Interview mit Manfred Gürth aus Hamburg

Manni wurde zu einer langen Gefängnisstrafe verurteilt, weil er im Jahre 1978 Kontakt zu den V-Leuten hatte. Das Interview

ist eine überarbeitete Fassung eines Radiointerviews, was am 2.Juni 2008 im Rahmen von Magazin International bei Radio

Flora in Hannover gesendet wurde.

 

Mit was für einer Legende tauchte Loudil bei dir auf?

 

In der Zeit vor dem Celler-Loch war ich in einer militanten Gruppe aktiv und bewaffneter Kampf war für mich Praxis. 1978 wurde ich wegen eines Einbruchs in ein Waffengeschäft verhaftet und kam nach ein paar Wochen Untersuchungshaft wieder frei. Aber 2 Monate später wurde der Haftbefehl wieder in Kraft gesetzt und ich tauchte deswegen unter. Ich lebte eine Zeitlang in einer konspirativen Wohnung und wurde dann wieder verhaftet. Ließ mich dabei aber nicht kampflos festnehmen, d.h. ich leistete aktiven Widerstand.

 

Nach 6 Monaten U-Haft wurde ich Weihnachten 1978 vorläufig entlassen. Ich besuchte Leute in der Hamburger WG Keplerstr. Dort lernte ich den Loudil kennen. Er war im Schlepptau von einer Frau, die aus Salzgitter kam und dort in der Knastgruppe „Wildes Huhn“ mitgearbeitet hatte. Diese Gruppe hatte Kontakt zu den politischen Gefangenen Sigurd Debus und engagierte sich später gegen den Iso-Trakt in Celle. Die Frau erzählte mir, dass Loudil wegen des Celler Sprengstoffanschlages gesucht wurde. Dann verschwand Loudil wieder und tauchte ein paar Wochen später wieder auf. Später erfuhr ich, dass er sich in Paris aufgehalten hatte. Er sagte, er würde gesucht und bräuchte für ein paar Wochen eine Unterkunft.

 

Was für einen Eindruck hattest du von ihm?

 

Nachdem ich mit Loudil und Berger gesprochen hatte, wurde mir klar, dass das keine politischen Leute sind. Es waren Knackis, die sich betranken und ihre kriminellen Sachen machten: Berger knackte Autos und Loudil verübte Einbruch und Raub, und die deshalb auch eine sichere Unterkunft benötigten.

Also hab ich Loudil zu der hamburgischen Wohnung in der Papenhuderstraße gebracht, die als konspirative Unterkunft aufgelöst werden sollte. Ich sagte zu ihm, er könnte dort für ein paar Wochen bleiben. Danach müsste er sich was anderes suchen.

Ich selbst war selten dort, da ich mich meist bei meiner Freundin aufhielt. Als ich mal wieder vorbei kam, war auch Loudil anwesend. Er schleppte Waffenteile, Baupläne und Zeichnungen von Schalldämpfern etc. an. Weiterhin machte er Vorschläge, die Sparkasse am Spritzenplatz in Hamburg- Altona zu überfallen oder Knastleiter erschießen.

Ich fand das abwegig! „Er sei durchgeknallt“ sagte ich ihm. Als ich diese Wohnung mal wieder aufsuchte und die Tür öffnete, sah ich, wie der betrunkene Loudil mit einer Waffe in der Hand rumballerte. Es gab zwei Einschusslöcher oberhalb der Wandfliesen in der Küche, und daraufhin wollte ich ihn sofort aus der Bude werfen. Er bettelte und jammerte, ob er noch ein paar Tage bleiben dürfe. Dann ist er abgehauen.

 

Paar Tage später hat er mich angerufen und mich zwecks Schlüsselübergabe in die Wohnung zurückgelockt. Als ich in ankam, war niemand da. Ich wartete ungefähr eine halbe Stunde. Auf einmal gab es ein sehr lautes Krachen an der Eingangstür. Mir war sofort klar, dass das die Bullen waren. Im Hof sah ich keine Bullen, öffnete das Fenster und sprang raus, direkt in die Arme vom MEK (Mobiles Einsatzkommando); die drohten, mich umzulegen, wenn ich mich bewegen würde.

In den Räumlichkeiten fanden die Bullen ein zur Bombe umgebauten Feuerlöscher und die Waffenteile von Loudil.

 

Für die ganze Sache bekam ich zusammen 4 Jahre und 5 Monate Knast. 3 Jahre und 3 Monate für die Vorbereitung eines Sprengstoffverbrechens (Feuerlöscher) und 15 Monate für Waffendiebstahl, Widerstand gegen Staatsgewalt mit Körperverletzung. Während des Prozesses hatte mein Anwalt Hartmut Jacobi Verfassungsschutzakten angefordert; dem war die Sache auch nicht geheuer. Auf Grund der 129a-Ermittlungen (Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung) hatten wir dann eine andere Prozesstaktik gewählt.

 

Wie hast du Sigurd kennengelernt?

 

Von April 1980 bis März 1981 war ich in Fuhlsbüttel Anstalt 8 (keine Langstrafen) untergebracht. Sigurd war in Anstalt 2. Ich

hatte ihm eine Botschaft zukommen lassen, dass wir uns am Zaun während des Hofganges treffen sollten, denn beide Höfe waren durch ein Gitterzaun getrennt. Weil ich nicht wegen 129a verurteilt worden bin, hatte ich relativ „normale“ Haftbedingungen. Z.B. durfte ich Gemeinschaftssport machen. Ich meldete mich bei der Tischtennisgruppe, in der ich die Möglichkeit hatte, dort gegen die Anstalt 2 Wettkämpfe gegen die dortige Mannschaft zu führen, um danach ungestört mit Sigurd sprechen zu können.

 

Schnell verlor ich alle Spiele und hatte dann Zeit, Sigurd in seiner Zelle aufzusuchen, ohne dass die Schließer das mitbekamen. Wir hatten ca. 1 Std. Zeit, über alles zu reden. Wir teilten beide die Einschätzung, dass Loudil und Berger Spitzel und dass die Knastgruppe „Wildes Huhn“ in Salzgitter unzuverlässig sei. Die Nachrichten, die er damals Loudil mitgab, waren so abgesichert, dass er dadurch herausgefunden hatte, dass Loudil ein Spitzel ist. Die Knastgruppe wusste von dem Spitzelverdacht. Die Frau aus dieser Gruppe, die dann von Salzgitter nach Hamburg zog, wusste auch davon. Warum sie mich nicht ausdrücklich gewarnt hatte, konnte er mir nicht sagen.

 

Die Sprengung der Celler Mauer hatte er abgelehnt und in dieser Form für blödsinnig gehalten. Er hat auch in Frage gestellt, dass die Typen Loudil und Berger die Mauer gesprengt hätten, da er sie nicht besonders klug hielt. Er hatte niemals Vertrauen zu den beiden Typen. Und er sagte mir, dass ich wegen Verrat verhaftet wurde. Weiterhin sollte ich darüber nachdenken, wer dafür in Frage kommen würde, womit wir wieder bei Loudil und Berger landeten.

 

Als die Schließer mitbekamen, dass ich bei Sigurd in der Zelle hockte, machten sie Alarm. Ich wurde von mehreren Schließern zur Anstalt 8 abgeführt, musste mich nackt ausziehen, wurde durchsucht und bekam Sportverbot.

Leider konnten wir uns nur wenig am Zaun unterhalten. Wir hatten über den bevorstehenden Hungerstreik (HS) im Januar 1981 gesprochen. Ich hatte mich damals nicht daran beteiligt, weil ich innerhalb als auch außerhalb des Knastes keine ausreichenden Diskussionen über die Ziele und Forderungen geführt hatte.

 

Als ich von Sigurds Tod hörte, dessen Ableben während des HS bis heute ungeklärt ist, war ich geschockt. Ich hatte und habe

natürlich immer noch ziemlichen Hass auf die Bourgeoisie.

 

Als Loudils Legende aufflog, gab es für dich eine Entschädigung?

 

Es war der Tag, als in Tschernobyl der Atomreaktor explodierte, der 26. April 1986. Ein Tag vorher wurde öffentlich bekannt, dass die GSG 9 das Celler Loch gesprengt hatte. Zwei Tage später rannte mir die Radau und Hetzpresse die Türen ein. Alle wollten sie ein Interview mit mir führen. Ich hätte am liebsten denen allen eine Reise nach Bad-Beton geschenkt. Damals war ich für die der „Terrorist“, der Mann mit den „3 Bomben und der Stalinorgel“, und heute suchen sie wieder nach Argumente, um das Damalige zu rechtfertigen, dachte ich mir, und schickte sie alle in die Wüste.

 

Später meldete sich zwei Journalisten der ARD, die eine Fernsehdokumentation zum Celler Loch drehen wollten. Nach reiflicher Überlegung gab ich denen ein Interview. Circa 1 Jahr später bildete sich in Niedersachsen ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss zum Celler Loch, zu dem ich vorgeladen wurde. Anfangs verweigerte ich das Erscheinen. Danach drohte man mir mit „demokratischer“ Erzwingungshaft und Zwangsvorführung. Man bespitzelt mich und schickte mir Bußgeldbescheide. Als sie dann mit Bulleneinsatz drohten, konnte ich ihren „demokratischen“ Argumenten nicht widersprechen. Ich fuhr nach Hannover und machte meine Aussagen, die einen großen Teil des Ausschusses und der Medien überzeugte. Am nächsten Tag stand in der Presse, dass mit ziemlicher Sicherheit der VS bzw. Loudil die Bombe platziert hatten.

 

Na, toll dachte ich. Und was hab ich davon?

Natürlich nichts. Keine Haftentschädigung und kein Wiederaufnahmeverfahren. Wenn man Politiker und Bourgeoisie öffentlich zum Celler Loch reden hört, dann rechtfertigen sie die Sache damit, dass ja dabei kein Schaden entstanden sei. Das ich dafür 39 Monate im Knast weggesperrt war, ist für sie kein Schaden. Dieser Staat hat mich nicht enttäuscht, denn in der BRD gab es nach 1945 keinen wirklichen Bruch mit dem faschistischen System. Viele von den alten Funktionsträgern bekleideten später hohe Positionen in Regierungen, Bürokratie, Polizei, Militär, Kultur und Wirtschaft. Ein weiter Grund für mich, die Bourgeoisie zur Hölle zu schicken.

Manni wurde zu einer langen Gefängnisstrafe verurteilt, weil er im Jahre 1978 Kontakt zu den V-Leuten hatte. Das Interview

Manni wurde zu einer langen Gefängnisstrafe verurteilt, weil er im Jahre 1978 Kontakt zu den V-Leuten hatte. Das Interview ist eine überarbeitete Fassung eines Radiointerviews, was am 2.Juni 2008 im Rahmen von Magazin International bei Radio Flora in Hannover gesendet wurde.

Wie und wo warst du politisch engagiert?

Nach dem Ende der Volksschule 1964 begann ich eine Maurerlehre und übte danach meinen Beruf im Akkord bis 1974 aus, die ich folglich wegen daraus resultierenden beschwerden aufgeben musste. Deswegen wurde mir eine REHA zum Info-Elektroniker zugewiesen. Ab 1977 versuchte ich im zweiten Bildungsweg das Fachabitur zu erlangen, was ich aber nicht zu Ende führte. Während dieser Ausbildung engagierte ich mich politisch hauptsächlich im Landes-Schülerausschuss.

Politisches Interesse hatte ich seit 1964 und wurde deswegen Mitglied der Gewerkschaft IG-Bau und engagierte mich dort ab 1972.

Die Suche nach nach einer Kommunistischen Partei war aber mein wichtigstes Anliegen und ich nahm deshalb Kontakt auf zu KPD-ML, KB, DKP, KBW usw. auf. Damals gab es in der alten BRD 139 K-Gruppen. K-Gruppen waren für mich einschließlich ihrer Praxis abstoßend. Dort agierten hauptsächlich Studenten mit viel Gehirngymnastik (Theorie). Ihr größtes Manko war, dass ihnen der Wille zur einer Selbstveränderung fehlte, d.h. die Revolution erst mal bei sich selbst machen. Das konnte auch nicht dadurch kompensiert werden, dass total viel geschrieben wurde. (Bücher Zeitungen, Flugis )

Diese 139 K-Gruppen veröffentlichten anderthalb Jahrzehnte diverse Publikationen. Dieser unglaubliche Theorieberg lässt jede Buchmesse wie einen unbedeutenden Zeitungskiosk aussehen. Trotzdem oder auch gerade deshalb hat keine einzige K-Gruppe es fertig gebracht, eine beweiskräftige Klassenanalyse zur Gründung einer notwendigen neuen KPD herzustellen.

Subjektiv bestand zwar das Bedürfnis eine klassenkämpferische Organisation aufzubauen, es wurde aber außer Acht gelassen, dass die objektiven Bedingungen damals dazu nicht bestanden. Eine Ausnahme gab es nach meiner Meinung : Die KABD (Kommunistischer Arbeiterbund Deutschlands), die diese Faktoren in ihrer Arbeit reflektierten.

Für mich sind Menschen interessant, die eine Umwälzung der gesellschaftlichen Verhältnisse praktisch anstreben. Das war damals und ist heute auch so.

Die Idee und Absicht das Bourgeoisieleben abzulehnen und zu bekämpfen und stattdessen kollektiv, gemeinsam, solidarisch, menschlich, d.h. proletarisch zu leben ist für mich wichtig. Ich habe deswegen in Wohngemeinschaften und Kommunen gelebt und lernte die Vorteile dieses Lebens kennen. Ich habe auch viele positive Erfahrungen mit Genossinnen und Genossen aus anderen Ländern und Kontinenten gemacht. Mit Menschen aus der Türkei, Europa, Afrika, Südamerika und Asien habe ich zusammengearbeitet und bin durch ihre Menschlichkeit und Solidarität stark geprägt worden.

In der Zeit vor dem Celler-Loch war ich in einer militanten Gruppe aktiv und bewaffneter Kampf war für mich Praxis. 1978 wurde ich wegen eines Einbruchs in einem Waffengeschäft verhaftet und kam nach ein paar Wochen Untersuchungshaft wieder frei. Aber 2 Monaten später wurde der Haftbefehl wieder in Kraft gesetzt und ich tauchte deswegen unter. Ich lebte eine zeitlang in einer konspirativen Wohnung und wurde dann wieder verhaftet. Ließ mich dabei aber nicht kampflos festnehmen, d.h. ich leistete aktiven Widerstand. Nach 6 Monaten U-Haft wurde ich Weihnachten 1978 vorläufig entlassen.

Mit was für einer Legende tauchte Loudil bei dir auf?

Ich besuchte Leute in der Hamburger WG Keplerstr. Dort lernte ich den Loudil kennen. Er war im Schlepptau von einer Frau, die aus Salzgitter kam und dort in der Knastgruppe „Wildes Huhn“ mitgearbeitet hatte. Diese Gruppe hatte Kontakt zu den politischen Gefangenen Sigurd Debus und engagierte sich später gegen den Iso-Trakt in Celle. Die Frau erzählte mir, dass Loudil wegen des Celler Sprengstoffanschlages gesucht wurde. Dann verschwand Loudil wieder und tauchte ein paar Wochen später wieder auf. Später erfuhr ich, dass er sich in Paris aufgehalten hatte. Er sagte, er würde gesucht und bräuchte für ein paar Wochen eine Unterkunft.

Was für einen Eindruck hattest du von ihm?

Nachdem ich mit Loudil und Berger gesprochen hatte, wurde mir klar, dass das keine politischen Leute sind. Es waren Knackis, die sich betranken und ihre kriminellen Sachen machten: Berger knackte Autos und Loudil verübte Einbruch und Raub und die deshalb auch eine sichere Unterkunft benötigten.

Also hab ich Loudil zu der hamburgischen Wohnung in der Papenhuderstraße gebracht, die als konspirative Unterkunft aufgelöst werden sollte. Ich sagte zu ihm, er könnte dort für ein paar Wochen bleiben. Danach müsste er sich was anderes suchen. Ich selbst war selten dort, da ich mich meist bei meiner Freundin aufhielt. Als ich mal wieder vorbei kam, war auch Loudil anwesend. Er schleppte Waffenteile, Baupläne und Zeichnungen von Schalldämpfern etc. an. Weiterhin machte er Vorschläge, die Sparkasse am Spritzenplatz in Hamburg-Altona zu überfallen oder Knastleiter erschiessen. Ich fand das abwägig!

„Er sei durchgeknallt“ sagte ich ihm.

Als ich diese Wohnung mal wieder aufsuchte und die Tür öffnete, sah ich, wie der betrunkene Loudil mit einer Waffe in der Hand rumballerte. Es gab zwei Einschußlöcher oberhalb der Wandfliesen in der Küche und daraufhin wollte ich ihn sofort aus der Bude werfen. Er bettelte und jammerte, ob er noch ein paar Tage bleiben dürfe.

Dann ist er abgehauen. Paar Tage später hat er mich angerufen und mich zwecks Schlüsselübergabe in die Wohnung zurückgelockt. Als ich in ankam, war niemand da. Ich wartete ungefähr eine halbe Stunde. Auf einmal gab es ein sehr lautes Krachen an der Eingangstür. Mir war sofort klar, dass das die Bullen waren. Im Hof sah ich keine Bullen, öffnete das Fenster und sprang raus, direkt in die Arme vom MEK (Mobiles Einsatzkommando); die drohten, mich umzulegen, wenn ich mich bewegen würde.

In den Räumlichkeiten fanden die Bullen ein zur Bombe umgebauten Feuerlöscher und die Waffenteile von Loudil.

Für die ganze Sache bekam ich zusammen 4 Jahre und 5 Monate Knast. 3 Jahre und 3 Monate für die Vorbereitung eines Sprengstoffverbrechens (Feuerlöscher) und 15 Monate für Waffendiebstahl, Widerstand gegen Staatsgewalt mit Körperverletzung.

Während des Prozesses hatte mein Anwalt Hartmut Jacobi Verfassungsschutzakten angefordert; dem war die Sache auch nicht geheuer. Auf Grund der 129a Ermittlungen (Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung) hatten wir dann eine andere Prozesstaktik gewählt.

Wie hast du Sigurd kennengelernt?

Von April 1980 bis März 1981 war ich in Fuhlsbüttel Anstalt 8 (keine Langstrafen) untergebracht. Sigurd war in Anstalt 2. Ich hatte ihm eine Botschaft zukommen lassen, dass wir uns am Zaun während des Hofganges treffen sollten, denn beide Höfe waren durch ein Gitterzaun getrennt. Weil ich nicht wegen 129a verurteilt worden bin, hatte ich relativ „normale“ Haftbedingungen. Z.b. durfte ich Gemeinschaftsport machen. Ich meldete mich bei der Tischtennisgruppe, in der ich die Möglichkeit hatte, dort gegen die Anstalt 2 Wettkämpfe gegen die dortige Mannschaft zu führen, um danach ungestört mit Sigurd sprechen zu können.

Schnell verlor ich alle Spiele und hatte dann Zeit Sigurd in seiner Zelle aufzusuchen, ohne das die Schließer das mitbekamen. Wir hatten ca. 1 Std. Zeit über alles zu reden. Wir teilten beide die Einschätzung, dass Loudil und Berger Spitzel und dass die Knastgruppe „Wildes Huhn“ in Salzgitter unzuverlässig sei. Die Nachrichten, die er damals Loudil mitgab waren so abgesichert, dass er dadurch herausgefunden hatte, dass Loudil ein Spitzel ist. Die Knastgruppe wusste von dem Spitzelverdacht. Die Frau aus dieser Gruppe, die dann von Salzgitter nach Hamburg zog, wusste auch davon. Warum sie mich nicht ausdrücklich gewarnt hatte, konnte er mir nicht sagen.

Die Sprengung der Celler Mauer hatte er abgelehnt und in dieser Form für blödsinnig gehalten. Er hat auch in Frage gestellt, dass die Typen Loudil und Berger die Mauer gesprengt hätten, da er sie nicht besonders klug hielt.

Er hatte niemals Vertrauen zu den beiden Typen. Und er sagte mir, dass ich wegen Verrat verhaftet wurde. Weiterhin sollte ich darüber nachdenken, wer dafür in Frage kommen würde und womit wir wieder bei Loudil und Berger landeten.

Als die Schließer mitbekamen, dass ich bei Sigurd in der Zelle hockte, machten sie Alarm. Ich wurde von mehreren Schließern zur Anstalt 8 abgeführt, musste mich nackt ausziehen, wurde durchsucht und bekam Sportverbot.

Leider konnten wir uns nur wenig am Zaun unterhalten. Wir hatten über den bevorstehenden Hungerstreik (HS) im Januar 1981 gesprochen. Ich hatte mich damals nicht daran beteiligt, weil ich innerhalb als auch außerhalb des Knastes keine ausreichenden Diskussionen über die Ziele und Forderungen geführt hatte.

Als ich von Sigurds Tod hörte, dessen Ableben während des HS bis heute ungeklärt ist, war ich geschockt. Ich hatte und habe natürlich immer noch ziemlichen Hass auf die Bourgeoisie.

Als Loudils Legende aufflog, gab es für dich eine Entschädigung?

Es war der Tag, als in Tschernobyl der Atomreaktor explodierte, der 26. April 1986. 1 Tag vorher wurde öffentlich bekannt, dass die GSG 9 das Celler Loch gesprengt hatte.

2 Tage später rannte mir die Radau- und Hetzpresse die Türen ein. Alle wollten sie ein Interview mit mir führen. Ich hätte alle am liebsten denen alle eine Reise nach Bad-Beton geschenkt. Damals war ich für die der „Terrorist“, der Mann mit den „3 Bomben und der Stalinorgel“ und heute suchen sie wieder nach Argumente, um das Damalige zu rechtfertigen dachte ich mir, und schickte sie alle in die Wüste.

Später meldete sich zwei Journalisten der ARD, die eine Fernsehdokumentation zum Celler Loch drehen wollten. Nach reiflicher Überlegung gab ich denen ein Interview.

Zirka 1 Jahr später bildete sich in Niedersachsen ein parlamentarischer Untersuchungsausschuß zum Celler Loch, zu dem ich vorgeladen wurde. Anfangs verweigerte ich das Erscheinen. Danach drohte man mir mit „demokratischer“ Erzwingungshaft und Zwangsvorführung. Man bespitzelt mich und schickte mir Bußgeldbescheide. Als sie dann mit Bulleneinsatz drohten, konnte ich ihren „demokratischen“ Argumenten nicht widersprechen. Ich fuhr nach Hannover und machte meine Aussagen, die einen großen Teil des Ausschusses und der Medien überzeugte. Am nächsten Tag stand in der Presse, dass mit ziemlicher Sicherheit der VS bzw. Loudil die Bombe platziert hatten.

Na, toll dachte ich. Und was hab ich davon? Natürlich nichts.

Keine Haftentschädigung und kein Wiederaufnahmeverfahren.

Wenn man Politiker und Bourgeoisie öffentlich zum Celler Loch reden hört, dann rechtfertigen sie die Sache damit, dass ja dabei kein Schaden entstanden sei.

Das ich dafür 39 Monate in Knast wegesperrt war, ist für sie kein Schaden. Dieser Staat hat mich nicht enttäuscht, denn in der BRD gab es nach 1945 keinen wirklichen Bruch mit den faschistischen System. Viele von den alten Funktionsträgern bekleideten später hohe Positionen in Regierungen, Bürokratie, Polizei, Militär, Kultur und Wirtschaft.

Ein weiter Grund für mich, die Bourgeoisie zur Hölle zu schicken.

Bist du heute noch aktiv?

Wenn ich sage, die Bourgeoisie zur Hölle schicken, dann ist das eine politische Kampfansage, gegen Diktatur der Bourgeoisie, gegen imperialistische, entmenschlichte Verhältnisse hier in Deutschland.

In den achtziger und neunziger Jahren machte ich hauptsächlich Antifa- und Internationalismusarbeit, aber immer mit dem bis heute unerreichten Ziel, eine revolutionäre deutsche Arbeiterorganisation zu konstituieren. Von 2000 bis 2005 war ich überwiegend damit beschäftigt, mit anderen Lohnabhängigen eine Arbeiterbasisbewegung aufzubauen. Denn ich bin weiterhin der Überzeugung, dass wir in Deutschland eine revolutionäre Arbeiterorganisation benötigen. Wir brauchen politisch bewusste, revolutionäre Proletarier.

Was ich in meinen 40 Jahren politischer Arbeit gelernt habe, ist, dass ein politisch bewusster revolutionärer Arbeiter alles lernen und verstehen kann, ohne den Weg des Klassenkampfs zu verlassen und dabei mit seinem ganzen Wesen Revolutionär bleibt. Man braucht ihm nicht seitenlang Klassenkampf und Ausbeutung erklären. Bei ihm geht es darum, dass er begreift, dass alles Klassenkampf ist und er das Objekt der Ausbeutung ist. Gleichzeitig sucht er nach einem Ausweg und lernt die marxistische Idee, den Sozialismus kennen.

Es geht darum, die Menschen mit unserer marxistischen Idee bekannt zu machen und ihre Nöte und Sorgen anzuhören. Sie dabei ernst zu nehmen. Sie zu begleiten und dabei eine gemeinsame Praxis auf dem Niveau ihrer direkten Betroffenheit (Mieterhöhung, Stromerhöhung, Hartz IV, Mobbing auf der Arbeit, Kinderarmut usw.) zu entwickeln. Diese Form politischer Arbeit, die Massenarbeit, ist der richtige Weg zur Verbreitung revolutionärer Ideen und Aktionen.

Die objektiven, gesellschaftlichen Bedingungen sind heute weitaus besser als damals. Die wirtschaftliche Lage der Menschen hat sich dramatisch verschlechtert. Wir wissen, dass Ökonomie die Existenz des Menschen bedeutet. Das bedeutet, dass die Mehrheit der arbeitenden Menschen einen harten Existenzkampf führt. Menschen benötigen Geld zum (Über)leben. Geld bekommt man, wenn man arbeitet. Aber wenn die Arbeitsbedingungen absolut miserable sind und der Lohn immer geringer wird, dann ist Schluss mit lustig. Das ist die Situation, in der sich viele arbeitende Menschen befinden.

Danke.