Die Ministerpräsident:innenkonferenz kann nur mühsam den Eindruck verdecken, dass es massive Widersprüche und Unsicherheiten im Staatsapparat selbst gibt, wie mit Corona umgegangen werden soll. Dass am Ende die Maßnahmen auf dem Rücken der Arbeiter:innenklasse ausgetragen werden sollen, ist leider dennoch klar. – Ein Kommentar von Paul Gerber
Einvernehmlich sollen die Verhandlungen der Ministerpräsident:innenkonferenz gestern gelaufen sein. Das wurde vielfach in der anschließenden Pressekonferenz betont. Doch diese Aussage wird durch die Realität konterkariert. Tatsächlich knirschte es merklich an allen Ecken und Enden – vor, während und nach der Konferenz.
Zwar sinkt momentan die Infektionsinzidenz und erstmals seit Wochen auch leicht die Hospitalisierungsrate, doch die enorm schnell ansteigenden Infektionszahlen in anderen Ländern, in denen die neue Omikron-Variante bereits verbreiteter ist, nehmen die Regierenden zum Anlass, um auch hier schärfere Maßnahmen einzuführen, die die Verbreitung der neuesten Variante des Corona-Virus verlangsamen sollen.
Beschlossen wurden jedoch – den einhellig dramatischen Prognosen zum Trotz – eigentlich nicht sehr viel Neues:
Notfallpläne für kritische Infrastruktur: Betriebe der kritischen Infrastruktur sollen Notfallpläne für den Fall ausarbeiten, dass ein großer Teil der Belegschaft erkrankt. Das ist mit Sicherheit eine Maßnahme, die ein Land mit dem Anspruch, unter den mächtigsten der Welt mitzuspielen, sowieso ganz gut gebrauchen kann. Ob die Lage aber wirklich so dramatisch werden wird, kann wohl seriös momentan noch niemand vorhersagen. Prognosen über den Verlauf der Pandemie waren schon mehrfach sowohl zu negativ als auch zu positiv.
Einschränkungen für Ungeimpfte bleiben bestehen: Dies ist kein neuer Punkt, sondern eine Bekräftigung der bereits beschlossenen Einschränkungen für Ungeimpfte und ihrem umfassenden Ausschluss von Freizeiteinrichtungen.
Kontaktbeschränkungen für Geimpfte: Auch für private Treffen von Geimpften wird wieder eine feste Obergrenze eingeführt. Nämlich maximal 10 Personen.
Großveranstaltungen einschränken: Fußballspiele finden ohne Publikum statt, Clubs und Diskotheken werden geschlossen.
Silvester: Der Verkauf von Feuerwerkskörpern wird verboten, wie es bereits angekündigt wurde. Auch dies ist also nichts Neues. Jedoch ist erwähnenswert, dass im ganzen Land Ansammlungen (also zufällige Ballungen von Menschen) verboten werden, aber nun ausdrücklich auch „Versammlungen“, also Veranstaltungen, mit denen eine politische Meinung zum Ausdruck gebracht werden soll.
Booster-Impfungen jetzt noch früher: Drittimpfungen werden nun noch früher empfohlen, nämlich schon ab drei Monaten nach der Zweitimpfung. Das – so wurde verkündet – werde auch die Ständige Impfkommission (STIKO) bald empfehlen.
Simulierte Einheit versteckt Uneinigkeit, Uneinigkeit versteckt Hilflosigkeit
Dass in der Pressekonferenz ständig die Einheit, mit der die Beschlüsse getroffen wurden, betont wurde, ist natürlich Unfug und eher ein Hinweis auf das genaue Gegenteil: Sachsen und Baden-Württemberg zum Beispiel ließen es sich nicht nehmen, dem Protokoll die Notiz hinzuzufügen, dass man die Maßnahmen nicht für ausreichend.halte.
Am Tag der MPK selbst sorgte das Robert-Koch-Institut (RKI) für Aufregung, weil es sich nochmal öffentlich mit der Forderung nach sofortigen scharfen Kontaktbeschränkungen zu Wort meldete. Dies rief unter anderem die Kritik vom frisch gebackenen Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) auf den Plan, der ja selbst nicht gerade für einen sanften Kurs in der Corona-Politik bekannt ist.
Hier kritisierte er das RKI aber dafür, dass dessen Äußerungen nicht abgesprochen seien. Der Fall macht schön deutlich, dass das RKI faktisch nach dem Willen der Politik nicht einfach nur medizinische Prognosen und Einschätzungen erstellen soll, sondern seine Einschätzungen zentrale Rechtfertigungsgrundlage für alle politischen Maßnahmen sind. Da ist es mit der angeblichen Unabhängigkeit schnell vorbei, und man wird von der Regierung zur Räson gerufen.
Tatsächlich sind viele der Beschlüsse wohl eher als ein Im-Nebel-Stochern einzuordnen, denn zur Ansteckungsrate, Schwere der Krankheitsverläufe und Wirkung von Impfstoffen sind noch viele Fragen offen. Die Wirksamkeit der bisherigen Impfstoffe bei der neuen Variante müsste eigentlich flächendeckend weiter geprüft werden.
Klar ist aber offenbar schon, dass sie immer noch einen gewissen Schutz bieten und daher weiterhin medizinisch sinnvoll sind. Weil man kein anderes Mittel zur Hand hat, wird nun innerhalb von wenigen Wochen erneut das empfohlene Intervall für die Drittimpfung herunter gesetzt.
In der Tat wird die Entwicklung von Impfstoffen, die auf die neue Omikron-Variante ausgerichtet sind, nach den Angaben von Impfstoffherstellern noch mehrere Monate in Anspruch nehmen. Eine Regierung, die nicht als Fremdkörper über der Bevölkerung stehen will, sollte die eigene Hilflosigkeit doch lieber offen kommunizieren.
So allerdings ist zu befürchten, dass das sprunghafte Korrigieren von Bewertungen der Impfstoffe und ihrer Wirksamkeit – ohne gleichzeitig klares Eingeständnis, dass die Impfstoffe weiter verbessert werden müssen – eher kontraproduktiv auf die erklärte Absicht wirkt, bisher Ungeimpfte zu überzeugen, sich impfen zu lassen.
Denn, obwohl es sich durchaus rational erklären ließe, passt eine solch schwankende Kommunikation, bei der Impfstoffkombinationen und Impfintervalle offenbar immer beliebiger werden, auch sehr gut in Verschwörungstheorien, wie sie zum Beispiel in Querdenker-Kreisen verbreitet werden.
Kommt der Lockdown?
Die Richtung, die mit diesen Beschlüssen eingeschlagen wird , ist jedenfalls ist klar: Es ist die gleiche, die Tabea Karlo auf Perspektive online schon vor ziemlich genau einem Jahr herausgearbeitet hat: Ein Freizeit-Lockdown bahnt sich an. Hierzu passt auch, dass Lauterbach und Scholz wiederholt öffentlich betonten, dass es vor Weihnachten es keinen Lockdown geben werde.
Anders ist erst mal nur, dass nun eine gewisse Unterscheidung in der Regelung für Geimpfte und Ungeimpfte eingeführt wird. Faktisch wird aber wieder versucht, die Pandemie über das Privatleben einer ganzen Bevölkerung in den Griff zu bekommen. Bezahlter Urlaub in nicht lebensnotwendigen Betrieben steht hingegen nicht zur Debatte.
Es ist anzunehmen, dass bei der nächsten MPK, die für den 7. Januar angesetzt ist, weitere Verschärfungen folgen sollen. Womöglich dann mit einem neuen Lockdown. Da sich an der Grundsituation wenig geändert hat, werden Leidtragende und Profiteure von solchen Maßnahmen ähnlich verteilt sein wie beim letzten Mal.
Der wichtigste Unterschied könnte sein, dass unsere Nebenkostenrechnung wegen der explodierenden Energie- und Heizkosten diesmal deutlich höher ausfallen könnte, wenn es wieder heißt: „Stay safe, stay at home“.
Klar sollte deswegen sein, dass dieses Motto für politisch bewusste Arbeiter:innen keine Option ist. Die Versprechen von Vater Staat, dass durch unser aller Verzicht und Vorsicht, dass durch Impfen und ein paar Monate Disziplin Normalität zurück erlangt werden könnte, haben sich offenbar nicht bewahrheitet. Stattdessen explodieren die Verbraucher:innenpreise und in vielen Branchen wurden Lohnsenkungen durchgesetzt.
Lockdown für unseren Widerstand gegen die Abwälzung der Krisenfolgen auf unsere Schultern ist daher keine gute Option für uns, auch wenn Kanzler Scholz und andere uns das weismachen wollen.
Paul Gerber
Perspektive online