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Antifa heißt Maul halten

…gegen Aussagen bei Bullen, Staatsanwaltschaft und vor Gericht

Wir als Ortsgruppe besuchen und begleiten immer wieder Prozesse gegen Linke, um eine Gegenöffentlichkeit zu LVZ (Leipziger Volkszeitung) und anderen gesellschaftlich etablierten Medien der bürgerlichen Mitte zu schaffen, da diese oftmals die Einschätzung von Polizei und Gericht unkritisch wiedergeben und Vorgehen gegen Linke nicht in Frage stellen. Wir wollen Genoss*innen solidarisch bei Angriffen des Staates begleiten und unterstützen. Aus gegebenem Anlass möchten wir mit diesem Text nochmals auf das Verhalten vor Gericht, Aussageverweigerung und die Zusammenarbeit mit Repressionsorganen eingehen. Auch sollen die Folgen von gemachten Aussagen für sich selbst und andere Menschen aus Szene und Umfeld deutlich werden.

Wir beziehen uns inhaltlich auf einen Prozess im Mai 2017, der gegen einen Linken vor dem Amtsgericht Leipzig unter dem Vorwurf des vermeintlichen schweren Landfriedensbruches und versuchter gefährlicher Körperverletzung im Zusammenhang mit der Khaled-Sponti am 15.01.2015 geführt wurde.

Den oben erwähnten Prozess möchten wir mit diesem Text auswerten und die so entstehenden Gefahren für eine*n selbst und andere nochmal deutlich aufzeigen. Wir halten es für dringend notwendig, diese Fehler als solche zu erkennen und aus ihnen zu lernen.

Wir fordern, dass ein solches Verhalten vor Gericht nicht wieder vorkommt und sich Menschen nicht (auch unabsichtlich) zu Handlanger*innen des Staates und seiner Repressionsorgane machen. Zudem möchten wir aufzeigen, dass es kollektive Möglichkeiten gibt, den Angriffen des Staates durch eine konsequente, kämpferische Haltung auch vor Gericht zu begegnen.

Das Aktionsfeld Gerichtssaal

Generell ist die Situation vor Gericht eine schwierige für Genoss*innen. Der Raum, in welchem politisch agiert werden soll, ist absolut fremdbestimmt und der Druck, der auf Angeklagten lastet, ist hoch. Es geht schließlich für Betroffene um einiges, bis hin zum Verlust ihrer Freiheit und ihres „normalen“ Lebens draußen. Doch was haben wir im Gerichtssaal entgegenzusetzen, wenn wir mit dem kompletten Aufgebot der Repressionsorgane konfrontiert sind? Wie können wir dieses Terrain für uns und unsere Überzeugungen nutzen? Und wo werden wir oder machen wir uns zu Vollstreckungsgehilf*innen des Staates?

Die Antworten auf oben genannte Fragen können und müssen wir auch immer gemeinsam in kollektiven Prozessen finden, und nicht jede*r für sich alleine, denn bei den meisten Prozessen gegen linke Aktivist*innen geht es den Repressionsorganen nicht in erster Linie um die Aufklärung eines „Verbrechens“ wie z.B. eines Landfriedensbruchs. Geschieht dieser in Zusammenhang mit der Verhinderung eines Naziaufmarsches, ist es für die Behörden von großer Bedeutung, mehr über die Menschen zu erfahren, die gegen Nazis auf die Straße gehen und die vermeintliche Ruhe dieses Landes stören. Diese Prozesse sind als politischer Akt des Staates zu verstehen und auch als solcher konsequent zu beantworten.

Aussagen nützen nur den Repressionsorganen

Generell zeigt die Erfahrung eines immer wieder: Aussagen nützen nur dem Staat! Gerade, wenn es um Ermittlungen gegen linke Aktivist*innen geht, sind Repressionsorgane daran interessiert, mehr über euch, euer Umfeld, eure Treffpunkte und Aktionen zu erfahren. Es liegt im Interesse des Staates, jegliche linken Strukturen auszuleuchten und gegen sie vorzugehen: Das eingestellte § 129-Verfahren gegen 14 Beschuldigte aus Leipzig aus dem Jahr 2016 zeigt dies mehr als deutlich.

Wenn nun aber, wie in dem zu Beginn des Textes genannten Verfahren, eine Prozessstrategie vorsieht, einen Zeugen (in diesem Falle ein Freund des Beklagten) aufzurufen, welcher Namen von gemeinsamen Freund* innen und gemeinsame Treffpunkte und Aufenthaltsorte in Connewitz (Lazy Dog, König Heinz, Stö) nennt, dann spielt das nur Repressionsorganen in ihrem etwaigen weiteren Vorgehen gegen andere linke Aktivist*innen in die Hände. Es ließe sich nun argumentieren: „Das wissen die doch sowieso“ oder „ob es diese oder die Personen in Wirklichkeit gibt….“. Durch Aussagen vor einem Gericht werden Überwachungen und Ermittlungen jedoch einfacher umzusetzen und legitimierter, da es nun „gerichtsfeste“ Anhaltspunkte gibt. Auch, wenn es in diesem Kreis keinen „Jan“ (Anm. d. Red.: Häufiger Jungenname in den 90ern, dient nur der Verdeutlichung) geben mag. Irgendwo in der Szene wird es sicherlich einen Jan geben, der so in den Blickpunkt geraten kann. Repressionsorgane werden gemachte Aussagen so nutzen, wie sie in ihre Ermittlungen passen und für uns möglichst großen Schaden anrichten. Auf den „guten Willen“ von Richter*innen, Staatsanwaltschaft oder des Operativen Abwehrzentrums zu bauen, halten wir für fehl am Platz, naiv und gefährlich.

Sicherheit für sich selbst und andere

Als Aktivist*innen tragen wir nicht nur für uns selbst Verantwortung. Wir sind auch (bis zu einem bestimmten Punkt) für unsere Mitstreiter*innen verantwortlich. Ihre Sicherheit können wir nur dann gewähren, wenn wir sie vor Gericht und Polizei nicht ausliefern, Namen (auch irgendwelche – wie schon oben im Text gezeigt; eine*n Jan oder eine*n Alex findet man überall), Strukturen und Treffpunkte preisgeben. Der sich hier zeigenden Entsolidarisierung mit anderen können wir unsere Solidarität entgegenstellen. Die Geschichte der linken Bewegung hat dies immer wieder gezeigt: United we stand, divided we fall!

Wer sich also bewusst gegen andere stellt und Genoss*innen, bekannte und auch unbekannte Personen in Gefahr bringt, kann die Solidarität der Roten Hilfe nicht weiter erwarten, da auch diese klare Grenzen hat. Solidarität ist ein politisches Mittel im Kampf gegen die kapitalistische Klassenjustiz und geschieht nicht aus Mitleid, sondern politischem Bewusstsein.

Wir müssen uns endlich von dem Gedanken verabschieden, dass der Staat sich an seine eigenen Regeln der unabhängigen, objektiven Gerichtsbarkeit und ihrer unpolitischen Urteile hält. Beispiele wie der NSU-Komplex und der Fall Oury Jalloh zeigen uns dies mehr als deutlich. Anhand dieser Bespiele wird das hässliche und menschenverachtende Vorgehen des Staates und seiner Handlanger*innen exemplarisch und offensichtlich durchdekliniert, sodass es mehr als deutlich wird, dass ein Vertrauen in den Staat und in seine selbst gesetzten Regeln der Rechtsstaatlichkeit niemals richtig sein kann. Oben genannte Beispiele sind keine Ausnahmen, sondern lediglich die unübersehbaren Spitzen einer kapitalistischen-reaktionären Struktur, der wir als Linke unversöhnlich gegenüber stehen.

Tipps

Arbeitet mit solidarischen-politischen Anwält*innen zusammen
Wendet euch an eine Ortsgruppe der Rote Hilfe und lasst euch beraten
Aussagen nützen nur Polizei und Staat
Führt in euren Strukturen einen kollektiven Prozess, um o.g. Fragen zu beantworten, denn es geht wie immer bei politischer Repression nicht um eine*n selbst, sondern um die Kriminalisierung einer Idee, die wir alle haben und welche wir kollektiv verteidigen müssen
In diesem Sinne:

Schützt eure Freund*innen und Strukturen
Verdammt noch mal: Anna und Arthur und alle andern halten‘s Maul!
Zum weiterlesen: Broschüre „Aussageverweigerung“ der Roten Hilfe

Rote Hilfe OG Leipzig
Juli 2017