In den letzten zwei Jahren hat besonders die Palästina-Bewegung ein beispielloses Ausmaß an Repression und Polizeigewalt erlitten. Palestine at the Forefront nennt sich eine Kampagne, welche diesen Zustand verändern will – wir haben mit ihnen über die Bewegung und über aktuelle politische Prozesse gesprochen.
Was ist Palestine at the Forefront, mit welchem Ziel habt ihr euch gegründet?
Palestine at the Forefront ist eine politische Anti-Repressions-Kampagne für die Bewegung in Solidarität mit Palästina, in Deutschland, vor allem in Berlin.
Die Kampagne verfolgt verschiedene Ziele:
Die Genoss:innen, die mit Repression konfrontiert sind, zu unterstützen
Die existierenden Repressionsmechanismen ans Licht zu bringen und zu skandalisieren
Die Palästinensische und arabischsprachige Gemeischaft zu unterstützen, um gemeinsam die aufenthaltsbasierte Repression zu bekämpfen.
Darüber hinaus organisiert die Kampagne verschiedene Veranstaltungen, die sich alle im Rahmen dessen bewegen, was wir als „kollektive Selbstverteidigung“ verstehen. D.h. uns dem staatlichen Repressionsapparat zu widersetzen: Auf der Straße, in unseren Wohnungen und auch im Gerichtssaal.
Die Kampagne heißt „Palestine at the Forefront“, um zu unterstreichen, dass die Palästina-Bewegung in dieser Zeit an der ersten Linie im Kampf für Gerechtigkeit steht.
Wie sieht eure Solidaritätsarbeit praktisch aus?
Wir organisieren Kundgebungen bei Gerichtsverfahren und Info- und Austauschveranstaltungen zu Repressionsthemen. Wir sind aktiv in den Berliner Netzwerken für den Kampf gegen die Abschiebung von Palästinenser:innen und andere Formen der aufenthaltsbasierten Repression.
Wie wirkt sich die eskalierende Repression auf das politische Bewusstsein innerhalb der Palästina-Bewegung aus?
Wir sind der Meinung, dass die Versuche das Staates, unsere Bewegung einzuschüchtern, alles in allem gescheitert sind. Das Ausmaß und die eskalierende Absurdität der Repressionsmaßnahmen zeigen deutlich, dass Deutschland verzweifelt versucht, die Wahrheit zu vertuschen.
Wir haben seit Oktober 2023 eine stetige Steigerung der Organisation, der Verbindungen und des gemeinsamen Verständnis von Widerstand und Befreiung gesehen. Damit wollen wir nicht das Ausmaß der Polizeigewalt oder die Ernstahaftigkeit der Strafen leugnen, mit denen wir konfrontiert sind. Diese werden in aller Welt mit Schock zur Kenntnis genommen und sind in der jüngeren Geschichte Deutschlands beispiellos.
Es ist aber auch wahr, dass die Präsenz der Bewegung auf den Straßen und in der Öffentlichkeit keineswegs abgenommen hat, sondern ganz im Gegenteil stärker und stärker wird. Diese Stärke drückt sich nicht nur in Zahlen aus. Vielmehr ist sie in den Herzen derer zu finden, die auf verschiedenen Wegen und mit verschiedenen Mitteln für die Befreiung kämpfen. Unsere Bewegung hat immer wieder gezeigt, dass sie auf Herausforderungen und Hindernisse reagieren und sich anpassen kann. Wir sind fest davon überzeugt, dass wir diesen generationenübergreifenden Kampf am Ende gewinnen werden.
Kürzlich begann ein politischer Prozess gegen den palästinensischen Aktivisten und Künstler Musaab Abu Atta. Ihr hattet diesen Fall begleitet und zu solidarischen Prozessbeobachtungen aufgerufen. Wie verlief dieser Prozess?
Musaab Abu Atta wurde Ende Februar 2025 festgenommen und war dann ca. 4 Monaten lang in Untersuchungshaft. Die Staatsanwaltschaft, die vom Genralstaatsanwalt selbst vertreten wurde, hatte für die Vorfürfe, einen Böller auf einen Polizisten geworfen zu haben, „Beleidigung und Bedrohung eines Polizeibeamten“ und „Besitz illegaler Feuerwerkskörper“ über 2 Jahre Haft beantragt.
Sie stellte sich auch mit allen Mitteln gegen eine Freilassung und konnte sich trotz der absolut unzureichenden Begründung einer Fluchtgefahr bis zum vorletzten Prozesstag durchsetzen (nach dem Urteil hat sie sogar Widerspruch gegen die Aufhebung des Haftbefehls eingelegt). Am 03.07.25 wurde Musaab zu zwei Jahren Haft ohne Bewährung verurteilt. Weder die Verteidigung noch die Staatsanwaltschaft haben das Urteil akzeptiert.
Was für politische Folgen wird das Urteil haben und wie schätzt ihr es politisch ein?
Der Prozess gegen Musaab ist das perfekte Beispiel einer politischen Verfolgung, die als Strafverfahren verschleiert wurde. Die Vorwürfe stehen in keinem Verhältnis zur Vorgehensweise und Aggressivität der Staatsanwaltschaft. Musaab ist wegen seines Aktivismus schon lange im Visier der staatlichen Repression. Diese ist durch willkürliche Festnahmen, der Nutzung seines Aufenthaltsstatus um ihn einzuschüchtern, und weitere Eischränkungen und Bedrohungen, gekennzeichnet.
Aber nicht nur Musaab ist diesen Schikanen ausgesetzt, sondern auch unzählige andere Palästinenser:innen sind betroffen, vor allem wenn sie politisch akitv sind. Erst Anfang dieses Jahres wurde gegen eine Genoss:in ein Urteil von über zwei Jahren Haftstrafe ohne Bewährung verhängt, nachdem sie bereits drei Monate in Untersuchungshaft verbracht hatte. Gegen das Urteil wurde Berufung eingelegt, sodass es noch nicht rechtskräftig ist.
Doch die Repressionen machen mittlerweile nicht dort halt, wo Menschen beschuldigt werden, vermeintliche Straftaten begangen zu haben. Kürzlich, am 16.07.2025 wurden fünf Häuser von Genoss:innen gestürmt, wovon nur zwei Beschuldigte sind. Bei den drei Weiteren Betroffenen handelt es sich lediglich um „Zeug:innen“, bei denen Beweise sichergestellt werden sollen. Diese fanden im Rahmen der Ermittlungen rund um die Nakba77-Demonstration (15.05.2025 am U-Bahnhof Südstern) statt, wo ein Polizist vermeintlich verletzt wurde. Diese Hausdurchsuchungen passierten wenige Tage nach der Veröffentlichung des Video-Materials von Forensis, wo das Lügenkonstrukt des Staates und der Medien entlarvt wurde.
Wie wir in unserem Statement dazu veröffentlichten: „Die Razzien sollten nicht unerwartet sein. Sie sind ein klares Zeichen dafür, dass der Staatsapparat, nachdem dieser als Lügner entlarvt wurde, seine repressive Hysterie noch verstärkt – alles, um seine Mitschuld am Völkermord am palästinensischen Volk aufrechtzuerhalten.“
Der deutsche Staat zeigt alltäglich, aber vor allem in seinem Umgang mit Palästinenser:innen innerhalb unserer Bewegung, dass die westlichen Demokratien und ihre Kompliz:innen Heuchler:innen sind, denen es nicht um Rechte und Gerechtigkeit, sondern nur um Macht und die Durchsetzung ihrer Interessen in der Welt geht.
Wenn wir uns gegenseitig den Rücken stärken, uns nicht isolieren und einschüchtern lassen und unseren Überzeugungen treu bleiben, werden wir siegen – für ein freies Palästina, für die Freiheit Aller.