Protest im Kontext der letzten Jahre betrachten. Das Karfreitagsabkommen von 1998, das am Ende des 30jährigen Konflikts in Nordirland stand, garantierte zwar die Freilassung der politischen Gefangenen. Allerdings kamen nur jene frei (und blieben frei), die sich den von der britischen Besatzungsmacht diktierten Bedingungen unterwarfen. Diesen Weg wählten grosse Teile der „Provisional“ IRA und Sinn Féin, ihrem politischer Flügel.
Im Grunde formalisierte dieses Abkommen die Niederlage der republikanischen Bewegung. Dagegen wehren sich die sog. „dissidents“ (3), von denen einige den bewaffneten Kampf fortsetzen. Der politische Dissens selbst ist nicht ohne Widersprüche. Nicht alle halten die Bedingungen für eine Weiterführung des bewaffneten Kampfes für gegeben. Aber alle halten die Entwicklung nach 1998 für gescheitert, wenn nicht für falsch.
Lange schwelende Konflikte zwischen der republikanischen Basis und ihrer versozialdemokratisierten Führung brachen um 2007 auf, als Sinn Féin die britische Polizei anerkannte und versprach, mit ihr zu kooperieren. Das brachte für viele das Fass endgültig zum überlaufen. Mobilisierungsfähigkeit und Aktivitäten „dissidenter“ Gruppen nehmen seither stark zu. Das mag mit der Perspektivlosigkeit der von Sinn Féin vorgegebenen Richtung zu tun haben, die auf die Mitverwaltung der britischen Besatzung hinausläuft. Genauso wichtig ist, dass sich die Lebensbedingungen der irischen Unterklasse kaum verbessert haben, die konfessionelle Spaltung den Alltag immer noch beherrscht.
Die britische Regierung begegnet dem Erstarken des republikanischen Widerstands mit dem Ausbau des repressiven Apparats, was medial legitimiert wird durch das ständige Wiederholen von Bedrohungsszenarien einerseits und der Brandmarkung der „dissidents“ als Kriminelle andererseits.
Die Armee ist mit Spezialeinheiten vor Ort. Ein Jahr nach dem offiellen Ende der Nordirlandoperation „Operation Banner“ wurde 2008 die Aufklärungseinheit des Special Air Service (4) wieder stationiert – zunächst geheim. Vor kurzem ist eine weitere Einheit für Aufstandsbekämpfung in Derry gelandet. Der Inlandsgeheimdienst MI5 gibt jährlich 40 Mio. £ für Operationen in Nordirland aus. Und die Polizei hat laut eigener Statistik von April 2009 bis März 2010 über 28’000 Personen im Rahmen der Antiterrorgesetzgebung angehalten und gefilzt. Im Vergleich zum Vorjahr ist das eine Verdreifachung der Vorfälle.
Die Entwicklung in Maghaberry bleibt offen. In der Vergangenheit waren Knastkämpfe in Nordirland immer auch ein mobilisierendes Moment. Die Wärter, welche Collin Duffy misshandelt haben, wurden jedenfalls vorsorglich angewiesen, künftig Schusswesten zu tragen.
AG Victory to the prisoners!, Oktober 2010
Anmerkungen:
(1) republikanisch=für eine ganz Irland umfassende, sozialistische Republik kämpfende Militante. (2) loyalistisch=loyal gegenüber der englischen Krone, faschistisch-protestantische Sektierer/innen.
(3) dissident=eine andere Meinung vertreten, hier: gegen das Karfreitagsabkommen sein.
(4) SAS, eine für Killfahndungen berüchtigte Aufstandsbekämpfungseinheit.
Für Informationen zu den Gefangenen in Maghaberry: