Zug der Solidarität

Das Baskenland hat das neue Jahr kämpferisch begonnen: Am Samstag demonstrierten 64000 Menschen in Bilbo (span. Bilbao) für die Freilassung der 750 politischen Gefangenen. Das waren 20000 Teilnehmer mehr als im vergangenen Jahr. Zu der Demonstration hatte ein Kollektiv von Personen aus unterschiedlichen sozialen Zusammenhängen aufgerufen. Daher war es dem spanischen Staat nicht möglich, den Protestzug wie 2010 in erster Instanz verbieten zu lassen.

Die Veranstaltung folgte dem Aufruf: »Mit all ihren Rechten die baskischen Gefangenen ins Baskenland – Laßt uns einen Schritt vorwärts machen«. Während der Demonstration, die friedlich verlief, waren Rufe wie »Die baskischen Gefangenen und Flüchtlinge nach Hause« und »Generalamnestie« zu hören. Angeführt wurde der Protestmarsch von den Familienangehörigen der Häftlinge, die sich in der Vereinigung Etxerat (Nach Hause) organisiert haben. In der Vergangenheit konnten sie als Veranstalter auftreten, aber im Januar 2010 verbot die spanische Justiz die Demo zunächst wegen »Verherrlichung des Terrorismus«.

Die hohe Beteiligung erklärt sich angesichts der sozialen Dimension, die die Gefangenenfrage in der baskischen Gesellschaft eingenommen hat. Seit Madrid ab 1998 dazu übergegangen ist, die gesamte linke Unabhängigkeitsbewegung mittels der Doktrin »Alles ist ETA« zu kriminalisieren, haben viele politische Aktivisten ihre Freiheit verloren. Dazu bedarf es mittlerweile nicht mehr der Mitgliedschaft in der Untergrundorganisation Euskadi Ta Askatsuna (ETA, Baskenland und Freiheit), sondern es reicht, deren Ziele – Unabhängigkeit und Sozialismus – zu teilen oder gar nur Fotos der politischen Häftlinge zu zeigen.

Das Ausmaß der Kriminalisierung wird deutlich, wenn man folgende Daten betrachtet: Als der faschistische Diktator Francisco Franco am 20. November 1975 starb, befanden sich 731 Basken aus politischen Gründen in Haft. Heute sind es 750, wovon ein Teil in französischen Gefängnissen einsitzt. Nach der Generalamnestie von 1977 bis 2007 kamen 4700 Basken ins Gefängnis. Gegenwärtig machen die baskischen Gefangenen knapp ein Prozent aller 76000 Häftlinge in Spanien aus.

Seit über 20 Jahren werden sie nicht mehr heimatnah inhaftiert, so wie es das Gesetz vorschreibt, sondern so weit weg wie möglich. Nach Angaben von Etxerat müssen die Familien jährlich 14,7 Millionen Euro aufbringen, um ihre Angehörigen meistens nur für wenige Minuten besuchen zu können.

Mit der »Zerstreuungspolitik« (Dispersión) verfolgte Madrid einst zwei Ziele: Erstens wollte man so das Kollektiv der Baskischen Politischen Gefangenen (EPPK) sprengen; zweitens die Solidarität der Gesellschaft mit ihnen und ihren Angehörigen beenden. Daß diese Politik gescheitert ist, zeigt einerseits die Demonstration vom Samstag, andererseits der Umstand, daß sich höchstens 20 ehemalige ETA-Mitglieder von der Organisation losgesagt haben.