6.198 Abschiebungen aus Deutschland in sechs Monaten

Wie aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Linken-Politikerin Clara-Anne Bünger hervorgeht, wurden in den ersten sechs Monaten des Jahres bereits 6.198 Menschen abgeschoben, 230 davon in die Türkei.

Die Zahl der Abschiebungen aus Deutschland steigt an. Im ersten Halbjahr 2022 wurden 6.198 Menschen abgeschoben. Im ganzen Jahr 2021 waren es im Vergleich dazu 11.982 Personen. Die wichtigsten Zielstaaten waren Nordmazedonien (454), Albanien (402) und Georgien (397). In die Türkei wurden 230 Personen abgeschoben. Bei 1.826 der Abschiebungen handelt es sich um sogenannte Dublin-Überstellungen. Nach der Dublin-Verordnung werden die Asylverfahren meist in den Ländern geführt, in denen die Schutzsuchenden zuerst die EU betreten haben. Das führt zu einer massiven Überlastung von Grenzsstaaten wie Griechenland, in denen Schutzsuchende ebenso wie anerkannte Flüchtlinge in grausamen Lagern oder auch der Obdachlosigkeit leben müssen. Unter denen in diesem Jahr Abgeschobenen befinden sich 1289 Frauen und 1061 Minderjährige. Diese Zahlen gehen aus einer Kleinen Anfrage der fluchtpolitischen Sprecherin der Fraktion DIE LINKE, Clara-Anne Bünger, hervor.

„Kurdische und türkische Oppositionelle werden in gnadenlose Verfolgung abgeschoben“

Bünger kommentiert: „Jede Abschiebung ist eine zu viel. Allzu oft werden Menschen unter Androhung oder Anwendung von Gewalt an Orte zurückgezwungen, an denen ihnen Krieg, Folter, willkürliche Haft, extreme Armut oder Perspektivlosigkeit drohen. Aktuell betrifft dies zum Beispiel viele Abschiebungen in die Türkei, wo insbesondere linke und kurdische Oppositionelle gnadenlos verfolgt werden. Anstatt Abschiebungen mit immer repressiveren Mitteln durchzusetzen, muss eine umfassende Bleiberechtsregelung her. Ich erwarte von der selbsternannten Fortschrittskoalition, dass sie ihre diesbezüglichen Ankündigungen aus dem Koalitionsvertrag schnell umsetzt!“

Bundesregierung hält Abschiebefluglinien geheim

Um Proteste und Ansehensverlust zu vermeiden, hält die Bundesregierung die Liste der an Abschiebungen beteiligten Fluglinien geheim. Recherchen von Deportation Alarm legten Profiteure an Abschiebungen für das Jahr 2021 offen. Die Liste dürfte sich für das Jahr 2022 kaum verändert haben. Auf Platz zwei der Abschiebeprofiteure liegt die türkische „Corendon Airlines“ (Turistik Hava Taşımacılık A.Ş) – 2.740.000 Euro Profit gab es für die Abschiebungen aus Deutschland. Unter den deutschen Airlines befinden sich „German Airways“, „Sundair“ und „FIA“.

Die wichtigsten Flughäfen im Jahr 2022 für Abschiebungen waren Frankfurt/Main (1823), Düsseldorf (855), München (723), gefolgt vom Flughafen Berlin (716).

Sammelabschiebungen leicht zurückgegangen

Im ersten Halbjahr 2022 gab es 60 Sammelabschiebeflüge, mit denen insgesamt 2.070 Personen abgeschoben wurden. Der Anteil der Sammelabschiebungen an allen Abschiebungen ist somit nach einem Anstieg im Vorjahr wieder leicht zurückgegangen. Allerdings werden die Sammelabschiebungen von massivem Polizeiaufgebot begleitet. Bei Abschiebungen nach Pakistan oder Nigeria waren es regelmäßig bis zu 100 Beamte. Bünger verurteilt die Geheimhaltungspolitik der Bundesregierung: „Es ist äußerst undemokratisch, dass die Namen der Fluggesellschaften, die die Abschiebungen durchführen, weiterhin als Verschlusssache eingestuft werden, denn eine dringend notwendige Debatte über die ökonomischen Profiteure der Abschiebepolitik wird so verhindert. Diese Geheimniskrämerei muss beendet werden. Wenn Fluggesellschaften befürchten, für ihre Beteiligung an Abschiebungen kritisiert zu werden, müssen sie sich eben aus diesem schmutzigen Geschäft zurückziehen, ganz einfach.“

428 Abschiebungen im letzten Moment verhindert

Aber auch positive Nachrichten sind zu verzeichnen. So konnten 428 Abschiebeversuche über den Luftweg in letzter Minute abgebrochen werden. Zu den wichtigsten Gründen zählte dabei der Widerstand der Betroffenen und die couragierte Haltung von Pilot:innen, in immerhin 22 Prozent der Fälle.

Hunderte Fesselungen und Übergriffe

Im ersten Halbjahr 2022 wurde bei 458 körperliche Gewalt eingesetzt. Dazu gehören Hand und Fußfesseln, Stahlfesseln und sogenannte Bodycuffs – das sind brutale Ganzkörperfesselungen. Am häufigsten wurden diese Gewaltmittel bei Betroffenen aus Algerien, Nigeria, Gambia, Tunesien und dem Irak angewandt.

Die Aufschlüsselung des Einsatzes von Fesselungsmitteln nach Zielstaaten zeigt: Bei Abschiebungen in bestimmte Herkunftsländer kommen diese verstärkt zum Einsatz. Während diese im ersten Halbjahr 2022 bezogen auf alle Zielstaaten bei 7,4% der Fall war, lag die Quote bei Abschiebungen nach Algerien bei 82%, nach Gambia bei 59,5%, nach Nigeria bei 31,2%, in den Irak bei 29,1% und nach Tunesien bei 22,4%.

Diese erhöhten Werte lassen entweder auf eine besonders große Verzweiflung der Betroffenen schließen – oder aber auf eine mögliche rassistische Polizeipraxis, bei der gegenüber People of Color besonders rücksichtslos vorgegangen wird.

Bünger kritisiert: „Es macht sprachlos, welche Ressourcen Bund und Länder bereit sind einzusetzen, um Menschen außer Landes zu schaffen. Abschiebeflüge, die horrende Kosten verursachen und bei denen die Zahl der Begleitbeamt:innen die der abzuschiebenden Personen um ein Vielfaches übersteigt, sind keine Seltenheit. Auch menschenrechtlich scheint den Abschiebebehörden kaum ein Preis zu hoch: Regelmäßig wird aus der Praxis über Familientrennungen, Nachtabschiebungen, routinemäßige Fesselungen, rechtswidrige Inhaftierungen oder hemmungslose Polizeigewalt berichtet. Hier braucht es ein radikales Umdenken und vor allem eine geänderte Praxis.“

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