Beweisantrag zu V-Mann Asik

Am 22.11. 2023 stellte die Verteidigung einen ausführlichen Beweisantrag bezüglich des V-Manns (Spitzels) Murat Asik des Inlandsgeheimdienstes „Bundesamt für Verfassungsschutz“. Auf seine Tätigkeit stützt die Generalbundesanwaltschaft wesentliche Teile ihrer Anklage. Der Beweisantrag der Verteidigung belegt, dass dies verfassungs- und rechtswidrig ist.

Nachfolgend Auszüge aus dem Beweisantrag:

III-7 St 1/23

In dem Strafverfahren

./. Özgül Emre, Ihsan Cibelik und Serkan Küpeli

wird der Einführung und Verwertung der

Ziffer 24, Absätze 1-9 (von „Aus nachrichtendienstlichen…“ bis „…Deckname Mete“)

sowie

Ziffer 25

des „Verleseprogramms 2“ widersprochen.

Gründe:

Bei Ziffer 24 handelt es sich um das „Behördenzeugnis“ des Bundesamts für Verfassungsschutz vom 10.03.2022, bei Ziffer 25 um den Einleitungsvermerk des GBA im Ermittlungserfahren gegen Asik vom 17.10.2019.

Die Verlesung und Verwertung sind rechts- und verfassungswidrig. Die darin enthaltenen Informationen sind insbesondere rechtswidrig erlangt, die Übermittlung der erlangten Informationen verfassungswidrig. Im Übrigen verstößt eine Verlesung gegen den Grundsatz der Unmittelbarkeit.

Im Einzelnen:

Im Behördenzeugnis vom 10.03.2022 werden Informationen über angebliche Veranstaltungen der DHKP-C aus dem Jahr 2020 übermittelt. Ferner wird statiert, dass Herr Asik an der Sammlung von Spendengeldern beteiligt gewesen sei, und dieser den Decknamen „Mete“ getragen habe. Es wird Bezug genommen auf „nachrichtendienstliches Informationsaufkommen“ sowie auf nicht näher explizierte „Feststellungen“.

Im Einleitungsvermerk des GBA vom 19.10.2019 wird Bezug genommen auf Erkenntnisse aus der Sichtung und Auswertung von Datenträgern, die bei einer Durchsuchung des PKW des Herrn Asik gefunden wurden.

Sämtliche Erkenntnisse, die im Zusammenhang mit Herrn Asik stehen, durch diesen gewonnen wurden, durch diesen übermittelt wurden, oder aus bei diesem aufgefundenen Datenträgern resultieren, sind rechtsstaatswidrig erlangt, dürfen folglich nicht eingeführt und verwertet werden.

Ausweislich der Briefe von Herrn Asik an die Staatsanwaltschaft Ulm (vgl. Ziffer 26, 27, 28 des Verleseprogramms 2) gibt Herr Asik an, seit seiner Einreise, die auf den 20.09.2016 zu datieren ist (vgl. Haftbefehl vom 15.05.2018), im Dienst des Bundesamts für Verfassungsschutz gestanden zu haben. Dieses sei bereits bei seiner Einreise behilflich gewesen. Auch teilt er mit (vgl. Ziffer 30 und 31 des Verleseprogramms 2), dass wenigstens von Seiten des Bundesamts für Verfassungsschutz diese Tätigkeit als nicht beendet galt, und dies in jedem Fall bis zum Ende des hier in Rede stehenden Tatzeitraums.

In diesem Zusammenhang wird beantragt, ….

den Vermerk der StAin .. zu verlesen,

das Schreiben von OStA … zu verlesen,

Herrn leitenden Oberstaatsanwalt …, sowie Frau StAin …, zu laden über die StA Ulm, als Zeugen zu vernehmen.

Herr OStA … gab in seinem Schreiben vom 21.06.2018 an Herrn Asik an, dass ihm „die Hintergründe, warum Sie sich an mich wenden, … natürlich bekannt“ sind. Herr Asik wiederum schreibt in seinem Brief vom 05.06.2018 an Herrn OStA …: „Ich dürfte für Sie bekannt sein, deshalb habe ich mich an Sie persönlich wenden wollen. Ich habe auch eine Zensur von StA Ulm bekommen, daher konnte ich weder Sie, noch meine starken Partner anrufen. Sie müssten wissen, dass eine Fluchtgefahr nicht besteht, weil Sie auch vorher schon wussten, dass ich mich in der BRD befinde. Ebenfalls wussten „meine Freunde“ auch von den angeblichen Straftaten, dafür ich jetzt einen Haftbefehl bekommen habe.“

Hieraus ergibt sich: Herr Asik gibt in seinem Brief an Herrn OStA … zu verstehen, dass er „starke Freunde“ habe, und Herr Asik für Herrn OStA … „bekannt“ ist. In seiner Rückmeldung stellt Herr OStA Lehr dies nicht in Frage, sondern bestätigt vielmehr, dass die „Hintergründe“ ihm natürlich bekannt sind.

Im „Vermerk: Telefonate mit dem Beschuldigten Murat Asik im Juli und August 2018“ von Staatsanwältin … vom 15.09.2018 schildert diese, dass Herr Asik „regelmäßig“ und zum Teil „mehrmals täglich“ anruft, und auch andeutet, „Mitarbeiter für den Verfassungsschutz“ zu sein. Wörtlich heißt es: „Er spricht hierbei jedoch nicht konkret vom Verfassungsschutz, sondern spricht nur davon, dass „die“ bzw. „sie“ ihm geholfen hätten einzureisen. Aus dieser Angabe zieht Frau … also offenkundig den Schluss, dass Herr Asik für den Verfassungsschutz tätig ist. … Sie werden weiterhin bekunden, dass ihnen insofern auch bekannt war, wenigstens im Laufe der Ermittlungen des Verfahrens 23 Js 26040/17 bekannt wurde, dass die im Ermittlungsverfahren 23 Js 26040/17 sichergestellten Datenträger von einem V-Mann herrühren. Sie werden weiterhin bekunden, dass sie die Schreiben des Herrn Asik zur Akte des Ermittlungsverfahrens 23 Js 26040/17 nahmen und dieses vollständig, samt der Hinweise auf die Tätigkeit des Herrn Asik als V Mann der Bundesanwaltschaft übersandten. …

Hieraus ergibt sich:

Sämtliche Erkenntnisse, die durch oder von Herrn Asik gewonnen wurden, sind rechtsstaatswidrig erlangt.

In seiner Entscheidung vom 28. September 2022 – 1 BvR 2354/13 – stellte das BVerfG klar:

„Die weitreichenden Überwachungsbefugnisse der Verfassungsschutzbehörden können verfassungsrechtlich aber nur gerechtfertigt werden, wenn die aus der Überwachung gewonnenen Informationen nicht ohne Weiteres an andere Behörden mit operativen Anschlussbefugnissen übermittelt werden dürfen („informationelles Trennungsprinzip“; vgl. BVerfGE 133, 277 <329 Rn. 123>; 156, 11 <50 Rn. 101, 51 f. Rn. 105>). Ansonsten böte der Umstand, dass die Verfassungsschutzbehörde selbst nicht über operative Anschlussbefugnisse verfügt, den Überwachten am Ende doch kaum Schutz: Die der Verfassungsschutzbehörde verschlossenen eingriffsintensiven Folgemaßnahmen könnten dann von operativ ausgestatteten Behörden durchgeführt werden, die dabei die durch die Verfassungsschutzbehörde erlangten Informationen weiternutzten, ohne dass die für sie selbst als operative Behörden geltenden Datenerhebungsvoraussetzungen erfüllt sein müssten. Auf Seiten der empfangenden Behörde würden so die grundrechtsschützenden Eingriffsschwellen der Befugnisse operativer Behörden umgangen; zugleich verlöre auf Seiten der Verfassungsschutzbehörden der Umstand, dass diese ohne operative Anschlussbefugnisse sind, seinen schützenden Effekt. Um beides zu verhindern, sind hinreichende Übermittlungsvoraussetzungen verfassungsrechtlich unerlässlich (vgl. BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 26. April 2022 – 1 BvR 1619/17 -, Rn. 171 f.).“

Sowie:

„Insoweit hilft es auch nicht, dass § 23 Nr. 1 BVerfSchG ein allgemeines Verbot unverhältnismäßiger Übermittlungen enthält. Danach muss die Übermittlung von Informationen unterbleiben, wenn erkennbar ist, dass unter Berücksichtigung der Art der Informationen und ihrer Erhebung die schutzwürdigen Interessen des Betroffenen das Interesse der Allgemeinheit oder des Empfängers an der Übermittlung überwiegen. Dieser Pauschalvorbehalt strukturiert den Abwägungsprozess trotz der inzwischen erfolgten verfassungsgerichtlichen Konkretisierung der Anforderungen jedenfalls wegen der in § 20 Abs. 1 Satz 1 BVerfSchG normierten Pflicht zur Übermittlung nicht in einer Weise, dass eine Beschränkung der Übermittlung auf Fälle gesichert wäre, in denen die notwendigen Voraussetzungen vorliegen, die Übermittlung also insbesondere dem Schutz eines Rechtsguts von herausragendem öffentlichem Interesse dient (vgl. BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 26. April 2022 – 1 BvR 1619/17 -, Rn. 367).“

In conclusio hat das BVerfG entschieden:

„§ 20 Absatz 1 Satz 1 und 2 und § 21 Absatz 1 Satz 1 in Verbindung mit § 20 Absatz 1 Satz 1 und 2 des Gesetzes über die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes und über das Bundesamt für Verfassungsschutz (Bundesverfassungsschutzgesetz) in der Fassung vom 20. Dezember 1990 (Bundesgesetzblatt I Seite 2954, 2970) sind mit Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 1 Absatz 1 des Grundgesetzes nicht vereinbar, soweit sie zur Übermittlung personenbezogener Daten verpflichten, die mit nachrichtendienstlichen Mitteln erhoben wurden.“

Das BVerfG hat den Gesetzgeber zu einer Neuregelung verpflichtet, die bislang nicht jedoch nicht erfolgt ist.

Es hat weiterhin entschieden:

„Bis zu einer Neuregelung, längstens jedoch bis zum 31. Dezember 2023, gelten die für mit dem Grundgesetz unvereinbar erklärten Vorschriften mit der Maßgabe fort, dass eine Übermittlung von mit nachrichtendienstlichen Mitteln erhobenen personenbezogenen Daten nur zum Schutz eines Rechtsguts von herausragendem öffentlichem Interesse zulässig ist; dem entspricht eine Begrenzung auf besonders schwere Straftaten. Außerdem müssen die nach Maßgabe der Gründe an die jeweilige Übermittlungsschwelle zu stellenden Anforderungen erfüllt sein.“

Diese Grundsätze sind nicht erfüllt. In jedem Fall kann der erkennende Senat nicht prüfen, ob diese erfüllt sind und muss daher, um den Anforderungen des BVerfG und dem Anspruch an ein faires Verfahren gerecht zu werden, im Wege der Amtsaufklärung diese Voraussetzungen prüfen.

Die Verteidigung geht davon aus, dass die Voraussetzungen nicht erfüllt sind, bzw. diese sogar wissentlich nicht berücksichtigt wurden.

Aus den vorhandenen Aktenauszügen ergibt sich nämlich, dass

1.

Die Staatsanwaltschaft Ulm bereits im Jahr 2018 davon ausging, wenigstens ausgehen musste, dass Herr Asik für den Verfassungsschutz tätig ist,

2.

Die Bundesanwaltschaft allerdings erst am 19.11.2021 eine Anfrage an das Bundesamt für Verfassungsschutz richtete, um von dort aus die „Mitteilung der dortigen Erkenntnisse bezüglich Murat Asik“ zu erhalten (vgl. Vermerk GBA vom 10.05.2023). Dem sei eine – der Akte nicht beigefügte – Mitteilung der StA Ulm zugrunde gelegen, wonach Herr Asik Briefe an die StA Ulm im Jahr 2018 geschrieben hatte (vgl. S. 2 des Vermerks des GBA vom 10.05.2023)

3.

Im März 2022 ein Behördenzeugnis des BfV übersandt wurde, dass schließlich erstmalig am 10.05.2023 zu den hiesigen Akten übersandt wurde.

Hieraus ergibt sich:

Aus dem Vermerk des GBA vom 17.10.2019 und dem Auswertebericht der KHKin Seifner vom 14.06.2019 (vgl. SAC 039, Bl. 22 ff.), auf dem der Vermerk vom 17.10.2019 – sowie insofern auch der vom 01.12.2020 (vgl. SAC 039) – beruht, ergibt sich, dass die Akten der StA Ulm aus dem Verfahren 23 Js 26040/17 dem GBA und dem BKA vorlagen. Hieraus ergibt sich auch, Aktenvollständigkeit unterstellt, dass die Briefe des Herrn Asik sowie der Vermerk von Frau StAin … und Herrn OStA … dem GBA und damit dem BKA vorlagen.

Dies aber wiederum heißt:

Zum Zeitpunkt der Auswertung der Asservate, die im KfZ des Herrn Asik sichergestellt wurden, musste die Bundesanwaltschaft und das BKA davon ausgehen, dass Herr Asik als V -Mann für den Verfassungsschutz tätig war, da dieser dies gegenüber der StA Ulm angegeben hatte, und diese das nicht zurückwiesen, sondern ebenso davon ausgingen und die Bundesanwaltschaft darüber informierten. Mindestens musste die Bundesanwaltschaft davon ausgehen, dass zureichende Anhaltspunkte dafür vorlagen, dass es sich bei Herrn Asik um einen V-Mann handelte.

Dennoch holte die Bundesanwaltschaft zum Zeitpunkt der Auswertung keine Auskunft des BfV darüber ein, bzw. ging den tatsächlichen Anhaltspunkten dafür, dass eine Tätigkeit als V-Mann von Herrn Asik in Rede stand, nicht nach. Dies erfolgte erst nach Auswertung und Dokumentation der aus den Asservaten gewonnenen Erkenntnisse mit Anfrage vom 19. November 2021.

Hieraus ergibt sich:

Es gab unwiderlegte Anhaltspunkte dafür, dass Asservate ausgewertet werden, die einer Person zugerechnet werden, die als V-Mann tätig war. Nichtsdestotrotz wurden diese ausgewertet und in den Ermittlungen verwertet, als würden diese einer x-beliebigen Privatperson zuzurechnen sein, und ohne Prüfung bzw. Feststellung dessen, ob die erforderlichen Voraussetzungen für eine Informationsübermittlung an die Strafverfolgungsbehörden zulässig sind.

Bereits dies stellt eine bewusste Umgehung der für die Übermittlung und Verwendung der aus Quellen des Verfassungsschutzes stammenden Informationen dar.

Spätestens jedoch, wenn diese in einem gerichtlichen Verfahren eingeführt und verwertet werden sollen, bedarf es nicht nur der präzisen Überprüfung, ob die gewonnenen Erkenntnisse aus Überwachungsmaßnahmen des Verfassungsschutzes stammen, sondern vor allem ist festzustellen:

Nach derzeitiger Gesetzeslage sind Erkenntnisse von V-Männern nur in äußerst begrenztem Rahmen an Strafverfolgungsbehörden überhaupt übermittelbar. Die Voraussetzungen hierfür liegen derzeit nicht vor. In jedem Fall kann der Senat anhand der bislang vorliegenden Aktenteile nicht ansatzweise feststellen, ob die vom BVerfG aufgestellten Voraussetzungen für eine Verwendung überhaupt vorliegen.

Die Verteidigung muss und kann anhand der vorliegenden Aktenauszüge davon ausgehen, dass ein „herausragendes öffentliches Interesse“ nicht gegeben ist, und zudem eine Prüfung dieser Voraussetzung nicht ansatzweise stattfand. Die Einführung der entgegen geltenden Rechts gewonnenen Erkenntnisse ist verfassungswidrig.

Hilfsweise wird beantragt,

sämtliche Akten betreffend das Ermittlungsverfahren Asik beizuziehen.

Aus diesen wird sich ergeben, dass die Bundesanwaltschaft trotz Anhaltspunkten diesbezüglich, dass es sich bei Herrn Asik um einen V-Mann handelte, die durch ihn und die Durchsuchung seiner Sachen gewonnenen Beweismittel schlicht auswertete, und gerade keine Prüfung dessen vornahm, ob die Voraussetzungen hierfür vorlagen und dies auch nicht nachholte, nachdem das BVerfG seine Entscheidung vom 28.09.2022 verkündete.