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Spitzel in Braunschweig enttarnt

In Braunschweig ist Ende 2013 der Spitzel Ralf Gross enttarnt worden, der seit Frühjahr 2012 dortige Zusammenhänge infiltriert hat. Im Mittelpunkt seines Einsatzes stand offensichtlich die Kampagne gegen die Schlachtfabriken in den niedersächsischen Orten Wietze und Wietzen (Wietze/n-Kampagne). Gross interessierte sich aber auch für weitere Kampagnen der Tierbefreiungsbewegung, die Waldbesetzung im Hambacher Forst, überregionale Anti-Repressions- und lokale Antifa-Strukturen.

Im folgenden ist aufgeführt, wie Gross sich Stück für Stück in die Szene einschlich, wie er auftrat und was an ihm auffiel. Daran schließt eine Schilderung seiner Enttarnung und eine Einschätzung des Falls an.

Chronik: Ralf Gross‘ Tätigkeit in der Szene
Diese Aufstellung ist nach Wissensstand der Autor_innen umfassend. Sollten andere Personen oder Gruppen Ralf begegnet sein und noch etwas zu ergänzen haben, schreibt bitte eine Nachricht an: kampagnenbuero-bs@riseup.net

 Aufgetaucht ist Gross erstmals am 22.03.2012 im Bremer Sielwallhaus zu einem Vortrag über „Europas größte Hühnerschlachtfabrik in Wietze bei Celle“. Er fertigte heimlich einen Mitschnitt des Vortrags an, den er von seinem E-Mail-Konto an einen Fritz.fuchs24@yahoo.de schickte.
Während des Vortrags wurde für einen Gerichtsprozess wegen der Besetzung des Baugeländes in Wietze mobilisiert, der am 19.04.’12 in Celle stattfand. Gross nahm als vermeintlich solidarischer Zuschauer an diesem und zahlreichen weiteren Strafprozessen teil.
So war er am 18.04., 25.04., 17.10., 5.11. und 26.11.’12 bei Prozessen wegen einer Blockade des Wendlandcastors 2010 vor den Amtsgerichten Bad Oeynhausen und Celle, am 29.05.’12 bei einem Widerstandsprozess in Braunschweig, am 16. und 23.01.2013 in Celle beim Prozess wegen der angeblichen Störung einer sogenannten Anhörung zum Neubau zweier Mastanlagen, am 21.05.’13 beim Prozess gegen eine Anti-Atom-Aktivistin in Hameln, am 18.07.’13 bei dem Hausfriedensbruchs-Berufungsverfahren wegen der obengenannten angeblichen Störung in Lüneburg und am 8.10.’13 ein weiteres Mal in Braunschweig beim Prozess gegen Aktive der Wietze/n-Kampagne in Folge von Übergriffen durch Polizei- und Justizbeamt_innen dabei.

Gross nahm an der „Critical Mast“-Aktionsfahrradtour gegen Tierfabriken teil, die vom 05 – 28.05.2012 durch Niedersachsen führte. Im Vorfeld hatte er angeboten, Material zu organisieren und zu fahren. Dieses Angebot wurde dankend angenommen. Er war ein paar Tage in Königshorst, kurz in Celle und einige Tage in Wietze. Er beteiligte sich u.a. an der Demonstration am 26.05. in Wietze (siehe Foto).
Am 27.08.2012 war er beim Sommerfest der IGIT (Initiative gegen Industrielle Tierhaltung im Wendland), wo er scheinbar zufällig zwei Aktive der Wietze/n Kampagne traf. Von 28.09. – 03.10. fuhr er gemeinsam mit ein paar Aktiven der Kampagne zu den Aktionstagen gegen Kohleabbau im Hambacher Forst.

Am 23.11.2012, am Morgen nach dem nächtlichen Brandanschlag auf drei Rothkötter-Mastanlagen in Meppen rief Gross einen Aktiven der Wietze/n-Kampagne an und fragte u.a. ob er gut geschlafen habe.  
Von 14. – 16.12.2013 nahm Gross an einem Strafprozesstraining in Braunschweig teil. Das Training sollte u.a. zur Vorbereitung auf mögliche Strafprozesse wegen der „Critical Mast“ dienen und wurde von drei Aktiven der Wietze/n-Kampagne angeleitet. Seit dem Training war er mit seiner eMail-Adresse „alf-das-huhn@web.de“ auf der „Antirepnetz“-Mailingliste dabei. Die Liste dient verschiedenen Aktivist_innen zum Austausch über Handlungsstrategien gegen Repression. Gross leitete etwa ein Dutzend eMails an die immer gleiche yahoo.de- Adresse („Fritz Fuchs 24“) weiter. Einen Teil dieser eMails versah er mit Anmerkungen und Fragen zu konkreten Personen. Etwa mutmaßte er am 20.3.2013, ob es sich bei zwei Menschen mit sehr ähnlichen Vornamen um ein und dieselbe Person handele; am selben Tag wies er auch auf die „vielleicht interessanten“ Kontaktdaten in einer weitergeleiteten eMail von der Antirepnetz-Liste hin. Am 10.5.2013 leitete er die Info weiter, wer bei einem bestimmten Verfahren die Laienverteidigung übernehme und merkte an: „für mich wäre jetzt gut zu wissen, wer denn die Angeklagten sind“.

Am 15.03.2013 fuhr Gross einen Referenten aus Braunschweig zum im Café Knallhart in Hamburg stattfindenden Vortrag zum System der Hühnerhaltung. Gross hatte im Vorfeld die Fahrt angeboten, weil er sich mit Aktivist_innen aus Hamburg „vernetzen“ wolle.  

Am 25.03.2013 beteiligte sich Gross an der Demo gegen die IFFA („Internationale fleischwirtschaftliche Fachausstellung“) in Frankfurt am Main.  

Am 27. oder 28.03.2013 tauchte Gross scheinbar zufällig im Nexus (autonomes Zentrum in Braunschweig) auf, bekam mit, dass Leute ein Auto brauchten um sich den Schlachthof in Wietzen anzuschauen und nach einem geeigneten Camp-Gelände umzuschauen und bot ihnen an, sie zu fahren. Wenige Tage später begleitete er sie auf der Tour.

Am 13.04.2013 fuhr Gross mit Aktiven der Wietze/n-Kampagne und der Kampagne gegen Versuchstiertransporte von Air France/KLM zu deren Infoständen beim „Vegan Spring“ in Hannover.  
Wie er selbst unmittelbar danach erzählte, nahm Gross am 31.05.2013 an einer Infoveranstaltung im Antifa-Café Braunschweig teil. Thema war der bevorstehende Naziaufmarsch in Wolfsburg; ihn hatte nach eigenem Bekunden vor allem die Organisation der Antifa-Aktionen interessiert.  
Gross fuhr am 01.06.2013 mit Aktivist_innen aus Braunschweig zur Soliparty für die Wietze/n-Kampagne im Fischladen in Berlin – wie immer in seinem Auto.  
Am 15. – 16.06.2013 fand ein Vorbereitungstreffen für eine Blockadeaktion in Wietze statt. Gross tauchte kurz dort auf. Es ist unklar, wie er überhaupt von dem Treffen erfuhr. Er selbst verbreitete widersprüchliche Versionen. In der folgenden Zeit nahm er an mehreren Vorbereitungstreffen im Kampagnenbüro Braunschweig für das Aktionscamp im Juli bei Wietzen teil.  
Von 06. – 08.07.2013 war Gross in Celle bei der Vorbereitung für die Blockadeaktion in Wietze dabei. Die Blockade am 08.07. scheiterte, da die Aktiven schon kurz vor der Schlachtfabrik von einem Großaufgebot der Polizei gestoppt wurden: http://antiindustryfarm.blogsport.de/2013/07/09/riesiges-polizeiaufgebot-schuetzt-schlachtfabrik/#more-264  

Die Aktiven erhielten Platzverweise, die bereits am 05.08. ausgestellt worden waren. Als eine Person gegen den Platzverweis klagte und Akteneinsicht beantragte, erhielt sie die Akte mit teilweise geschwärzten Namen.
Nach der gescheiterten Blockade wurde ein zweiter Versuch geplant. Gross zeigte starkes Interesse.
Von 11. – 16.07. beteiligte er sich am Aktionscamp gegen Tierfabriken bei Wietzen. Auffällig war sein Desinteresse an Workshops und Aktionsformen wie Straßentheater.
Die sehr kurzfristig geplante Blockade der Schlachtfabrik in Holte am 12.07. gelang, obwohl Gross bei den Vorbereitungen kurz dabei war. Er hatte Aufgaben bei der Blockade übernommen.  
Von 30.09. – 02.10.2013 fand in Hamburg eine Dauermahnwache gegen das Tierversuchszentrum LPT statt. Gross fuhr zusammen mit Aktiven der Wietze/n-Kampagne hin.
Von 18. – 20.10.2013 fand ein Perspektiventreffen der Wietze/n-Kampagne statt, an dem Gross teilnahm. Er versuchte, Leute zu militanten Aktionen anzustacheln und beschwerte sich über das „lasche“ Vorgehen der Kampagne.  
Am 28.10.2013 war Gross bei einem Blockadeversuch der Schlachtfabriken in Wietze und Wietzen dabei. Am sehr abgelegenen Vorbereitungsort fiel auf, dass die Aktivist_innen von der Polizei observiert wurden. Sehr kurzfristig wurde die gesamte Planung einschließlich des Aktionsorts geändert. Die Polizei kannte dennoch jedes Detail und konnte die Blockade verhindern. Gross schrieb während der Planung viel mit und behielt den Überblick.  
Am 25.11.2013 nahm Gross an einer Mahnwache der BI in Wietze teil. Dies ist sein letztes bekanntes Auftauchen in politischen Zusammenhängen.  

Gross‘ Auftreten und Auffälligkeiten
Gross behauptete, von Hartz IV, Frührente und von zusätzlicher Unterstützung durch seinen großen Bruder zu leben. Dadurch hatte er Zeit an vielen, oft auch überregionalen Aktionen teilzunehmen. Dabei nahm er sehr häufig Leute in seinem Auto mit. Er verbreitete, dass er chronisch krank sei und daher sowieso zu Arztterminen müsse. Durch die Krankheit hatte er aber auch immer eine Begründung, sich bei Sachen rauszuziehen und Verabredungen wieder abzusagen. Aus dem selben vermeintlichen Grund übernahm er keine herausgehobenen Rollen bei Aktionen.
Er erzählte außerdem, er sei auf Bewährung, weil er die Deutsche Bank betrogen habe. Gross berichtete immer wieder nicht nachprüfbare Geschichten, wie er verfolgt würde. Er sei auf dem Weg zu einem Gerichtsprozess angehalten worden, der Staatsschutz habe versucht, über seine Bewährungshelferin Druck zu machen, der Staatsschutz Celle (oder auch der Verfassungsschutz) habe wegen einem Aufruf auf Facebook vor seiner Tür gestanden (er fragte nach, ob er ihnen falsche Informationen geben soll) etc.
Gross inszenierte immer wieder seine eigene Entschlossenheit und vermeintliche Radikalität, wobei er sich bei inhaltlichen Debatten stets heraushielt. Von dem Schlachthof in Wietze habe er erfahren, als das Jobcenter ihn dorthin vermitteln wollte, was er aber aus ethischen Gründen verweigert habe. Er erzählte von seinem angeblichen Engagement in einer Bürgerinitiative gegen eine Schweinemastanlage in Wedingen (Harz). Die BI frustriere ihn schon seit längerem, da es den Aktiven vor allem um Gestank und Lärmbelästigung gehe. Gross betonte dagegen, dass ihm das Leid der Tiere sehr naheginge. Er und seine Frau hätten vor einiger Zeit zwei Pferde in einer Nacht-und-Nebel-Aktion befreit. Gross versuchte, Andere zu illegalisierten/militanten Aktionen anzustiften.

Zu Beginn seiner Infiltrationsversuche fiel Gross durch seinen Sprachgebrauch auf. Regelmäßig verwendete er sexistische Ausdrücke, z.B. in Bezug auf seine Partnerin, was in der Wietze/n-Kampagne mit ihrem emanzipatorischen Anspruch Vielen übel aufstieß. Mit der Zeit passte er sich den Szenecodes jedoch mehr und mehr an.
  Was Persönliches und Emotionales anging war Gross eher zurückhaltend. Zu den meisten Aktiven pflegte er einen eher funktionalen, weniger freundschaftlichen Kontakt (es gab allerdings durchaus Ausnahmen). Er war allerdings immer interessiert daran, wo Leute gerade wohnen oder hinreisen wollen. Gross nutzte zwei Handys, machte aber nur eins davon bekannt.

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Gross erzählte nicht viel aus seiner Biografie, das was er erzählte war aber oft leicht widersprüchlich. Wie genau zum Beispiel der angebliche Betrug der Deutschen Bank – oder auch der Deutschen Post – ablief und was seine Rolle dabei gewesen war, blieb stets sehr unklar. Zwar wurde auch nie näher danach gefragt, aber für einige seiner Versionen der Geschichte erschien seine angebliche bloße Bewährungsstrafe schon reichlich unwahrscheinlich.
Freunde oder Bekannte von Gross waren niemanden bekannt. Bei einem überraschenden Besuch bei ihm zu Hause (zu diesem Zeitpunkt war der Verdacht gegen ihn bereits sehr stark) wirkte sein Haus zwar bewohnt, er hatte aber Fleisch im Kühlschrank (das angeblich seiner Partnerin gehörte) und hielt Hunde in einem Zwinger. Gross hatte im November ’13 eine Fahrt mit dem Pferdeschlitten bei sich zu Hause vorgeschlagen – eine ziemliche Absurdität unter Tierbefreiungsaktivist_innen.
Im Vorfeld der gescheiterten Blockadeaktion am 28.10.2013 reagierte er auffällig nervös auf die Frage, ob sich jemand seinen Laptop ausleihen kann. Er zog sich alleine in ein Zimmer zurück. Als eine Person dort hereinplatzte, konnte sie sehen, dass er Textdokumente geöffnet hatte. Als er den Laptop später übergab, fand sich dort kein einziges Textdokument. Es ließen sich auch keine zuvor geöffneten Dokumente wieder herstellen.
Gross schrieb bei Vorbereitungstreffen viel und auch Namen mit. Er wollte immer genau verstehen, wer was macht und die Leute kennenlernen. In der Tendenz (!) scheiterten Aktionen, bei denen er mittel- bis langfristig in die Vorbereitung einbezogen worden war. Aktionen ohne ihn funktionierten besser. Während Aktionen verschwand Gross immer wieder kurzzeitig, ohne das klar war, warum.


Enttarnung

Besonders das im letzten Absatz Geschilderte führte dazu, dass eine kleine Gruppe misstrauisch wurde. Von ihr ging die Initiative aus, sich in einem größeren Kreis zusammenzusetzen. In dieser Runde wurde eine Bedrohungsanalyse für den eigenen Zusammenhang erstellt. Fast alle hierfür in der Broschüre „Schöner Leben ohne Spitzel“ vorgeschlagenen Fragen bei Spitzelverdächtigungen konnten mit Ja beantwortet werden. Außerdem wurden die oben genannten Auffälligkeiten in Gross‘ Verhalten zusammengetragen.
Zwischenzeitlich kam es bei einem Unterstützer in Wietze zu einem Anquatschversuch durch den Staatsschutz. Hierbei entstand der Eindruck, dass bereits ein Spitzel in dem betroffenen Zusammenhängen unterwegs sein könnte.
Nachdem sich der Verdacht erhärtet hatte, wurden weitere Nachforschungen angestellt. Die Gruppe erhielt Zugang zu Gross‘ E-Mail-Konto und seinem Facebookprofil. In seinem Mail-Account fanden sich die oben beschriebenen Weiterleitungen von Mails der Antirepnetz-Liste. In seinem Facebookprofil fand sich ein Chatprotokoll mit Stefan Kohlmetz. Darin sagte Gross den gemeinsamen Besuch eines Fußballspiels mit folgendem Grund ab: „Habe viel Lust, muss aber Steine werfen in Hamburg. LPT [ein Tierversuchslabor, gegen das derzeit eine Kampagne läuft] oder irgendein anderer Grund, Pelze, Schweine oder brutaler Umgang mit Gemüsezwiebeln.“. In ähnlich respektloser und wenig kreativer Weise geht das Gespräch weiter.

Ungefähr zu dieser Zeit wurde Gross ein fiktiver Blockadetermin mitgeteilt. Es gelang, einen Mitschnitt von einem Handytelefonat in Gross‘ Auto anzufertigen, der dokumentierte, wie er diesen Termin an eine unbekannte Person weitergab. Gross war mit Sicherheit klar, dass über derartige Aktionen nicht am Telefon gesprochen wird – grundsätzlich niemals und schon gar nicht nach dem Auffliegen zweier Blockadeversuche in jüngster Zeit.
Nachdem diese Beweise zusammengetragen worden waren, wurde Gross im Dezember in einem Gespräch mit dem Spitzelvorwurf konfrontiert. Er stritt alles ab und versuchte Empörung wegen den gegen ihn gerichteten Recherchemethoden vorzutäuschen, wirkte aber auf viele der Anwesenden eher auffällig ruhig und keineswegs überrascht. Gleichzeitig äußerte er aber immer wieder Verständnis für das Bestehen des Verdachts, den er in dem mehrstündigen Gespräch auszuräumen versuchte. Dabei verwickelte er sich aber in weitere Widersprüche.  
Er räumte die Weitergabe sensibler Informationen, einschließlich des mitgeschnittenen Telefonats in seinem Auto, ein. Diese habe er an ein Mitglied einer Gruppe in einer anderen Region (Gross nannte den Gruppennamen) weitergegeben. Er habe sie zu mehr Aktionen motivieren bzw. allgemein informieren wollen. Gross war tatsächlich eine Person in dieser Gruppe bekannt, allerdings gab er im Gespräch einen falschen Namen an. Er nannte im Lauf des Gesprächs unterschiedliche Zeitpunkte, seit denen er die Person kennen würde. Zu dem konkreten Telefonat im Auto sagte er mal, er habe die Person direkt erreicht und ein anderes mal, er habe ihr auf die Mailbox gesprochen.

Auch die Weiterleitung von Mails an „Fritz Fuchs“ räumte Gross ein: Das sei ein alter Kumpel aus seiner Punk- bzw. Jugendzeit, den er vor drei oder vier Jahren im Zug wiedergetroffen habe. (Später sprach er von zwei Jahren.) Er wolle „Fritz“ für „die Sache“ begeistern, habe ihm deshalb die E-Mails zukommen lassen und manchmal auch in Bad Harzburg oder Goslar getroffen. (Das letzte Mal vor ein paar Wochen in Goslar am Bahnhof.) Ob „Fritz“ ihm auch mal eine Mail geschrieben habe, wisse er nicht. Den Nachnamen von „Fritz“ kenne er auch nicht. Später meinte er, sein Nachname sei vielleicht „Paul“, er wohne mit seiner Freundin zusammen. Noch später nannte er ihn ein „blödes Arschloch“. Eine halbe Stunde später behauptete er, einen Teil der Mails (die kommentierten) nicht zu kennen. Jemand müsse sie ihm untergeschoben haben. Noch später brachte er hierfür seine Frau ins Spiel, da sie mit seinem Engagement nicht einverstanden sei. Er schrieb die Wohnadresse von „Fritz“ auf, behauptete aber später, es sei die von seinem Bruder. Er sei einmal bei Fritz Zuhause gewesen aber wisse nicht mehr, wo der wohne.

Eine Person „Fritz Fuchs“ existiert wahrscheinlich nicht. Gross hat in seiner Erzählung lange Pause gemacht und gezögert, bevor er nach und nach die Geschichte weiter gesponnen hat. Auffällig war auch, dass er im Verlauf der mehrstündigen Befragung wiederholt in Bullensprech verfiel (z.B. habe er versucht „Leute für den Tierschutz zu generieren“). Außerdem schrieb er Fritz im Plural („ihr“) an.
Die Gesprächsgruppe hatte mit einem solchen Szenario (Bereitschaft zu einem 3,5 stündigen Gespräch in großer Runde, dabei aber beharrliches Abstreiten) nicht gerechnet. Die Beteiligung zu vieler Leute an der Gesprächsführung wurde von manchen als kontraproduktiv erlebt.
Direkt im Anschluss stiegen Leute mit Gross in sein Auto, um mit ihm zu seinen Bruder zu fahren. Die Fahrt ging zur Virchowstraße 24 in Goslar, einem mehrstöckigen Plattenbau. Dort gab es einen Briefkasten mit dem Namen „W. Gross“, aber kein dazugehöriges Klingelschild. Gross behauptete nun, sein Bruder habe dort noch letzte Woche, (wenige Stunden zuvor hatte er von „gestern“ gesprochen) zusammen mit seiner Frau gewohnt und zwar seit 2 oder 3 Jahren; von einem Umzug wisse er nichts. Nachbarn verneinten, dass ein Herr Gross in dem Haus lebte. Der Briefkasten war ihnen zum Teil auch schon komisch aufgefallen.

Die Fahrt ging weiter zu Ralf Gross‘ Haus, um sich E-Mails auf seinem Laptop anzuschauen. Leider waren just an diesem Tag angeblich Telefon und Internet defekt. Trotzdem stellte Gross seinen Laptop zur Verfügung. Es wurden per E-Mail-Client weitere Mails an fritz.fuchs24@yahoo.de Adresse gefunden, diesmal gesendet von ralfgross6@alice.de. Eine dieser Mails war an einen Jürgen adressiert. Gross meinte, Jürgen sei Fritz bekannt gewesen, er habe die Mail weiterleiten sollen. Teilweise wird „Fritz“ in den Mails auch als „Holger“ angesprochen, was Gross nicht erklären konnte. Er stritt ab, die Mails geschrieben zu haben.
Als am folgenden Tag Leute vor Ralf Gross‘ Haus auftauchten, wurden sie von der Polizei kontrolliert und weggeschickt. Die hierfür gegebene Begründung (verdächtig aufgrund ihres auswärtigen Autokennzeichens) war extrem schwach und durchsichtig. Derzeit besteht kein Kontakt mehr zu Ralf Gross. Er scheint noch im selben Haus zu wohnen wie eh und je, laut Nachbar_innen auch schon seit 15 Jahren.

Der Fall Gross – Eine Einschätzung
In radikalen Bewegungen tauchen irgendwann Spitzel auf. Das ist schon seit langem so und wird sich nicht so ohne weiteres ändern. So gesehen ist das Auftauchen von Ralf Gross keine große Überraschung. Trotzdem darf nicht vergessen werden, dass die Enttarnung eines Spitzels für die betroffene Gruppe eine hohe emotionale Belastung und viel Arbeitsaufwand mit sich bringt. Unsicherheit und Misstrauen können sich weit über den betroffenen Personenkreis hinaus verbreiten und schlimmstenfalls ganze Zusammenhänge lähmen. Auch das ist Teil von Repression. Wird dem nicht entgegengesteuert, kann der Schaden weit größer sein als das, was der Spitzel selbst angerichtet hat.

Ziel von staatlicher Repression wird tendenziell, wer bestehende Ausbeutungs- und Herrschaftsverhältnisse in Frage stellt. (Oder es zumindest in den Augen des Staates tut). Dass es gerade die Wietze/n-Kampagne getroffen hat, ist kein Zufall. Spektakuläre Besetzungen, Blockaden, Recherchebilder aus den Mastanlagen und andere öffentliche Aktionen haben offensichtlich einigen Stellen ziemlich weh getan. Außerdem wurden in den letzten Jahren von Unbekannten mehrerer Mastanlagen kurz vor ihrer Inbetriebnahme abgebrannt, worüber Aktvist_innen der Wietze/n Kampagne berichteten, ohne sich zu distanzierten. Schaut mensch sich die Debatten nach diesen Aktionen an, wird klar, dass wir es hier mit Repression auf Ansage zu tun haben.

Es hat die Wietze/n-Kampagne aber nicht einfach nur wegen wirksamen Aktionen getroffen. Der infiltrierte Zusammenhang übt mit den verschiedensten Mitteln eine grundsätzliche Kritik an dem System der Mast- und Schlachtfabriken. Dadurch werden ähnlich große, z.T. dieselben Kreise erreicht wie mit der reformistischen Kritik an der Massentierhaltung. Die Kampagne bleibt aber nicht bei den Symptomen des Problems Tierhaltung stehen, sondern benennt diese als integralen Teil kapitalistischer Produktionsweisen und eines herrschaftlichen Mensch-Tier-Verhältnisses. Abgeschafft werden kann der Missstand nur durch eine grundlegende gesellschaftliche Umwälzung. Und genau das sollen Leute wie Gross verhindern.

Ralf Gross ist als Agent Provocateur aufgetreten, hat versucht, Leute zu militanten Aktionen zu motivieren, vermutlich, um sie später ans Messer liefern zu können. Der Skandal ist aber nicht militante Politik an sich, genauso wie es Quatsch wäre, zu glauben, revolutionäre Politik wäre ohne den Spitzel niemals militant. Entscheidend ist, dass die Wahl der Mittel Sache der jeweiligen politischen Bewegungen sein muss. Jeder offene oder verdeckte Versuch der staatlichen Einmischung in diese Entscheidung ist unerträglich. Genau wie das meiste andere, was dieser Staat so macht.
Wie kann eine Antwort auf den Fall Gross aussehen? Je mehr Personen und Gruppen darüber nachdenken und aktiv werden, desto angemessener dürfte sie ausfallen.

Drei Punkte lassen sich auf jeden Fall feststellen:
1.) Da linke Bewegungen sich noch auf absehbare Zeit mit Spitzeln herumschlagen werden müssen, ist ein Erfahrungsaustausch zum Thema notwendig. Mit dem 2004 bei Assoziation A erschienenen Buch „Spitzel. Eine kleine Sozialgeschichte“, der Broschüre „Schöner Leben ohne Spitzel“ von der ALB und den ausführlichen Berichten zur Enttarnung von Simon Brommer/Brenner sind wichtige Schritte gemacht worden. Dieser Text versteht sich als ein weiterer kleiner Beitrag.

2.) Jetzt erst recht: Politisch aktiv werden für eine radikal befreite Gesellschaft! Falls ihr es schon seid, dann bleibt dabei. Überprüft gegebenenfalls in aller Ruhe den Selbstschutz eures Zusammenhangs. Seid dabei aber aufmerksam, dass das Ganze nicht in Paranoia, Misstrauen und ausschließendem Rumgemacker ausartet.

3.) Übt praktische Solidarität mit dem betroffenen Zusammenhang!  

Kommt zur Demonstration am 8.2. ab 13:00 Uhr am Steintor (Hannover). Und / oder überlegt Euch eigene Aktionen.  

 Für eine Gesellschaft, die keine Spitzel braucht!