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In Erinnerung an Holger Meins

Heute vor 46 Jahren (9.11.74) ist Holger Meins, Mitglied der Roten Armee Fraktion (RAF), an den Folgen seiner Inhaftierung gestorben. Die Internationalistin Lisa Schelm erinnert an ihn.

Heute vor 46 Jahren ist Holger Meins, Mitglied der Roten Armee Fraktion (RAF), an den Folgen seiner Inhaftierung gestorben.

Er hatte sich entschieden, Teil der Lösung und nicht Teil des Problems zu sein. Den meisten Menschen, die sich ansatzweise mit der RAF beschäftigt haben, ist er ein Begriff, und dennoch ist er eines der weniger populären und polarisierenden Gesichter der Gruppe. In diesem Artikel, der im Rahmen der Auseinandersetzung mit dem Geschichtsverständnis der kurdischen Bewegung und der widerständigen Geschichte hierzulande entstanden ist, soll es vor allem um ihn gehen. Gleichzeitig ist es nicht möglich, über einzelne Kämpfer*innen der RAF zu schreiben, ohne über alle zu schreiben. Als Grundlage dient das Buch „Das Info. Briefe von Gefangenen aus der RAF aus der Diskussion 1973 – 1977“.

„Nur wer tot ist macht keine Fehler – oder eben: wer nicht kämpft.“ (Lenin)

Die RAF ist weit davon entfernt, widerspruchs- oder fehlerfrei zu sein, es gibt viele berechtigte Kritiken, viele Verletzungen und eine große Skepsis auch und vor allem innerhalb der deutschen Linken. Wir möchten uns dennoch an sie und ihren Kampf erinnern und ihn als Teil unserer Geschichte sehen. Sie waren ein Teil einer kämpfenden Bewegung und haben in dieser mit Sicherheit nach ihrem damaligen Wissen und Gewissen gehandelt, Fehler gemacht und reflektiert. Sie waren konsequent, sie konnten mit dem Bestehenden nicht leben und haben schließlich ihr Leben für eine andere Welt gegeben. Wir möchten von ihnen lernen, aus ihren Fehlern, von ihrer Entschlossenheit, sie verstehen und die Veränderung des Kampfes anstreben, die sie durch anhaltende Repressionen und schließlich ihre Ermordung nicht durchlaufen konnten.

„Das Kollektiv ist der politische Kern der Guerilla ihre Seele. Jeder einzelne Kämpfer/Kader ist die kleinste Einheit des Kollektivs und die kleinste Einheit der Guerilla.“ (RAF)

Die Menschen in der RAF haben sich entschieden, ein wirkliches Kollektiv zu sein, und so ist der oder die Einzelne untrennbar mit dem Kollektiv, dessen Werten und den gemeinsamen Entscheidungen verbunden. Wie es in den Schriften der RAF heißt, geht es bei einem Kollektiv nicht darum, alle gleich zu machen, Kollektivität bedeutet nicht Gleichheit und Konformismus. Vielmehr muss Kollektivität die Möglichkeit und die Bedingung von Subjektivität werden, deshalb ist die Frage kollektive oder subjektive Befreiung auch kein Widerspruch, sondern gehört zusammen, setzt sich ins Verhältnis zueinander. Jeder ist das Kollektiv und kollektiv ist Jeder.

Holger Meins

Kollektivität wird also als Grundlage des gemeinsamen Kampfes gesehen, in dem sich jedes Individuum verorten kann. Die RAF ging fest davon aus, dass der einzige Weg sich zu wehren zusammen ist.

Auch war das Kollektiv nicht widerspruchsfrei und es wurde sich anders als der Anspruch war – fauchender Tiger im Kampf, sanftmütig in der Höhle – oft heftigst gestritten. Der Ton in den kollektiven Briefen ist oft rau, teils beleidigend und dennoch gibt es einen gemeinsamen Anspruch als Grundlage, dem die Mitglieder vielleicht nicht immer gerecht werden, aber doch für sich formulieren, an sich arbeiten und in vielen Zeilen und Briefen auch die Verbundenheit und Liebe füreinander mitschwingt. So heißt es beispielsweise: Wir wollen nicht: Strafe, Liebesentzug, die ganzen trivialen Herrschaftsmechanismen. Wenn es richtig läuft, sind auch die Fehler einzelner die Fehler aller und alle lernen daran.

Holger Meins hat sich anders als andere bis zum Schluss fest mit diesem Kollektiv verbunden gefühlt und war ein wichtiger und entscheidender Teil im gemeinsamen Kampf. Seine Texte zeugen von seiner festen Überzeugung des Kampfes und der Liebe für das freie Leben aller.

Inhaftierung und Gefängniswiderstand

Der RAF angeschlossen hatte sich Holger Meins im Oktober 1970, nachdem er sich in der Studierendenbewegung politisiert und radikalisiert hatte. Am 1. Juni 1972 wurde er zusammen mit Andreas Baader und Jan-Carl Raspe nach einer Schießerei in Frankfurt am Main verhaftet.

Wir sind gefangen, aber wir sind nicht entwaffnet. Das ist nicht wahr, dass wir entwaffnet sind. Wir sind technisch entwaffnet, aber alle Welt weiß: im Befreiungskampf entscheidet nicht die Technik, sondern die Menschen. Wir haben zwei sehr starke Waffen: unseren Grips und unser Leben. Unser Bewusstsein und unser Sein. (Holger Meins)

Der Widerstand der RAF hörte mit der Inhaftierung nicht auf, wie es von den Behörden und Politikern angestrebt war, vielmehr entwickelte er sich in dieser Zeit sowohl ideologisch als auch praktisch weiter, auch die Solidarität innerhalb der Bevölkerung wuchs. Die Gefangenen nutzten „das info“ als Plattform, um kollektiv ideologische Diskussionen zu führen und eine gemeinsame Strategie festzulegen, schrieben sie viele Briefe, die über die Anwälte an alle Mitglieder im Knast verteilt wurden. Eins der wichtigsten Themen darin ist die Folter durch Isolationshaft. Dieses Mittel wurde speziell gegen die RAF massiv angewendet. Durch Entzug jeglicher Reize von außen, jeglicher sozialer Kontakte und einem Miteinander sollten der Willen und Widerstand und die Gefangenen im Ganzen gebrochen werden.

Der Hungerstreik

„Und du hast immer mehr Kraft als du denkst. Wir können nicht unterdrückt werden, wenn wir nicht aufhören zu denken und zu kämpfen.“ (RAF)

Gegen diese Maßnahmen wurden Strategien diskutiert. Eine der wichtigsten Methoden des Widerstands im Knast ist der Hungerstreik. Von der RAF wird er als die „heiligste Waffe“ beschrieben, die kompromisslos und entschlossen eingesetzt werden muss, damit sie ihre Kraft nicht verliert. Das macht den ganzen Inhalt der Aktion aus: der unbeirrbare Wille. Viele aufkommende revolutionäre Bewegungen haben unbezwingbaren Widerstand im Gefängnis geleistet, der beeindruckt. Die RAF ist nur eine davon und der Widerstand in Kurdistan im Gefängnis von Amed ist legendär und zur Grundlage unserer Kämpfe geworden.

Zum Hungerstreik schreibt Holger Meins:

„Widerstand als politische Aktion des Kollektivs in der Perspektive Gefängnisbewegung und als materielle Aktion des Einzelnen, wenn er angegriffen wird und als solidarische Aktion, wenn andere angegriffen werden, kann (solange wir in der Iso(lation) sind) gar nicht anders aussehen, wird immer so sein, (…), nämliche eine äußere Niederlage, in der wir äußerlich und dem äußeren Anschein nach unterliegen, Opfer sind, denn sie haben alle Mittel, deinen Körper zu bezwingen (dazu haben sie den „unmittelbaren Zwang“). Das ist ihre Methode und ihr „Sieg“ – (und dein Trauma) und da wir nicht nachgeben werden, wird es genauso sein. Aber (…) sie haben keine Mittel, deinen Widerstand zu brechen und sie können unmöglich deinen Widerstandswillen brechen, wenn du nicht selbst aufgibst. Das sind unsere Waffen.“

Tod eines Genossen: Kampf der Kampf erzeugt

Holger Meins ist von Anfang an Teil des Hungerstreiks, sein Wille unbezwingbar. Spaltungsversuche, Gewalt und Missbrauch können die führenden Mitglieder der RAF nicht zum Aufgeben zwingen. Sie bestärken sich gegenseitig in ihrem Vorhaben, geben sich Mut und Kraft in der gemeinsamen Aktion. Der Zustand der Streikenden wird immer existenzieller. Am 9. November stirbt Holger Meins als erstes Mitglied der RAF im Hungerstreik. Er wurde ermordet – von einem System, das er nicht aushielt, von Haftbedingungen, die auf Zerstörung ausgelegt sind, von der Politik, dem System, Imperialismus und Kapitalismus. Er wählte nicht den Tod, er wählte das Leben.

Guerilla ist: sich von der Gewalt des Systems nicht demoralisieren lassen – furchtlos im Kampf ausharren: immer zu kämpfen, trotzdem zu kämpfen, bis zum Tod zu kämpfen (auch)

Berxwedan Jiyan e! Widerstand ist Leben! Damals und heute, hier und überall!

https://anfdeutsch.com/hintergrund/in-erinnerung-an-holger-meins-22657?fbclid=IwAR0_OXjouFMWSK77DJaOhUOOVNPUCo1GaMiAVHXA0XZiQok2ephMAuOmWNY