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Die Weltherrschaft der Spitzel – ein transnationales Unternehmen

Zum Umfang staatlicher Überwachung weltweit, politischen Zusammenhängen und  Hintergründen.

Im Juni 2013 gelangten geheime Unterlagen, die der NSA-Mitarbeiter Snowden auf seiner Flucht mitgenommen hatte, an die Öffentlichkeit. Aus diesen geht hervor, dass der britische Abhördienst GCHQ seit Jahren das transnationale See-Glasfaserkabel TAT-14 (Trans Atlantic Telephone Cable No 14)›abschöpft‹, also den kompletten Datenverkehr für geheimdienstliche Zwecke ausforscht

»Die meisten Internetverbindungen zwischen Deutschland und Amerika laufen dort durch mehrere Glasfaserleitungen; auch Frankreich, die Niederlande, Dänemark und Großbritannien sind durch TAT-14 miteinander verbunden. Etwa 50 internationale Telekommunikationsfirmen, darunter die Deutsche Telekom, betreiben ein eigenes Konsortium für dieses Kabel. Manchmal fließen pro Sekunde Hunderte Gigabyte an Daten durch die Leitungen. Es ist ein gigantischer Datenrausch: Millionen Telefonate und E-Mails schießen durch das Netz. Auch deshalb hat der deutsche Verfassungsschutz stets nachgeschaut, ob in Norden alles in Ordnung ist. Keine Sabotage. Keine Terroristen…«

Das berichtete die Süddeutsche Zeitung vom 25.6.2013. Von dieser Praxis will also der deutsche Geheimdienst nichts gewusst haben. Auch die Bundesregierung übt sich in Ahnungslosigkeit.

Ganz sicher kann man davon ausgehen, dass ein solch kontinuierlicher Zugriff unter dem Decknamen ›Tempora‹ keiner geheimen Kommandoaktion geschuldet ist, sondern nur in gegenseitigem Einverständnis erfolgen kann.

 

An dem See-Glasfasernetz TAT-14 sind über 50 Telekommunikationsfirmen beteiligt. Sie betreiben das TAT-14, sie warten es, sie sichern es gegen ungewollte Zugriffe, sie stellen gewollte Zugriffe her: »Rechtsgrundlage für die Aktion ›Tempora‹ ist ein sehr weit gefasstes Gesetz aus dem Jahr 2000. Danach kann die Kommunikation mit dem Ausland abgefangen und gespeichert werden. Die privaten Betreiber der Datenkabel, die beim Abhören mitmachen, sind zum Stillschweigen verpflichtet.« (SZ vom 25.6.2013)

Die Ahnungslosigkeit von Bundesregierung und Geheimdienst ist also Geschäftsgrundlage dieser transnationalen Vereinbarung, ihre Umsetzung – mit Billigung der jeweiligen nationalen Regierungen – ein Kinderspiel: Die großen transatlantischen Seeglaserfaserkabel haben Knotenpunkte, spätestens an Land (Seekabelendstelle). Dazu braucht man kein U-Boot. Dazu muss man auch keine Glasfaserkabel mit Froschmännern aufschlitzen. Alles, was man dafür braucht ist die Kooperationsbereitschaft der Unternehmen, die die Glasfaserkabel besitzen und unterhalten. Diese wiederum garantieren Stillschweigen, schon aus Eigennutz. Schließlich müssten sie ihren (Geschäfts-)Kunden andernfalls mitteilen, dass alles sicher ist, nur nicht ihre Kommunikation.

Das Jammern ›betroffener‹ Staaten ist also vorgetäuscht, denn diese totale Überwachung funktioniert nicht ohne Abstimmungen zwischen Telekommunikationskonzernen und Regierungen:

»EU könnte Spähangriffe wie Prism verbieten – wenn sie wollte. Im EU-Datenschutz war einst vorgesehen, europäische Daten nicht ans Ausland zu geben. Auf Druck der USA verschwand der Satz.« (zeit.de vom 25.6.2013)

 

Nur eine Woche später veröffentlichte der ehemalige NSA-Mitarbeiter Snowden weitere illegale Ausspähungen. Dieses Mal betraf es die Spitzelarbeit des US-Geheimdienstes NSA:

»Die Überwachung Deutschlands durch den US-Geheimdienst NSA ist offenbar umfangreicher als bislang angenommen. Geheime Dokumente der NSA offenbaren nach Informationen des Nachrichtenmagazins ›Spiegel‹, dass die NSA systematisch einen Großteil der Telefon- und Internetverbindungsdaten kontrolliert und speichert. Monatlich würden in der Bundesrepublik rund eine halbe Milliarde Kommunikationsverbindungen – Telefonate, Mails, SMS oder Chats – überwacht. Die dem ›Spiegel‹ vorliegenden Unterlagen bestätigten, ›dass die US-Geheimdienste mit Billigung des Weißen Hauses gezielt auch die Bundesregierung ausforschen, wohl bis hinauf zur Kanzlerin‹. … Die NSA sei in Deutschland so aktiv wie in keinem anderen Land der Europäischen Union. Aber auch die EU werde gezielt ausgespäht – so habe der US-Geheimdienst ihre diplomatische Vertretung in Washington sowie bei den Vereinten Nationen in New York mit Wanzen versehen und das interne Computernetzwerk infiltriert. Somit hätten die Amerikaner Besprechungen abhören und Dokumente sowie Mails auf den Computern lesen können. Dies werde aus einem Papier der NSA vom September 2010 deutlich, berichtet der ›Spiegel‹ unter Berufung auf geheime Dokumenten, die der frühere US-Geheimdienstmitarbeiter Edward Snowden mitgenommen habe.« (FR vom 30.6.2013)

Wieder sind alle gut abgestimmt empört: Die Regierung, die Opposition, die Medienöffentlichkeit. Man fordert wieder Aufklärung. Man ist wieder beleidigt. Man bespitzle doch keine Freunde, so der Chor der Entrüsteten. Man fühle sich als »Partner dritter Klasse«, auf einer Stufe mit dem Iran und Nordkorea. Man sehe das Vertrauen tief bis nachhaltig erschüttert und warnt vor einer Kernschmelze der Demokratie. Man redet von der »Weltherrschaft der Spitzel« (FR vom 28.6.2013).

Wieder begeben sich alle in das ›Tal der Ahnungslosen‹, wollen nichts davon gewusst, nichts davon gedeckt haben. Auch die Geheimdienste schließen sich dem Tross der Ahnungslosen an: Man habe von den systematischen Angriffen von befreundeten Staaten (USA, Großbritannien) nichts gewusst.

Nehmen wir einmal an, dass die Geheimdienste 13 Jahre von der Existenz des NSU nichts gewusst haben und Jahrzehnte nichts von den systematischen Ausspähungen britischer und US-amerikanischer Geheimdienste… Für diese systematische Ahnungslosigkeit muss man keine Milliarden Euro ausgeben!

Die Ineffizienz deutscher Geheimdienste mag ein haushälterisches Argument sein, um ihre Abschaffung zu fordern. Trotzdem ist genau dieses Argument einfach nur falsch.

Das bekannt Unbekannte – der gemeinsame Code für Regierungskriminalität

 Wie in zahlreichen Fällen zuvor, wissen Bundesregierung und Geheimdienst immer nur so viel, wie sie wissen wollen. Was nun als transatlantische Verstimmung verkauft wird, als Vertrauensverlust unter Freunden beklagt wird, ist eingeübt und wird immer wieder routiniert abgespielt:

»Es gibt bekanntes Bekanntes; es gibt Dinge, von denen wir wissen, dass wir sie wissen. Wir wissen auch, dass es bekannte Unbekannte gibt: Das heißt, wir wissen, es gibt Dinge, die wir nicht wissen. Aber es gibt auch unbekannte Unbekannte – Dinge also, von denen wir nicht wissen, dass wir sie nicht wissen.« (ehemaliger US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld)

 

Fakt ist, dass Bundesregierung und Geheimdienst umfassend in die ›Weltherrschaft der Spitzel‹ intergiert sind. Sie liefern, sie werden beliefert, sie tauschen aus, sie lassen zu, sie partizipieren, sie organisieren und outsourcen Rechtsbrücke und sie wissen selbstverständlich nichts von alledem, was sie als Teilhaber und Teilnehmer in geheimen Kommandostäben beschlossen haben.

»Massiv ausgebaut worden ist internationale Spionage-Kooperation nach den Anschlägen vom 11. September 2001. Dabei hüllen sich die westlichen Staaten sowohl über den Umfang als auch über die konkreten Foren der Zusammenarbeit bis heute in striktes Schweigen. Ansatzpunkte bietet ein Bericht, den der Schweizer Jurist Dick Marty als Sonderermittler der Parlamentarischen Versammlung des Europarats erstellt und im Jahr 2007 veröffentlicht hat. Anlass und Untersuchungsgegenstand war damals die Folterkooperation auch deutscher Stellen mit der CIA, bei der Terrorverdächtige regelmäßig verschleppt und brutal misshandelt wurden. Marty kam in seinem Bericht zu dem Schluss, die Grundlage für die Folter-Kooperation sei durch einen NATO-Beschluss vom 4. Oktober 2001 gelegt worden. Öffentlich ist bei der NATO zu erfahren, man habe sich an diesem Tag unter anderem darauf geeinigt, den Austausch von Geheimdienst-Erkenntnissen und die geheimdienstliche Kooperation auszuweiten – bilateral, aber auch im NATO-Rahmen. In Brüssel musste Marty sich allerdings bestätigen lassen, dass ein Teil des Beschlusses, der am 4. Oktober 2001 von sämtlichen NATO-Staaten – Deutschland inklusive – gefällt wurde, geheim bleibe. Das ist bis heute der Fall.« (Befreundete Dienste, german-foreign-policy vom 2.7.2013)

 Im Wissen um diese rechtswidrige transatlantische Zusammenarbeit wirft der ehemalige NSA-Agent Wayne Madsen der Bundeskanzlerin Merkel Heuchelei vor: »Deutschland soll den US-Geheimdienst seit Jahren heimlich mit Daten versorgen. Das behauptet ein ehemaliger NSA-Agent. Die Empörung deutscher Politiker über die USA sei daher pure Heuchelei. Eine Reihe europäischer Länder hat nach Angaben der britischen Zeitung ›The Guardian‹ regelmäßig aus digitaler Kommunikation gewonnene Daten an die US-Sicherheitsbehörde NSA weitergegeben. Auch Deutschland soll sich daran beteiligt haben. Das berichtet das Blatt unter Berufung auf Enthüllungen eines ehemaligen NSA-Mitarbeiters in dem Internet-Blog ›PrivacySurgeon.org‹. Bei dem Informanten handelt es sich um Wayne Madsen, Ex-Offizier der US Navy. Er hat von 1985 an für die NSA gearbeitet und dort in den folgenden zwölf Jahren mehrere hohe Positionen innegehabt. Neben Deutschland und Großbritannien sollen Madsen zufolge auch Dänemark, die Niederlande, Frankreich, Spanien und Italien entsprechende ›geheime Deals‹ mit Washington haben. Sie sollen sich verpflichtet haben, auf Aufforderung Daten aus der Internet- und Mobilfunkkommunikation an die NSA auszuhändigen. Madsen sagte, er habe diese Angaben nun publik gemacht, da europäische Regierungen in den vergangenen Wochen ›nur die halbe Wahrheit‹ über ihre Kooperation mit den US-Sicherheitsbehörden erzählt hätten, die Jahrzehnte – teilweise bis in die Zeit des Kalten Kriegs – zurückgehe. Alle sieben genannten Länder hätten Zugang zu einem transatlantischen Glasfaserkabel, das ihnen erlaube, große Datenmengen, darunter Informationen über Telefonate, E-Mails und die Nutzung von Webseiten abzuzapfen, sagte Madsen. (http://www.welt.de/politik/ausland/article117571925/Ehemaliger-NSA-Agent-wirft-Merkel-Heuchelei-vor.html)

Krieg ist Frieden

»Aktuelle Medienberichte bestätigen die Einbindung auch des deutschen  Inlandsgeheimdienstes in die Internetspionage-Kooperation mit den Vereinigten Staaten. Demnach verfügt nicht nur der Bundesnachrichtendienst (BND), sondern auch das für die Spionage im Inland zuständige Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) über eine spezielle NSA-Software namens XKeyscore, die umfassende Ausspäh-Maßnahmen erlaubt; die Rede ist von annähernder ›Totalüberwachung‹. Das BfV war bereits zuvor eng in die transatlantische Geheimdienstkooperation eingebunden. Die Behörde beteiligte sich mehrfach an Verhören deutscher oder in Deutschland ansässiger Opfer von CIA-Verschleppungen; Klagen von Gefangenen etwa in syrischer Haft über dort erlittene Folter wurden ignoriert. Verhöre eines deutschen Staatsbürgers durch einen BfV-Mitarbeiter in einem – für Folter berüchtigten – Gefängnis in Afghanistan sind zumindest für das Jahr 2010 noch belegt. Der frühere Schweizer Sonderermittler des Europarats Dick Marty bekräftigt seine Ansicht, die zur Zeit scharf kritisierte NSA-Internetspionage gehe – wie die CIA-Verschleppungspraktiken – auf die Ausrufung des NATO-Bündnisfalls am 4. Oktober 2001 zurück. Dass der Bündnisfall bis heute in Kraft ist, hat der Deutsche Bundestag zuletzt im Dezember 2012 bestätigt.« (Der NATO-Bündnisfall, http://www.german-foreign-policy.com vom 23.7.2013)

Die große Koalition der legal Illegalen

Wie im Fall der neonazistischen Mordserie wird hilflos und realitätsfremd nach ›lückenloser Aufklärung‹ gerufen. Ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss steht jetzt im Raum. Könnte die parlamentarische Opposition in Gestalt von SPD und Grünen tatsächlich auf Aufklärung bestehen?

In einigen Erklärungen der schwarz-gelben Regierung wurde die Drohung bereits zart angesprochen: Sollten SPD und Grüne tatsächlich der Empörung auf den Grund gehen, sollten sie tatsächlich darauf bestehen, herauszubekommen, was die gegenwärtige Bundesregierung tatsächlich weiß, würde diese auf das zurückgreifen, was bislang ebenfalls geheim gehalten wird: Die Tatsache, dass das kriminelle Geschäft mit dem »bekannt Unbekannten« keine Domäne der schwarz-gelben Regierung ist. Maßgebliche ›geheime Abkommen‹ zur Totalüberwachung wurden – besonders nach 9/11 – von der rot-grünen Bundesregierung zwischen 1998 und 2005 auf den Weg gebracht.

Der rot-grüne Hunger nach lückenloser Aufklärung wird also sehr schnell gestillt sein. Ganz sicher.

Als wollte ein führendes SPD-Mitglied diese aktive Selbstbeteiligung untermauern, meldete sich nun auch der ehemalige Bundesinnenminister Otto Schily (1998 bis 2005) zu Wort, ein Mann der während der rot-grünen Regierungsära wesentlich an der Demontage von Schutzrechten mitgewirkt und im Windschatten von 9/11 ein Anti-Terror-Pakt nach dem anderen abgeworfen hatte. Seiner Überzeugung nach trage die Furcht vor dem US-Spähprogramm Prism »teilweise wahnhafte Züge«: »Die größte Gefahr für die Menschen gehe nicht vom US-Geheimdienst sondern ›vom Terrorismus und von der Organisierten Kriminalität aus‹, sagte Schily… ›Ich finde manches Getöse, was da im Moment zu hören ist, nicht angemessen.‹ Zudem warnte er davor, mit der Diskussion Wahlkampf zu betreiben. Die großen Parteien hätten nach seiner Einschätzung ›bei diesem Thema kaum etwas zu gewinnen‹, sagte Schily.« (SZ vom 28.7.2013)

Interessant sind diese Ausführungen aus professioneller Hand in zweierlei Hinsicht: Zum einen die typische Haltung des Patienten ›Otto‹, der sofort den Psychiater für das unfreundliche ›Krankheitsbild‹ verantwortlich macht. Zum anderen will der Otto Schily als Ex-Innenminister und Whistle-Owner seine eigenen Parteikollegen dazu auffordern, in Sachen Totalausspähung unter Freunden den Ball flach zu halten. Aus Eigenschutz. Wenn er sagt, dass man mit diesem Thema nichts gewinnen kann, dann aus der Erfahrung heraus, dass jeder Ball, den man zu weit ins gegnerisches Feld drischt, garantiert im eigenen Tor landen wird. Das weiß der Ex-Superinnenminister nur zu gut: Unter seiner glänzenden Führung wurde nach 9/11 alles geregelt und vereinbart, sowohl auf Geheimdienst- als auch auf NATO-Ebene, was ›Prism‹ und andere rechtwidrige Aktionen den Weg ebnete – etwas, was gestern geheim war und morgen immer noch geheim bleiben wird – und das mit Zustimmung auch der Parteien, die im Augenblick die Rolle der Opposition mimen.

Diese unerwünscht-schräge Einmischung in den sozialdemokratischen Chor der Entrüsteten richtet sich sicherlich auch an den heutigen SPD-Bundeskanzlerkandidaten Peer Steinbrück, der der aktuellen Bundesregierung eine »verdeckte Außenpolitik« und ein »Prinzip der absichtsvollen Ahnungslosigkeit« vorwirft.

Zum Roundabout des Kanzlerkandidaten Steinbrück gehört auch Frank-Walter Steinmeier. In der Schröder-Fischer-Schily-Regierung von 1999 bis 2005 war er nichts weniger als Chef des Bundeskanzleramtes… und damit oberster Dienstherr des Bundesnachrichtendienstes/BND.

Das Prinzip der absichtsvollen Ahnungslosigkeit ist nicht nur schwarz-gelb.

 

Der ›militärisch-industrielle Komplex‹ (Ex-US-Präsident Dwight D. Eisenhower)

Dass die Totalüberwachung unter Umgehung nationaler Gesetzgebungen auch in Deutschland möglich gemacht wurde, belegen vertragliche Vereinbarungen zwischen deutschen Unternehmen und US-amerikanischen Behörden. Sie belegen zugleich, dass die rechtswidrige Totalüberwachung nicht nur eine Domäne der gegenwärtigen schwarz-gelben Regierung ist, sondern auch unter der rot-grünen Bundesregierung (1998 – 2005) üblich war.

Laut einem Vertrag zwischen der Deutsche Telekom/DT und dem FBI vom Anfang 2001 ist die DT in den USA verpflichtet, alle nationale Kommunikation über Rechenzentren in den USA zu lenken und eine elektronische Überwachung der Daten technisch zu ermöglichen. Dabei muss die DT alles technisch Mögliche leisten, um das Abgreifen der Daten für legale US Prozesse, für Anfragen des Präsidenten oder für die nationale Sicherheit zu ermöglichen. Unter dieses Zugriffsrecht fallen alle gespeicherten lokalen Kommunikationen, jede Art von kabelgebundener Kommunikation, Telefondaten, Kundendaten und Rechnungsdaten. Des Weiteren hat sich die Telekom dazu verpflichtet, die Daten nur in den USA zu lagern und so zu speichern, dass eine Löschung nach auswärtigen Gesetzen nicht möglich ist. Der Vertrag ist entstanden, um Sicherheitsbedenken vom amerikanischen Kongress zu zerstreuen, der die nationale Sicherheit gefährdet sah, sollte ein teil-staatliches deutsches Unternehmen sich um die amerikanische Kommunikation kümmern.

In der Antwort auf die schriftliche Frage vom Ströbele-Büro/Die Grünen am 08.07.2013 versteckt sich die Bundesregierung hinter ihrer Geheimhaltungspflicht, was die Auskunft zur Zusammenarbeit von Deutschen Unternehmen mit amerikanischen Diensten angeht. Aus dem vorliegenden Vertrag geht eindeutig hervor, dass zumindest in den USA die DT zuarbeitet.

In diesem Zusammenhang wäre es sehr interessant zu wissen, inwieweit auch auf deutschem Staatsgebiet eine Zusammenarbeit der Netzbetreiber mit amerikanischen Behörden/Unternehmen vorhanden ist. Denn die meisten Datenverbindungen in Deutschland laufen über Rechenzentren von Equinix, die in München und Frankfurt stehen – eine Zusammenarbeit mit deutschen Unternehmen ist bewiesen. Equinix wird von ehemaligen Geheimdienstlern geleitet und befindet sich in unmittelbarer Nähe zum Hauptquartier der NSA (32km). Gibt es womöglich auch hier Verträge, die ein Abhorchen der deutschen Verbindungen zum Zweck der amerikanischen nationalen Sicherheit ermöglichen?

Organisierte Straffreiheit

Wie ein wirklich feindlicher Akt der Spionage verfolgt wird, erlebt man dieser Tage: Das Oberlandesgericht Stuttgart verurteilte das russische Agentenehepaar mit dem unauffälligen Tarnnamen ›Anschlag‹ wegen Agententätigkeit zu sechseinhalb bzw. fünfeinhalb Jahren Haft. »Sie hatten als biedere Familie getarnt Hunderte Dokumente zu EU und Nato an den russischen Geheimdienst SWR geliefert.« (zeit.de vom 2.7.2013)

Was (nicht) passiert, wenn es sich um einen freundlicher Akt der Spionage handelt, erleben wir zeitgleich: »Die Bundesanwaltschaft prüft Berichte über die weltweite Datenspionage der US-Geheimdienste. Damit soll geklärt werden, ob die Karlsruher Behörde für mögliche Ermittlungen zuständig ist. ›Die Bundesanwaltschaft wertet die öffentliche Berichterstattung im Hinblick auf ihre gesetzlichen Aufgaben sorgsam aus‹ … Formale Ermittlungen sind damit nicht aufgenommen.« (FR vom 30.6.2013)

Aber keine Sorge: Selbst wenn dieses kaum noch zu verhüllendes Desinteresse an einer Strafverfolgung zu einem Ermittlungsverfahren führen würde, hätte nicht die Bundesanwaltschaft das letzte Wort, sondern die amtierende Bundesregierung. Sie kann ein solch unliebsames Verfahren unterbinden, wenn eine juristischen Aufklärung ›nationalen Interessen‹ in die Quere kämen.

Sage jetzt niemand, dass man ein solches System der Straffreiheit aus diktatorischen Regimen kenne.

Geheimnisverrat als Regierungsgrundlage

Edward Snowden wird Geheimnis- und Landesverrat vorgeworfen. Die US-Regierung fordert seine Auslieferung von Russland und der Welt. Es gehört zu den pittoresken Umständen dieser Strafverfolgung, dass die US- Regierung in ihrem Auslieferungsbegehren gegenüber Russland – unbeabsichtigterweise – ihre Missachtung gegenüber ihren eigenen Gesetzen offenbarte. In besagten Auslieferungsverfahren wird der russischen Regierung angeboten, Edward Snowden in den USA weder zu ermorden (Todesstrafe), noch zu foltern. Ein implizites Eingeständnis der amtierenden US-Regierung, was in den USA ansonsten durchaus üblich ist: legal in Gestalt der Todesstrafe, illegal, in Form von Folter, die US-Regierungen nicht nur auf eigenem Territorium praktizieren, sondern auch mithilfe befreundeter Regierungen (Renditon-Programm) weltweit organisieren.

Ein Geheimnis zu lüften, das Regierungskriminalität und Staatsverbrechen schützen soll, ist also nicht Verrat, sondern die notwendige Bedingung, rechts- und verfassungswidrige Praktiken einer Regierung nicht länger tatenlos hinzunehmen.

Nehmen wir dennoch den Strafparagrafen ›Geheimnisverrat‹ für einige Augenblicke ernst, dann stellt sich doch die Frage, ob dieser zu allererst gegen Regierungen anzuwenden ist, die fortgesetzt ihre BürgerInnen nicht vor Angriffen schützen, sondern sich mit den Angreifern gegen die jeweilige Bevölkerung verschworen haben. Schließlich gehört es zur Garantenpflicht einer jeder Regierung, ihre BürgerInnen vor rechts- und verfassungswidrige Angriffe zu schützen. Löst sie diese Garantenpflicht nicht ein, kollaboriert sie vielmehr mit den Angreifern, dann bricht eine solche Regierung den Gesellschaftsvertrag zwischen ihren BürgerInnen und der Staatsmacht.

Dann geht es nicht mehr um Loyalität, sondern um die Verpflichtung und Aufgabe, einer solchen Regierung jede Form von Loyalität zu entziehen.

30. 7.2013

Wolf Wetzel