Kurzinterview mit dem Rechtsanwalt Roland Meister

? Die Junge Welt hat ja etwas ausführlicher über das „politische Fasten‘ im Zusammenhang mit dem §§129 a/b StGB – Verfahren gegen angebliche Angehörige der DHKP-C (Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front) berichtet. Wie ist hier der Stand?
RA Meister: Es ist gut, dass seitens der Jungen Welt auch den Verfahren wegen §§ 129 a/b StGB jetzt mehr Raum gegeben und offensichtlich auch über die Verfahren mit DHKP-C Bezug berichtet wird.  Tatsächlich gab es neben den „PKK-Verurteilungen“ in den letzten Wochen durch die Staatsschutzsenate des OLG Düsseldorf (2. Strafsenat und 6. Strafsenat) zwei Verurteilungen in diesem Zusammenhang. Veli T. wurde zu 2 Jahren auf Bewährung verurteilt, wobei wegen Verschleppung des Verfahrens 4 Monate angerechnet wurden, Haydar D. wurde zu 3 Jahren 9 Monaten verurteilt, wobei wegen schuldhafter Verzögerung des Verfahrens durch Staatsanwaltschaft und Gericht 5 Monate als vollstreckt angerechnet wurden. Die Verurteilungen erfolgen wegen ihrer politischen Aktivitäten auf Versammlungen, Kundgebungen und Demonstrationen, bei Tagungen und Seminaren oder aufgrund von Veröffentlichungen auch in den sozialen Medien und bedeuten eine Ausweitung der Kriminalisierung aufgrund der § 129, 129 a/b StGB. Eine kurze Bewertung ist in azadi informationsdienst Nr. 233 vom April 2023 enthalten.

?: Nach unserer Bobachtung handelt es sich um deutliche reaktionäre Verschärfungen?

RA Meister: Gegenwärtig werden in Deutschland immer mehr Menschen, die sich in demokratischen antifaschistischen kurdischen und türkischen Migranten- und Exilorganisationen gegen das faschistische türkische Regime und gegen die Zusammenarbeit der deutschen Regierung mit diesem Regime betätigen, nach den §§ 129 a/b Strafgesetzbuch als angebliche Mitglieder einer sogenannten „terroristischen Vereinigung im Ausland“ verfolgt, inhaftiert und zu hohen Freiheitsstrafen verurteilt. Diese seit Jahren andauernden Verfahren und die damit verbundene Praxis der Sicherheitskräfte (BKA’s und LKA’s), Staatsanwaltschaften (Generalbundesanwalt; Generalstaatsanwaltschaften) und Geheimdienste (so des Inlandsgeheimdienst ‚Verfassungsschutz‘) sowie die Rechtsprechung der Staatsschutzsenate sind auch Blaupausen für die gegen sogenannte ‚inländische‘ oppositionelle Kräfte eingeleitete Verfahren, wie gegen Lina in Leipzig, das Verfahren gegen den ‚Roten Aufbau‘ oder ganz aktuell die „Letzte Generation“.

?: Welche Rolle hat die Bundesregierung bei diesen Verfahren?

RA Meister: Bei den 129 b – Verfahren ist unabdingbare Voraussetzung das Vorliegen einer sogenannten Verfolgungsermächtigung des Bundesjustizministeriums. Dieses erteilt diese in einem Abstimmungsverfahren mit dem Bundeskanzler sowie dem Außen- und Innenministerium.  Nach der Bildung der neuen deutschen Bundesregierung von SPD/Die Grünen/FDP im Dezember 2021 ist die Zahl von neuen Ermittlungsverfahren und damit verbundenen Vereins- und Wohnungsdurchsuchungen deutlich gestiegen. Die Verfahren richten sich insbesondere gegen Personen, denen Aktivitäten für die PKK, DHKP-C oder TKP/ML vorgeworfen werden.  So fand am 16.05. 2023 im Zusammenhang mit einem neuen Verfahren mit PKK-Bezug in Duisburg eine große Durchsuchungsaktion statt, die sich mehr oder weniger direkt auch gegen den Wahlkampf der YSP richtete.
?:Wie ist der Stand des Verfahrens gegen Özgül Emre, Ihsan Cibelik und Serkan Küpeli? Sie sind ja seit mehr als einem Jahr in Untersuchungshaft?

RA Meister: Vor mehr als einem Jahr wurden am 16., 17. und 18. Mai 2022 Özgül Emre, Ihsan Cibelik und Serkan Küpeli festgenommen, denen die mitgliedschaftliche Betätigung für die DHKP-C vorgeworfen wird. Seitdem befinden sie sich in Untersuchungshaft. Aufgrund sogenannter Anti-Terrorbestimmungen (so Einrichtung einer Trennscheibe bei Verteidigergesprächen und Besuchen von Angehörigen) sind sie erheblichen isolierenden Bedingungen ausgesetzt. Es ist nicht zutreffend, wenn es im Artikel der Jungen Welt heißt, dass eine Anklageschrift nicht vorliegt.  Diese wurde seitens des Generalbundesanwaltes bereits am 22.12. 2022 erhoben. Der 7. Strafsenat hat diese jedoch bislang nicht zugelassen, auch wegen gerügten Mängeln in der Übersetzung und weiteren Beanstandungen seitens der Verteidigung.  
Möglicherweise wird die Hauptverhandlung noch im Juni vor dem Staatsschutzsenat  (7. Strafsenat) des Oberlandesgerichtes Düsseldorf beginnen.  Die Verhandlungen werden im gefängnisähnlichen Prozessgebäude des OLG (Kapellweg 36, 40221 Düsseldorf) stattfinden. Über eine solidarische Öffentlichkeit wird sich sicher gefreut werden.
Özgül Emre, Ihsan Cibelik und Serkan Küpeli werden in der Anklageschrift u.a. beschuldigt, dass sog. Deutschland-Komitee der DHKP-C gebildet zu haben. Serkan Küpeli wird durch Rechtsanwältin Anna Busl und mich vertreten, Özgül Emre durch Rechtsanwalt Yener Sözen und Rechtsanwalt Rainer Ahues sowie Ihsan Cibekik (der auch einbekannter Musiker der international renomierten Musikband ‚Grup Yorum‘ ist) durch die Rechtsanwälte Heinz Schmitt und Frank Jasenski. Eine Website ‚Informationen der Verteidigung“ wird noch eingerichtet.

http://political-prisoners.net