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Gefangene aller Länder, vereinigt Euch

In Amsterdam fand am Wochenende das 11. Internationale Symposium gegen Isolationshaft statt – 

Seit 2002 veranstalte die Internationale Plattform gegen Isolation (IPAI) jährlich Kongresse, die – ausgehend vom Widerstand gegen staatliche Repression – ein breites Themenspektrum abdecken: Es geht um die Situation von Gefangenen weltweit, den Zustand des globalen Kapitalismus, Kriege, soziale Kämpfe und vieles mehr. Dutzende Referenten aus eben so vielen Ländern nehmen jedes Jahr an der Veranstaltung teil, die immer an wechselnden Orten stattfindet.

Dieses Jahr tagte man in Amsterdam, im IIRE Konferenzzentrum. Hans Berger hat für Hintergrund einige Eindrücke der Veranstaltung festgehalten.

Noch bevor die Tagung losging, standen schon die ersten von staatlicher Repression betroffenen auf der Bühne: Die türkische Band Grup Yorum. Die Gruppe wurde kurz nach dem Militärputsch vom September 1980 gegründet, einer Zeit, in der Oppositionelle blutig verfolgt wurden. Zehntausende Menschen verschwanden, wurden in Foltergefängnisse gesperrt oder einfach ermordet. Grup Yorum wollte dieses Schweigen brechen und dem Kampf der Bevölkerung Anatoliens einen künstlerischen Ausdruck geben. In der Türkei werden ihre Konzerte oft zu riesigen Massenveranstaltungen mit bis zu 500 000 Zuhörern, am Samstag spielten sie in der gut gefüllten Amsterdamer Konzerthalle Paradiso vor etwa 1100 vor allem jungen Gästen.

Die Auftaktveranstaltung am Samstag handelte von 22 türkischen Anwälten, die im Januar 2013 im Zuge einer „Antiterror“-Operation festgenommen wurden. Sie gehören der Progressiv Lawyers Association (CHD) an, einer linken Organisation von über 3000 Juristinnen und Juristen, deren Mitglieder zumeist jene Fälle verhandeln, bei denen die Regierung in Ankara es lieber hätte, wenn es zu gar keinem Prozess käme.

Sie vertreten Folteropfer, Arbeiter, die versuchen, zu ihrem Recht zu kommen, Angehörige von durch Polizei oder Militär ermordeten Menschen, Menschenrechtsaktivisten und militante Revolutionäre. Letzteres ist ihnen nun zum Verhängnis geworden, denn die türkischen Behörden schließen aus dem Umstand, dass sie überproportional häufig Mitglieder der auch bewaffnet kämpfenden marxistisch-leninistischen DHKP-C vertreten, dass die Strafverteidiger selbst Mitglied der Organisation seien.  

Der belgische Anwalt Jan Ferman, Vize-Präsident der International Association of Democratic Lawyer, war bei den ersten drei Verhandlungstagen in Silivri nahe Istanbul zur Prozessbeobachtung anwesend und schilderte am Samstag in Amsterdam seine Eindrücke: „Das einzig Vernünftige, das der Richter machen kann, ist unsere Kollegen und Kolleginnen nachhause zu schicken und den Staatsanwalt zu verhaften.“ Die Anklageschrift sei lächerlich, in ihr finde sich nicht viel mehr als der Versuch, normale anwaltliche Tätigkeiten zu kriminalisieren. So werde zum Beispiel aus dem Umstand, dass die Verteidiger ihren Mandanten raten, von ihrem Schweigerecht Gebrauch zu machen – ein international und auch in der Türkei fest verankertes Recht -, geschlossen, sie gäben „Befehle der Organisation weiter“.

Trotz der offenkundigen Absurdität der Anschuldigungen stehen einigen der Beschuldigten Jahrzehnte lange Haftstrafen bevor, zudem befinden sich fünf von ihnen immer noch in Untersuchungshaft, zum Teil sogar in den berüchtigten F-Typ-Gefängnissen, in denen die Häftlinge vollständig isoliert werden.

Von den Häftlingen in den USA berichtet Paulette Dauteuil vom Jericho-Movement, einer Organisation, die dafür eintritt, dass die USA endlich politische Gefangene und Kriegsgefange als solche anerkennt sowie eine Amnestie und die Freilassung der politischen Gefangenen fordert.

Jericho setzt sich etwa für inhaftierte Mitglieder der Black Panthers Party wie Ed Poindexter und Veronza Bowers, Leonard Peltier vom American Indian Movement oder ehemalige Aktivisten der Weathermen Guerilla ein. Viele derjenigen, deren Freilassung Jericho fordert sitzen seit Jahrzehnten hinter Gittern, einige haben den Großteil ihres Erwachsenenlebens in Haft verbracht. Das Interesse der US-Regierung scheint zu sein, sie so lange wie möglich wegzusperren.

Eine besonders krasse und leider viel zu selten thematisierte Geschichte von Mord und Unterdrückung durch die US-Behörden ist die der afro-amerikanischen Befreiungsbewegung MOVE. Die 1972 von John Africa gegründete Gruppe wurde regelmäßig zum Ziel von Polizei-Übergriffen des ohnehin als rassistisch geltenden Philadelphia Police Departements. 1978 stürmten Sondereinsatzeinheiten das Haus der Organisation und nahmen neun Mitglieder wegen Mordes an einem Polizisten fest. Ob sie schuldig sind oder nicht, ist nach wie vor umstritten, verurteilt wurden sie jedenfalls zu Jahrzehnten Haft, die 8 noch lebenden Gefangenen der MOVE-9 sitzen immer noch in US-Gefängnissen.

Der Journalist und Revolutionär Mumia Abu-Jamal, selbst Jahrzehnte im Todestrakt eingesperrt, schreibt in seinem Buch „Death Blossoms“: „Am 8. August 1978 wurden,

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nach einem brutalen Polizeiangriff auf MOVE, während dessen deren Haus in Powelton im Westteil Philadelphias zerstört wurde, neun Mitglieder der Organisation für den Mord an James Ramp, einem Polizisten, verhaftet. Diese ‚Verdächtigen‘ waren zum Zeitpunkt der Schießerei im Keller ihres Hauses; Ramp, der auf das Haus von einer höhergelegenen Straße zuging, wurde von hinten erschossen.“

1985 griff die Polizei dann abermals ein Haus von MOVE an. Es kam zu einem Schusswechsel, die Polizei griff zu einem sogar für die USA ungewöhnlichen Mittel: Sie warf aus einem Helikopter einen Sprengsatz in das Haus, elf Menschen starben, darunter fünf Kleinkinder. Ramona Africa von MOVE, die auf dem Symposium zu Gast ist, stellt die berechtigte Frage: „Sie werfen eine Bombe auf meine Familie, sie töten fünf Babies, aber sie nennen meine Familie Mörder?“  
 

Diese Beispiele sind nur einige wenige. Beinahe Zehntausend politische Häftlinge in der Türkei, Millionen Gefangene in US-Haftanstalten, Morde durch Armee und Polizei in Südamerika, Folter im Nahen Osten. Dennoch blieb das Symposium nicht bei einer Bestandsaufnahme des schlechten Bestehenden stehen, sondern es ging vor allem auch um jene Bewegungen, die für eine Welt jenseits von Unterdrückung, Ausbeutung und Repression eintreten. Mehrere Diskussionsrunden beschäftigten sich mit dem Aufstand in der Türkei vergangenen Juni, mit der Landlosenbewegung in Lateinamerika und dem Massendemonstrationen gegen Gentrifzierung, Preiserhöhungen und die Fußballweltmeisterschaft in Brasilien im Sommer 2013.