Zu Kenntnisnahme hier der Redebeitrag der Rigaer94 beim Rigaer Straßenfest am 17.9.2016. Das Straßenfest hatte leider wenig kämpferischen Charakter und war außerhalb des Kiezes und der Berliner Szene kaum wahrnehmbar. Ob das so gewollt war oder aus Unfähigkeit geschah bleibt auch in den Kiezdebatten offen. Der folgende Redebeitrag der 94 macht zumindest deren Stand publik. Gehen wir davon aus, dass es sich um keine Ausrede für Faulheit handelt.
„Hallo Nordkiez, hallo liebe Freund_innen.
Heute, zwei Monate nachdem die Bullen, Bauarbeiter und Securities die Rigaer94 wieder verlassen haben, wollen wir die Gelegenheit nutzen, noch einmal Danke zu sagen. Wir danken all den Leuten, die uns in unserem Kampf unterstützt haben. Ohne euch würden wir heute in einem ganz normalen Wohnhaus wohnen. Wahrscheinlich wären immernoch Securities rund um die Uhr vor Ort, um die Bauarbeiten oder die neuen Wohnungen zu beschützen. Es gäbe Modernisierungsarbeiten, einen Hausmeister und im Treppenhaus würden die neue Hausordnung hängen. Bullen müssten nur klingeln, und die neuen Bewohner_innen würden ihnen per Summer die Haustür öffnen. Dass dies nicht so ist, und wir in unserem Rechtsfreien Raum ein gutes Leben leben können, haben wir euch allen zu verdanken.
Viel wichtiger als unser gutes Leben aber ist die Tatsache, dass viele Menschen in dieser Stadt die Rigaer94 für ihren Zweck benutzt haben. Wir haben uns als Kristallisationspunkt für den Kampf gegen das politische System, das Schuld an dieser Stadtpolitik ist, angeboten. Diejenigen, die von Überwachung, Unterdrückung, Verteuerung, Verdrängung und Zwangsräumung direkt betroffen sind und den Mut haben zu kämpfen, haben dieses Angebot dankend angenommen und haben zurückzuschlagen. Gemeinsam haben wir so etwas vollbracht, an das keiner geglaubt hatte. Wir haben der Staatsgewalt die Stirn geboten. Auch in Zukunft wird die Rigaer94 die Rolle als Kristallisationspunkt sicher weiter erfüllen, wenn dies gewünscht wird. Da wir auch kein einheitlicher Haufen sind, brauchen wir deshalb aber Feedback von euch allen.
Für die nahe Zukunft halten wir es aber auch für wichtig, dass die Rigaer94 nicht zur revolutionären Zelle des Kiezes hochstilisiert wird. Wir wollen keine Vorreiterrolle einnehmen, da wir es eigentlich ablehnen, Macht zu konzentrieren. Tatsächlich müssen wir aber selbstkritisch feststellen, dass auf uns viel Verantwortung lastet. Wenn der Nordkiez noch länger widerständig bleiben will, ist es daher wichtig, mehr Kristallisationspunkte für den Kampf zu schaffen. Am besten würden wir dem Rat der Autonomen folgen: Jedes Herz muss eine revolutionäre Zelle sein. So bieten wir dem Staat keine Möglichkeit, neuralgische Punkte anzugreifen. Wenn sie die Rigaer94 zerstören – was sie ja tatsächlich planen – müssen 10 neue revolutionäre Zellen im Kiez bereitstehen. Dazu braucht es kein Haus. Alles was es braucht, bist du!
Lasst uns alle darüber nachdenken, wie mit unserem Widerstand nicht nur die Symptome des Kapitalismus bekämpfen, sondern das Problem bei der Wurzel packen. Was her muss, ist ein breiter Aufstand, in dem wir uns die Stadtteile zurückerobern und unter Selbstverwaltung bringen. Jahrelang schon brodelt es in Berlin. Riesige Demonstrationen wenden sich gegen die Gentrifizierung. Es gibt Bewegungen gegen den Überwachungswahn und die permanente Fremdbestimmung. Es gibt kreativen und gewaltigen Widerstand gegen Gefahrengebiete. Doch was braucht es noch, bis wir endlich auf den Barrikaden stehen, weil wir erkannt haben, dass wir mit unserer demokratischen Teilhabe die Freiheit und jede Lebensqualität zu Grabe tragen. Dass der zelebrierte Individualismus dieser Gesellschaft das Ende der Solidarität bedeutet.
Es braucht uns alle.