Fünf junge BerlinerInnen haben in einem Briefaustausch mit Gefangenen in verschiedenen Ländern das tägliche Leben hinter Gittern dokumentiert – nun sind die Gedichte, Comics und Bilder der Inhaftierten in einem Magazin und im Netz zu sehen
Eine zusammengekauerte Figur, ganz in Schwarz und Grau. Die Arme um die Beine geschlungen, den Kopf auf den Knien, hockt sie da – mit Stacheldraht umwickelt. Auf der gegenüberliegenden Seite des Magazins die Figur einer jungen Frau, nackt, aufrecht, die Arme nach oben, die Brust nach vorne gestreckt – lebendig, lustvoll, in kräftigen Farben gemalt. Es sind die Zeichnungen zweier Gefangener, Alaitz und Ainhoa heißen sie. In welchem Knast sie sitzen, weiß der Betrachter nicht. Aber ihre Bilder erzählen vom realen Empfinden im Gefängnis, und sie erzählen von ihrer Sehnsucht nach draußen.
Zeichnungen wie diese sind es, die das Berliner „Knastbroschüren-Kollektiv“ auf seinem Blog und nun auch in dem Magazin „Mit solidarischen Grüßen aus dem Knast“ veröffentlicht. Die Gruppe hat Beiträge von Häftlingen aus aller Welt gesammelt – darunter Gedichte, Comics, Zeichnungen, auch ein Interview mit einem Abschiebehäftling. Menschen in Frankreich, Italien, Deutschland, Polen, Australien und weiteren Ländern sind beteiligt, die Beiträge der Häftlinge im Alter von 20 bis 60 Jahren liegen jeweils originalsprachlich und auf Deutsch vor.
Das Blog hat die knastkritische Gruppe bereits im April 2011 ins Leben gerufen. Philipp (27) und seine Mitstreiterin Sarah (25) waren selbst bereits kurzzeitig inhaftiert. Warum, möchten sie lieber unerwähnt lassen, auch ihre Nachnamen möchten sie nicht in der Zeitung lesen. Für sie war diese Erfahrung jedoch ein Anlass, das Kollektiv ins Leben zu rufen. Am stärksten habe er im Knast den Bewegungsmangel wahrgenommen, sagt Philipp – und die Sehnsucht danach, einen anderen Blick nach draußen zu bekommen als den durch das kleine Fensterloch. „Mich hat auch geprägt“, sagt Sarah, „dass Freunde wegen Lappalien wie kleinen Betäubungsmitteldelikten im Knast waren.“
Das Knastbroschüren-Kollektiv, dessen Projekt durch das „Jugend in Aktion“-Programm der EU finanziert wurde, rekrutiert sich aus Sarahs und Philipps Freundeskreis. Länger schon sei man gemeinsam politisch aktiv und habe auch immer wieder erlebt, dass nach Demos Leute verhaftet wurden. „Deshalb gab es im direkten Umfeld die Erfahrung, dass jemand plötzlich weg ist und man überhaupt nichts mehr hört“, erzählt Sarah. So war der Weg zu Blog und Heft nicht weit: Gemeinsam schickte die Gruppe Aufrufe an Gefängnisse und nahm Briefkontakt zu Inhaftierten auf.
Sarah und Philipp, beide derzeit Hartz-IV-Empfänger, engagieren sich in der politischen Bildung und leben in linken Wohnprojekten. Dennoch war ihnen wichtig, dass im Knastmagazin nicht nur politische Häftlinge zu Wort kommen. „Die sind meistens noch am besten vernetzt und leiden am wenigsten kommunikative Not“, weiß Sarah. Zwar schreiben auch eine ETA-Aktivistin oder ein Insasse, der sich den Türkischen Revolutionäre zurechnet, aber vor allem setzen sich die Gefangenen in ihren Beiträgen mit dem System des Wegsperrens und dem Knastalltag auseinander.
Der Antrag eines Häftlings an die Gefängnisleitung ist abgedruckt – es geht um die Erlaubnis zum Toilettengang während der Besuchszeiten. Von sadistischen Anstaltsärzten wird berichtet, die Überweisungen und Rezepte verweigern. Willkürliche Anweisungen werden geschildert, etwa die, nicht duschen oder die Zähne putzen zu dürfen, werden geschildert, auch die hygienischen Zustände in den Zellen. Und natürlich geht der Blick der Gefangenen immer wieder durch das kleine Fenster nach draußen.
Meist sind es verzweifelte Zeilen, manchmal aber auch lustige kleine Comics, in denen die Gefangenen ihr Elend verarbeiten. Von politischen Zitaten („Der Kampf geht weiter“) über Essays zur Praxis des deutschen Strafvollzugs bis hin zu gebetsartigen Textformen ist alles dabei.
Fast alles wurde dem Knastbroschüren-Kollektiv per Post übermittelt. „Es gibt ja in der Kommunikation mit den Häftlingen nur Briefe“, sagt Philipp. „Handys, Internet, das fällt alles weg.“ Auch gibt es Besonderheiten bei der Kommunikation mit Gefangenen: Die seien „natürlich nicht frei im Schreiben“, sagt Philipp. „Sie müssen davon ausgehen, dass mitgelesen wird.“
Es gibt verschiedene Praktiken der Briefeschreiber inner- und außerhalb der Knastmauern, um den eigenen Briefwechsel zu kontrollieren. Viele nennen immer das Datum des letzten empfangenen Briefes. Dann beginnt das Schreiben etwa so: „Ich antworte Dir auf Deinen Brief vom 23. Juni 2012, den ich am 26. Juni 2012 erhalten habe.“ Manche nummerieren die Briefe fortlaufend, um zu überprüfen, ob auch alle Briefe die Anstaltsmauern tatsächlich passieren.
Besucht haben Philipp und Sara noch keinen ihrer Schreiber: Sie trauen sich nicht, sagen sie, deren kostbare Besuchszeit – in Berlin in der Regel eine Stunde pro Monat – anzutasten. Andererseits: „Bei vielen Langzeitgefangenen sind die Kontakte so weggebrochen, dass nicht mal die eine Stunde genutzt wird“, sagt Philipp.
Gegen ein verklärtes Bild
Ein besonderes Anliegen des Kollektivs ist laut Sarah, dass das Heft auch an nichtlinken Orten lande. „Wir wollen auch Leute erreichen, die ein verklärtes Bild vom Knast haben“, erklärt sie. „Es gibt einfach eine Menge Bürger, die denken, denen da drinnen gehe es viel zu gut.“
Warum die Gefangenen sitzen, hat bei der Kontaktaufnahme keine Rolle gespielt. Primär sollte es ihnen Mut machen: „Uns ist wichtig, dass die Leute trotz allem, was sie getan haben, gehört werden“, sagt Sarah. Da scheint die Gruppe auf einem guten Weg: Die erste Auflage der 1.000 kostenlosen Exemplare wurde bereits unters Volk gebracht, derzeit wird nachgedruckt. Der Blog der Gruppe wird ständig aktualisiert. Auch dort wird das Kollektiv weiter erzählen – von zusammengesunkenen Menschen und vom verzweifelten Kampf um ein wenig Abwechslung.
knastbroschuere.blogsport.de Weitere Zusendungen sind erwünscht – an Knastbroschüre, c/o KuBiZ, Bernkasteler Straße 78, 13088 Berlin
„Viele denken, denen da drinnen gehe es viel zu gut“
SARAH, KNASTBROSCHÜREN-KOLLEKTIV