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Brief eines Gefangenen der Operation Ardire

Anfang Juni wurden in Italien über 40 Wohnungen durchsucht, da gegen 24 Personen ermittelt wird, unter anderem wegen der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung. Wir veröffentlichen hier einen Brief von Stefano Fosco, einem der Gefangenen, den wir auf linksunten.indymedia.org gefunden haben:

Ein Bandit im Käfig

Danke für die warme Unterstützung der Genoss_innen von Cassa Antirepressione delle Alpi Occidentali (Antirepressions- Solidaritäts- Fonds westlich der Alpen). Am 13. Juni bin ich in Pisa mit meiner Genossin Elisa im Rahmen, der vom Gericht in Perugia angeordneten „Operation Ardire“, verhaftet worden. Die Carabinieri ROS brachen unsere Tür auf und brachten mich zur Polizeikaserne, wo ich identifiziert, einer DNA-Probe und fiesen Provokationen ausgesetzt wurde. Später wurde ich ins Don Bosco Gefängnis in Pisa gebracht. Am 16. Juni wurde ich vom Vor-Untersuchungsrichter ausgefragt, aber – selbstverständlich- machte ich von meinem Aussageverweigerungsrecht gebrauch. Den nächsten legalen Schritt macht das Untersuchungsgericht.

Aus Gründen, die ich noch erklären werde, war ich nicht in der Lage auf irgendeinen Informationskanal zuzugreifen, dementsprechend habe ich nur eine grobe Vorstellung, von dem, was passiert ist. Zum Beispiel weiß ich nichts über die Leute, die unter Beobachtung stehen, neben den 10 von uns, die festgenommen wurden, noch weiß ich etwas über das Resultat der 40 Durchsuchungen.

Die Anordnung meiner Untersuchungshaft ist mehr als 200 Seiten lang und beinhaltet ziemlich schwere Anschuldigungen: Ich werde angeklagt als führender Kopf eine endlose Liste direkter Aktionen geplant und mit durchgeführt zu haben, sowie für das Koordinieren und Aufrufen von Solidaritätskampagnen für anarchistische Gefangene auf der ganzen Welt, verantwortlich zu sein. Wie auch immer, wie bedenklich die Anklagen gegen mich sind, werde ich nach sorgfältiger Überprüfung meiner Akte herausfinden.

Ich kann davon ausgehen, dass das Schema der Ermittler dasselbe sein wird, wie das der vielen aussichtslosen Behauptungen der 1970er und 1980er Jahre. Der wichtigste Unterschied ist, dass dieses Mal der anarchistische Blog „Culmine“ im Fokus der Ermittlung steht. An diesem Punkt ist zu sagen, dass die vermeintliche Freiheit des Gebrauchens sogenannter Gegeninformation über das Internet, einer Reflexion in der anarchistischen Bewegung bedarf.

Wie ich nach Artikel 270bis und 280 angeklagt werde, bin ich dem A.S. Regime zugewiesen, welches besagt, dass ich meine Untersuchungshaft unter erhöhter Überwachung absitzen muss. Aber der Knast in Pisa, indem ich festgehalten werde, hat keine A.S. Abteilung, also kann ich hier nicht mit anderen Gefangenen kommunizieren und gehe alleine in den Hof, ich befinde mich in einer Art Isolation, die als solche nicht deklariert ist.

Es ist sehr wahrscheinlich, dass ich noch in ein Gefängnis mit A.S. Abteilung verlegt werde.

Die vielen Genoss_innen, die mich schon lange kennen, wissen dass es sehr, sehr wichtig für mich ist mit anderen Anarchist_innen zu kommunizieren.
Wenn du in den letzten Tagen noch nichts von mir gehört hast, nicht mal ein „Hallo“, ist es weil ich davon abgehalten werde.

Tatsächlich ist, seit meiner Verhaftung bis zum 22. Juni, der Tag an dem ich über die Zensur meiner Briefe benachrichtigt wurde, nichts, wirklich gar nichts von den Genoss_innen bei mir angekommen, obwohl viele Soli- Telegramme, Karten und Briefe zu mir geschickt wurden. Inzwischen habe ich 13 Briefe geschrieben, da ich einige Adressen auswendig weiß, aber ich habe keine Ahnung, ob die Briefe jemals die Adressaten erreicht haben. In den 10 Tagen der Haft, bin ich der totalen Zensur meiner Briefe unterworfen, welches sowohl das Verschicken, als auch das Empfangen von Briefen betrifft. Ich weiß nicht bis zu welchem Punkt diese Behandlung legal ist und ich als Anarchist, bin nicht interessiert daran es herauszufinden. Ich möchte den Menschen bloß das negative Spiel gegen eines Anarchisten aufzeigen: eingesperrt und verschwunden durch den Italienischen Staat, 10 Tage lang, keine Chance auf den Erhalt solidarischer Post. Keine Schikanierung, natürlich nicht, es ist nur eine Bestätigung, was gegen uns Anarchist_innen vorbereitet ist.

An dem gleichen Tag unserer Verhaftung , intervenierte das Innenministerium, folglich nach dem gleichen Prinzip, wie bei den Genoss_innen im Fall der „Caso Bombas“, den griechischen Genoss_innen von CCF und den verhafteten Genoss_innen in Bolivien. Auch die internationale Repression gegen Anarchist_innen bedarf einer Reflexion.

Wo wir gerade bei Zensur der Post waren, ist es mir nicht erlaubt meine Genossin und Partnerin Elisa, die gerade im Frauenknast von Pisa eingesperrt ist, zu sehen oder ihr zu schreiben.
Bis zu diesem Tag, aus unbekannten Gründen, wurde es mir nicht ermöglicht mit meinen Mitangeklagten, von denen ich auch ihre Adressen nicht habe, in Kontakt zu treten.

Ich lasse euch wissen, dass ich gleich nach der richterlichen Prüfung, eine technische Verteidigung vorbereiten werde, um jeden einzelnen Punkt, alle diese Lügen, die in diesen Tagen verbreitet wurden, zu demontieren. Die anarchistischen Genosse_innen, die mich schon lange kennen, wissen dass ich nicht so unvorbereitet bin, wie die Ermittler es glauben lassen möchten. Das ist das fünfte Mal, dass ich nach Artikel 270bis angeklagt werde. Bei anderen Ereignissen wurde ich für ähnlich konspirative Lasten freigesprochen oder Anklagen wurden bereits vor dem Prozess, durch die Gerichte von Genua, Lecce, Turin und Florence, fallen gelassen.

Da ich, als Individualist, schon immer fasziniert von der anarchistichen Praxis des Anti- Legalismus gewesen bin, ist es kein Zufall, dass Anklagen wegen Missachtung des Gerichts gegen mich erhoben wurden. Aber ich denke, dass diese Praxis einige Grenzen hat, insbesondere wenn du mit Anklagen voller Lügen, Manipulation und eklatanten Übersetzungsfehlern konfrontiert bist.

Bei meiner technischen Verteidigung – bitte beachtet, dass ich keine Fragen der Justiz akzeptieren werde – brauche ich die Unterstützung von der anarchistischen Bewegung, nicht nur der aus Italien. In anderen Worten, muss ich die Geschichte der anarchistischen Aktionen der letzten Jahrzehnte durch Dokumente, Kommuniqués, Artikel und historischen Büchern, rekonstruieren. Von Zeit zu Zeit lass ich euch wissen, was ich für Material brauche.

Natürlich hoffe ich, dass einige ‚peniblen‘ Genoss_innen die gesamte Datenbank von Culmine gespeichert haben, mit besonderen Augenmerk auf die Chronologie der veröffentlichten Beiträge. Je mehr Kopien gespeichert werden, desto besser. (Aufpassen: Wenn ihr auf Culmine surft, vermeidet lautstarke Kommentare, ihr könntet sonst unmittelbar verhaftet werden.)

Wir Anarchist_innen wissen alle, dass wir früher oder später am Tresen landen werden, aber was uns, in Anbetracht dessen, wirklich trifft, ist der scharfe Angriff auf zwei liebe Freunde und Genossen: Marco und Gabriel, welche gerade in Begriff waren, einen Wendepunkt in ihrer langen Haftzeit, durch eine Reihe von Begründungen, zu erreichen. Insbesondere tun die Anschuldigungen gegen Marco weh und meiner Meinung nach, ist es dringend notwendig, dass die anarchistische Bewegung sich überlegt, wie eine effektive Unterstützung für ihn aussehen kann.

Ich weiß nicht, ob mir alle Briefe zugestellt werden.

Ich werde alle Briefe und Karten beantworten, die mich erreichen. Aufgrund der Zensur, schlage ich vor, dass ihr mir Material auf italienisch getrennt von anderen Sprachen (Spanisch/Englisch) zuschickt.

Eine dicke Umarmung an all die Genoss_innen, die uns ihre Solidarität ausdrücken, wie die der Spontandemonstrationen in Trento, Perugia und der Poster von den Genoss_innen aus Pisa.

Eine Umarmung voller cariño an Tortuga!

Rebellische Grüße von dem Banditen im Käfig!           24.6.2012

Stefano Gabriele Fosco
C.C. Pisa
Via Don Bosco 43
56127 Pisa, Italy

Infos: actforfree.nostate.net (englisch), informa-azione.info (italienisch)